
Gas und Gerechtigkeit Habeck, der Entzauberte


Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei der Vorstellung der Gasumlage, 15. August 2022
Foto: Britta Pedersen / dpaWenn man jemandem zugetraut hat, die Deutschen durch den schwierigen Herbst zu führen, dann Robert Habeck, dem grünen Wirtschaftsminister, dem Kanzler der Herzen. Olaf Scholz schweigt, Christian Lindner heiratet, aber auf Habeck, das sympathische Arbeitstier, ist Verlass. Zur Not ernährt er sich nur noch von Müsli und schläft neben dem Schreibtisch, um die Deutschen zu retten. Das war das Bild. Als Belohnung durfte er die Liste der beliebtesten Politiker anführen und ständig als Leitartikel getarnte Liebesbriefe in der Presse lesen. Journalisten lobten seine Kommunikation, er könne so gut erklären, wie schwer die Zeiten werden. »Der Wahr-Sager« nannte ihn die »Zeit« .
Habecks Beliebtheitswerte sind zwar immer noch hoch , aber Liebesbriefe in der Presse habe ich lange nicht mehr gelesen. In den vergangenen Tagen wurde er bei einem Bürgerdialog in Bayreuth ausgebuht . Wahrsager – das hat auf einmal einen anderen Klang, das klingt auf einmal eher nach Kaffeesatzleserei als nach Wahrheit.
Die Energiepreise steigen, die bisher beschlossenen Entlastungen laufen aus, neue gibt es nicht, und mit ihnen wächst der Unmut im Land. Laut Forschungsgruppe Wahlen sagen 58 Prozent der Befragten in einer neuen Umfrage, dass die Regierung zu wenig tut, um die Menschen zu entlasten .
Plötzlich wirkt auch der Kanzler der Herzen überfordert. Wenn man sieht, wie er damit kämpft, die von seinem Haus erdachte Gasumlage und die chaotische Ampelpolitik zu erklären, sieht man, dass auch seine Rhetorik Grenzen hat. Und man fragt sich, ob er zweifelt, an dem, was die Regierung da gerade fabriziert und ob das alles so richtig ist. Das war ja Habecks Stärke, dass er die Bürger in seine Zweifel einbezieht, aber davon ist inzwischen nichts mehr zu merken.
Man fragt, ob er sich jetzt, da er vor dem Zusammenbruch der deutschen Energieversorgung warnt, an seine eigenen Voraussagen erinnert. Es war im Februar, einen Tag vor dem erneuten Überfall der Russen auf die Ukraine, nach dem Stopp der Nord-Stream-2-Pipeline, als Robert Habeck im Deutschlandfunk gefragt wurde, ob Deutschland denn auf russisches Gas verzichten könnte. »Ja, kann es«, sagte Habeck damals. Er schränkte ein, dass es den Preis erst in die Höhe treiben würde, das müsse kompensiert werden. »Aber die Möglichkeiten, dass Deutschland genug Gas bekommt und genug Rohstoffe bekommt, jenseits von russischem Gas, sind gegeben...«
Das war damals vielleicht optimistisch, weniger freundliche Stimmen würden sagen: waghalsig, ahnungslos, Spökenkiekerei. Denn es müsste dem deutschen Wirtschaftsminister ja bekannt gewesen sein, dass Deutschland mit 55 Prozent so abhängig ist von russischem Gas wie kaum ein anderes europäische Land. Die günstigen Preise galten der Wirtschaft als »Standortfaktor«, wie der Chef des Spezialfolienherstellers Orafal kürzlich sagte .
Noch nach 2014, nach der Invasion der Krim, wurde Nord Stream 2 vorangetrieben, fixierte sich die Große Koalition auf Russland als wichtigsten Energielieferanten und vernachlässigte den Ausbau der Erneuerbaren. Es hat sicher etwas Tragisches, dass ausgerechnet Habeck, der diese Politik nicht verantwortete, jetzt die drastischen Folgen aufräumen muss. Aber seine Empörung darüber, dass Russland das Gas als Kriegsmittel einsetzt, wirkt auch gespielt. Dass ein Land, das mit Sanktionen belegt wird, nicht mit Vertragstreue reagiert, kann nicht überraschen.
