Verteidigung Deutschland braucht keine Atomwaffen

Atombombe in Hiroshima
Foto: AP/ U.S. Army/ Hiroshima Peace Memorial MuseumDonald Trump ist noch nicht im Amt und schon wirft seine kommende Präsidentschaft lange Schatten. So wie der offensichtlich von langer Hand eingefädelte Gratulationsanruf der taiwanesischen Präsidentin die geopolitische Lage in Ostasien durcheinanderwirbelt, so sorgt in Europa die Drohung für Aufsehen, die Verbündeten sich selbst zu überlassen, falls sie nicht einen deutlich höheren Anteil ihrer Verteidigung stemmen.
Angesichts solcher Drohungen hat sich unlängst Roderich Kiesewetter (CDU) für eine europäische Abschreckung ausgesprochen, die auf britischen und französischen Nuklearwaffen beruhen, aber wesentlich von Deutschland finanziert werden soll.
Andere, wie der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Berthold Kohler, denken gleich "das ganz und gar Undenkbare" : Deutschland müsse über eine nukleare Bewaffnung nachdenken, weil Russland aufrüste, "Zweifel an Amerikas (nuklearen) Garantien" nach dem Sieg von Donald Trump ausgeglichen werden müssten und die "französischen und britischen Arsenale dafür in ihrem gegenwärtigen Zustand zu schwach" seien.
Richtig ist, dass aufgrund der besorgniserregenden Entwicklungen in ihrem sicherheitspolitischen Umfeld die Europäer im Allgemeinen und die Deutschen im Besonderen ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik überdenken müssen. Allerdings sollte weder am Anfang noch am Ende solcher Überlegungen eine Atommacht Deutschland stehen.
Ein fatales Signal an andere Staaten
Um auf legalem Wege Nuklearwaffen zu produzieren, müsste die Bundesrepublik aus dem Nichtverbreitungsvertrag austreten. Prinzipiell möglich wäre dies - Gebrauch hat von dieser Möglichkeit bisher allerdings mit Nordkorea nur ein Staat gemacht, dessen Außen- und Sicherheitspolitik für Deutschland wohl kaum als Vorbild dienen sollte. Es würde ein fatales Signal an andere Staaten (man denke etwa an die Türkei oder Saudi-Arabien) senden, wenn sich jenes Land, für das der Nichtverbreitungsvertrag Teil seiner sicherheitspolitischen DNS ist, aus dem Regime zurückzöge.
Nicht minder fatal wäre es, den im Rahmen des Zwei-plus-vier-Vertrags seitens Deutschlands erneuerten "Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen" (Art. 3) zu revidieren. Denn entweder müsste Deutschland seine Vertragsverpflichtungen aufkündigen oder den Vertrag mit Zustimmung der Signatarstaaten ändern. Letzteres erscheint utopisch, Ersteres im Sinne der clausula rebus sic stantibus (eines Rechtsgrundsatzes, der Vertragsänderungen bei sich verändernden äußeren Umständen zulässt) nur dann rechtfertigbar, wenn nicht nur "Zweifel" an den Nukleargarantien bestehen, sondern diese de facto zurückgezogen würden. Nichts deutet derzeit darauf hin, dass die neue US-Administration einen so weitreichenden Schritt erwägt.
Neben diesen völkerrechtlichen Problemen stellt sich noch die ganz praktische Frage, ob es überhaupt sinnvoll wäre, nach eigenen Nuklearwaffen zu streben. Auch hier lautet die eindeutige Antwort: nein. Denn zum einen sind die existierenden französischen und britischen Nuklearwaffen Teil einer europäischen Abschreckungsstrategie, wie die Nato bereits in ihrer Ottawa-Erklärung von 1974 festhielt und in ihrer Gipfelerklärung von Warschau erneut betonte.
Auch das Denken des Undenkbaren will wohl durchdacht sein
Zum anderen sorgen die französischen und britischen Nukleararsenale - im Sinne einer "minimalen Abschreckung", wie auch China sie erfolgreich praktiziert - nach wie vor für eine verlässliche Abschreckung gegenüber Russland. Dass man, falls die Vereinigten Staaten den nuklearen Schutzschirm über Europa tatsächlich in Gänze zuklappen sollten, darüber nachdenken müsste, wie die nationalen Atomwaffenarsenale Frankreichs und Großbritanniens gegebenenfalls Teil einer europäischen Abschreckungsstrategie werden könnten, ist richtig, steht aber eben auf einem anderen Blatt.
Schließlich würden eigene Nuklearwaffen die Sicherheit der Bundesrepublik nicht nur nicht erhöhen, sondern sogar entscheidend schwächen, weil damit grundlegende Parameter der gewachsenen europäischen Ordnung revidiert würden. Als dann nicht nur ökonomische und politische Führungsmacht, sondern als Militärmacht nähme Deutschland jene Vormachtstellung in Europa ein, die es historisch wiederholt zum Albtraum seiner europäischen Nachbarn machte. Das wäre nicht nur geschichtsvergessen.
Vielmehr würde innereuropäische Gegenmachtbildung gegen eine solche Entwicklung auch jenseits von Russland wahrscheinlich, denn dass sich europäische Nachbarn wie Polen oder Italien unter einen deutschen Nuklearschirm einreihen würden, ist wenig plausibel. Ganz abgesehen davon, welche Konsequenzen dies für die EU hätte, wäre zudem eine weitere Proliferation nuklearer Bewaffnung hochwahrscheinlich - mit all den existenzgefährdenden Risiken, die damit einhergehen.
Eine neue Debatte über die Ausrichtung deutscher und europäischer Sicherheitspolitik ist im Lichte der gravierenden Verschiebungen im Osten, Süden und Westen der Europäischen Union gewiss angezeigt. Aber auch das Denken des Undenkbaren will wohl durchdacht sein. Und so zeigt eine nüchterne Abwägung des Pro und Kontra, dass in Wirklichkeit alles gegen und nichts für eine nukleare Bewaffnung Deutschlands spricht.