Gauck-Macher Rösler Aufstand des Erniedrigten
Berlin - Als alles geschafft ist, die gemeinsame Pressekonferenz der sechs Parteichefs mit Joachim Gauck, steht Philipp Rösler noch vor dem Kanzleramt. Er gibt dem Sender "Phoenix" ein kurzes Interview, er wird danach gefragt, ob die Zusammenarbeit mit Angela Merkel beschädigt sei.
"Nein", sagt Rösler.
Das ist eine glatte Untertreibung. Der 38-Jährige hat Angela Merkel vorgeführt. Es ist ein Volltreffer, den der FDP-Chef da erzielt hat. Merkel wollte Gauck partout nicht. Rösler hat ihn durchgesetzt. Es ist - auf den ersten Blick - ein Erfolg für ihn und für seine seit Monaten zwischen zwei und drei Prozent in den Umfragen verharrende Partei. Plötzlich wirkt die FDP groß, so groß wie im Herbst 2009, als sie bei der Bundestagswahl 14,6 Prozent erzielte.
Der Fall Gauck ist Balsam für die Seelen der geschundenen Liberalen. Sie sind noch da, sie werden gebraucht. Doch wie lange wird das vorhalten? Die Stimmung auf Seiten der Union ist am Tag nach dem Coup gereizt. Von einem "gewaltigen Vertrauensbruch", spricht Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer, es werde schwere Folgen für die Zusammenarbeit in der Koalition haben. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe setzt auf Deeskalation. Es sei niemandem gedient, öffentlich nachzukarten. "Wir sind verlässlicher Koalitionspartner. Dabei bleibt es", sagt er.
Doch der Unmut ist da in den Gesprächen mit Unionsvertretern. Rösler und die Liberalen haben Kante gezeigt - an einem entscheidenden Punkt. Und sie wussten, dass sie es tun konnten, weil es nur eine Alternative für Merkel gab: die FDP vor die Tür zu setzen, die Koalition zu beenden. Doch das, kalkulierten die Liberalen, würde sich die Kanzlerin dann doch nicht leisten können. Schon gar nicht jetzt, mitten in der Schulden-Krise, in Deutschland, dem Land, auf das die Welt blickt.
Merkels harter Kurs
"Merkel wollte uns untertöpfern", sagt ein Mann aus der FDP-Führungsspitze. Sie habe alle Vorschläge, die nicht auf den früheren Bundesumweltminister Klaus Töpfer und auf den ehemaligen Bischof Wolfgang Huber hinausliefen, kleingeredet. Töpfer aber ging für Rösler gar nicht, der Christdemokrat stand bei den Liberalen als Signal für Schwarz-Grün. Und Huber, der frühere Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, den die CDU auf der Liste hatte, ging auch nicht, er wäre womöglich als Signal für eine Große Koalition interpretiert worden.
Rösler wird der Coup neuen Auftrieb in der Partei geben. Wer hätte das dem bislang eher zurückhaltenden FDP-Chef zugetraut? Bei der Pressekonferenz der Parteichefs von Koalition und Opposition im Kanzleramt mit Gauck war er ganz rechts platziert, er musste sich regelrecht ins Bild drängeln, um noch ins Blickfeld der Fotografen und Kameramänner zu kommen. Neben Gauck hatten Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel Platz genommen, doch eigentlich müsste da der Vizekanzler sitzen - ohne ihn und seine Liberalen wäre der frühere DDR-Bürgerrechtler gar kein Kandidat. Und das wissen sie bei der CDU/CSU. "Rösler versucht, sich als Präsidentenmacher zu inszenieren", heißt es erbost in Unionskreisen. Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagt, es sei das Recht der FDP, sich mit Gauck so zu positionieren. "Ob es klug ist, ist eine andere Frage."
Eisige Atmosphäre im Kanzleramt
Der Ablauf der Ereignisse am Sonntag verdeutlicht, wie beschädigt die Atmosphäre in der Koalition ist. Merkel wollte Gauck nicht. Das wussten die Liberalen genau. Am frühen Nachmittag hatte sich das FDP-Präsidium zur Telefonschalte zusammengeschlossen, die Liberalen sprechen sich trotzdem für Gauck aus - das wird an die Presse durchgestochen. So erfährt Merkel davon.
Die Atmosphäre im Kanzleramt ist frostig, als Rösler und FDP-Bundestagsfraktionschef Rainer Brüderle am späten Sonntagnachmittag zur Runde mit Merkel erscheinen. Eine sichtlich verstimmte Kanzlerin hält ihnen eine Agenturmeldung vor, in der zunächst von einem einstimmigen Beschluss des FDP-Präsidiums für Gauck die Rede ist. Das sei so nicht richtig, es sei ein "Meinungsbild" geschaffen worden, lässt Rösler sie wissen.
Das aber sind letztlich nur diplomatische Girlanden - denn die zentrale Botschaft ist der Kanzlerin längst klar - die FDP legt sich auf Gauck fest, den Favoriten von SPD und Grünen, die Liberalen lassen ihr keinen Spielraum mehr. Merkel hat sich schlichtweg verkalkuliert. Mit Rösler, mit der FDP. Merkel hatte wohl gehofft, dass sie den Ton vorgibt und die kleine FDP hörig folgt. Auch ein Vier-Augen-Gespräch zwischen der CDU-Chefin und Rösler bringt keine Bewegung. Man geht auseinander. Als Rösler und Brüderle später, kurz vor dem Zusammentreffen mit SPD und Grünen, wieder im Kanzleramt erscheinen, müssen sie auf Merkel warten. Die Union sei noch in der Telefonschalte, wird ihnen mitgeteilt. Auch das ein kleiner Akt der Demütigung - so zumindest wurde es in liberalen Kreisen interpretiert.
In der FDP versuchen sie, ihren Erfolg möglichst still zu genießen. Bloß keine Triumphsignale. Sie wissen: Viele Deutsche wollten Gauck, den Merkel einst 2010 bei der Wahl zum Bundespräsidenten verschmäht hatte. Auch viele Unionsanhänger. "Wir sollten jetzt nicht zurückblicken im Zorn", sagt der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, der im Mai eine Landtagswahl zu bestehen hat und sich vor dem Wochenende auf Gauck festgelegt hatte. Merkel habe offenbar erkannt, dass ihr eigener Anspruch, eine große Mehrheit in der Bundesversammlung herzustellen, nur mit diesem Kandidaten möglich sei, sagt er.
Bei den Liberalen hat sich die Stimmung aufgehellt. Auch der Mann, der Rösler mit seinem Rücktritt als Generalsekretär Ende letzten Jahres überraschte, ist bester Dinge. Christian Lindner teilt seine Genugtuung über den Coup via Twitter mit: "Gauck hat mich mehrfach mit Reden zum Wert der Freiheit beeindruckt. Die FDP hat klug Weichen für seine parteiübergreifende Wahl gestellt."