Wie soll man 55 Prozent innerhalb von wenigen Monaten ersetzen? Deutschland kann eben nicht mal so einfach auf russisches Gas verzichten, wie sich das Habeck vorstellte, ohne dass es zu großen Zusammenbrüchen kommt. Die eben schon genannte Firma aus Oranienburg, 1100 Mitarbeiter, Weltmarktführer, braucht pro Tag so viel Gas wie eine Kleinstadt. Wie es weitergeht, wenn kein Gas mehr kommt: unklar. Da helfen Duschtipps des Wirtschaftsministers nur begrenzt.
Und es stimmt auch einfach nicht, was Habeck am Montag sagte, dass die Gasumlage die »gerechteste« aller Lösungen ist : Warum bitte soll nur die Hälfte der Deutschen – die Gaskunden – für die jahrzehntelange verfehlte Energiepolitik der Regierungen Gerhard Schröders und Angelas Merkels bezahlen?
Also Gaskunden, die oft in Mehrfamilienhäusern gar keine Wahl haben, mit welchem Brennstoff geheizt wird? An der Gasversorgung hängen nicht nur Privatleute, sondern Chemieindustrie, Stahlindustrie, systemrelevante Einrichtungen wie Krankenhäuser. Ein Ausfall würde alle hart treffen. Warum sollen nur Gaskunden verantwortlich sein?
Und wie kann es sein, dass der Energiemarkt quasi vor dem Zusammenbruch steht, wie Habeck behauptet, wenn doch Energiefirmen wie RWE und Shell Rekordgewinne machen? Bisher haben zwölf Firmen Hilfsgelder beantragt, bekannt ist vor allem Uniper, der größte Gasimporteur Deutschlands, der fast komplett von russischen Lieferungen abhängig war und Milliarden durch das Ende von Nord Stream 2 verloren hat. Im weitesten Sinne kann man sagen: Die Politik von Schröder und Merkel hat Uniper ruiniert, zahlen dürfen die Bürger. Man kennt das Prinzip bereits aus der Finanzkrise: Gewinne werden privatisiert, Verluste von allen getragen.
Das Bittere ist, dass die Debatte über die Gasumlage ja nur ein Vorspiel ist für die weiteren Preissteigerungen und Nachzahlungen, die in den nächsten Wochen drohen. Es ist, als warte man auf einen Sturm, auf ein Unwetter. Und man hat nicht das Gefühl, dass die Ampel wetterfest ist. Es wirkt eher so, als wohne man angesichts der sich überschlagenden widersprüchlichen Vorschläge ständig elektrischen Kurzschlüssen bei, um beim Ampelbild zu bleiben.
Am Donnerstag verkündete die Bundesregierung nun, dass die Regierung die Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf 7 Prozent senken werde. Damit sollen die Mehrkosten für die Gasumlage ausgeglichen werden. Er erwarte von den Unternehmen, dass sie die Senkung an die Kunden weitergeben, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. Moment, man schafft also eine neue Steuer, die Gasumlage, nur um deren Wirkung dann gleich wieder teilweise zurückzunehmen? Wäre es nicht einfacher gewesen, die Kosten für die Rettung von Uniper und Co. gleich aus der Steuerkasse zu bezahlen? Auf solche Bürokratiemonster kommen wahrscheinlich nur die Deutschen. Und es ist natürlich politisch pikant: Scholz, der SPD-Politiker, korrigiert den Grünenpolitiker Habeck.
Als Habeck am Montag die Gasumlage erklärte, sagte er: »Wir wissen, dass wir mit vielen Zumutungen leben und arbeiten müssen, aber wir wissen doch auch, warum wir das tun.« Wissen wir das wirklich? Wissen das die Leute, die in diesen Tagen vierstellige Nachzahlungsforderungen von ihren Vermietern im Briefkasten haben? Die in Neuruppin protestieren? Weiß es die brandenburgische Finanzministerin der SPD, die offen die Sanktionen gegen Russland infrage stellt ?
Die Risse zeigen sich gerade überall, sie sind mit schönen Worten nicht mehr zu überspielen.
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Bundesregierung würde den Effekt der Gasumlage mit der Mehwertsteuersenkung »kassieren«. Wir haben die Stelle präzisiert.