Energiekrise EU-Partner drängen Deutschland zur Verschiebung des Atomausstiegs

Gundremmingen in Bayern: Das AKW könnte Experten zufolge wieder in Betrieb genommen werden
Foto: Michael Bihlmayer / IMAGODeutschland bittet andere EU-Staaten um Solidarität beim Gassparen, will gleichzeitig aber an seinen Plänen für den Atomausstieg festhalten. In einigen Partnerländern sorgt das für Unmut. Nun wächst der Druck auf die Bundesregierung, den Atomausstieg zu verschieben.
Angesichts der Gaskrise dringen Recherchen der Nachrichtenagentur dpa zufolge nicht nur Parteien wie CDU und CSU, sondern auch mehrere EU-Staaten darauf, die verbliebenen drei Kernkraftwerke nicht wie geplant Ende des Jahres abzuschalten. Zudem wird gefordert, ein Wiederhochfahren der drei zuletzt vom Netz genommenen Meiler zu prüfen.
Aus Sicht von Ländern wie Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Frankreich könnte ein Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke erheblich dazu beitragen, Gas zu sparen, da in der Bundesrepublik zuletzt noch immer etwa 15 Prozent des Stroms von Gaskraftwerken erzeugt wurde. Sollte Russland seine Gaslieferungen in die EU komplett einstellen, wären dann mehr Reserven für das Heizen von Haushalten und für die Industrie verfügbar.
»Wenn Deutschland Gas sparen möchte, dann möge es doch bitte seine Atomkraftwerke weiterlaufen lassen – beziehungsweise die drei, die letztes Jahr abgeschaltet wurden, die könnten ja wieder ans Netz gehen«, kritisierte etwa der slowakische Wirtschaftsminister Richard Sulík am Rande von EU-Beratungen in Brüssel. Seinen Angaben zufolge könnten mit dem Weiterbetrieb der sechs AKW 15 Milliarden Kubikmeter Gas gespart werden. Dies sei die Hälfte der Menge, die die EU mit ihrem Gassparplan einsparen wolle, sagte er.
Ähnlich hatte sich kurz zuvor bereits der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán geäußert. Er kritisierte explizit die EU-Kommission dafür, Deutschland nicht zum Weiterbetrieb der AKW zu zwingen. Obwohl die Atomkraftwerke billige Energie produzierten, lasse die Brüsseler Behörde zu, dass diese geschlossen würden, sagte Orbán am vergangenen Samstag. Wenn die Energie dann ausgehe, werde man stattdessen versuchen, Ungarn sein gespeichertes Gas wegzunehmen.
Orbán spielte damit auf den am Dienstag gegen den Willen Ungarns beschlossenen EU-Notfallplan für die Gaskrise an . Er sieht vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen Unionsalarm auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben. Staaten, die kein Gas mehr haben, um etwa Haushalte zu versorgen, sollen dann von Ländern mit noch vorhandenen Vorräten versorgt werden.
In Deutschland sind derzeit noch drei Atomkraftwerke am Netz: Emsland in Niedersachsen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Nach geltendem Recht müssen sie eigentlich spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. In der Bundesregierung sind die Grünen strikt gegen eine weitreichende Laufzeitverlängerung . Als Option wird lediglich gesehen, die noch laufenden Atomkraftwerke mit den noch vorhandenen Brennelementen etwas länger zu betreiben. So könnte insbesondere das Atomkraftwerk Isar 2 vermutlich noch bis mindestens Mai nächsten Jahres laufen.
Eine Neuanschaffung von Brennelementen wird von den Grünen derzeit ausgeschlossen und auch ein Weiterbetrieb von Isar 2 soll nur möglich gemacht werden, wenn dies für die Absicherung der Stromnetzstabilität nützlich sein könnte. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betonte zuletzt immer wieder, dass eine volle Ausnutzung der noch vorhandenen Brennelemente in den drei AKWs lediglich eine Reduzierung des deutschen Gasverbrauchs um bis zu 0,7 Prozent ermöglichen würde. SPD-Regierungspolitiker argumentieren ähnlich, wohingegen die FDP für eine Laufzeitverlängerung ist.
Die drei Atomkraftwerke, die laut Angaben von Experten in Deutschland wieder in Betrieb genommen werden könnten, sind die Kernkraftwerke Brokdorf (Schleswig-Holstein), Grohnde (Niedersachsen) und Gundremmingen C (Bayern). Der Geschäftsführer des TÜV-Verbands, Joachim Bühler, sagte der »Bild«-Zeitung jüngst dazu, die Wiederinbetriebnahme der 2021 abgeschalteten Meiler wäre »keine Frage von Jahren, sondern eher von wenigen Monaten oder Wochen« – und vor allem eine Frage des politischen Willens.
»Die drei Kraftwerke befinden sich nach unserer Überzeugung in einem sicherheitstechnischen Zustand, der es möglich machen würde, sie wieder ans Netz zu nehmen«, sagte Bühler. Allerdings steht auch der TÜV in der Kritik.
Gutachten wirft TÜV Befangenheit bei Bewertung für AKW vor
Ein Rechtsgutachten wirft dem TÜV Süd bei der Sicherheitsbewertung des Reaktors Befangenheit vor. Die Hamburger Kanzlei Michael Günther hält ihm eine »schlampig argumentierende Auftragsarbeit« vor, die »nicht als seriöse Bewertung anerkannt werden kann«. Die Stellungnahme wurde im Auftrag von Greenpeace Deutschland erstellt und liegt der Nachrichtenagentur dpa vor. Auch ergebe sich der Eindruck, der TÜV lasse geltendes Atomrecht außer Acht, heißt es darin.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wies zuletzt den Vorwurf zurück, sich nicht in die Atomdebatte einzuschalten. »Der Energiemix ist in der Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten«, sagte sie in einem Interview der dpa. Sie beobachte aber, dass viele EU-Mitglieder davon ausgingen, dass die Atomkraft als Brückentechnologie gebraucht werde. So hat etwa die belgische Regierung bereits im März beschlossen, eine Verschiebung des eigentlich für Ende 2025 geplanten Atomausstiegs vorzubereiten. Er soll nun erst zehn Jahre später erfolgen.