Politologe Münkler zum Gauck-Streit "Ach, die Stechschrittpazifisten von der Linken"

Bundespräsident Gauck: Dem Volk nicht hinterherlaufen
Foto: Steffen Kugler/ dpa
Herfried Münkler, ist Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität. Er veröffentlichte mehrere Bücher zur Theorie der "neuen Kriege". Zuletzt erschien "Der Große Krieg. Die Welt 1914 und 1918".
Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer nannte den Bundespräsidenten einen "überdrehten Gotteskrieger", ein Brandenburger Landtagsabgeordnete beschimpfte Joachim Gauck als "widerlichen Kriegshetzer": Für seine Forderung nach einem stärkerem Engagement der Bundeswehr bei internationalen Militäreinsätzen musste der Bundespräsident heftige Kritik einstecken.
Im Interview unterstützt der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler den Bundespräsidenten: Deutschland dürfe sich nicht länger verstecken, wenn es um Auslandseinsätze der Bundeswehr geht. Die Kritik an Gauck, vor allem aus der Linkspartei, schmettert Münkler als unbegründet ab - denn letztlich fordere Gauck nur "Normalität", also dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht werde.
SPIEGEL ONLINE: Herr Münkler, redet Gauck Deutschland in den Krieg?
Münkler: Nein, mit Sicherheit nicht. Bei Gaucks Forderung geht es um zwei Dinge. Erstens: Deutschland kann sich bei Krisen nicht mehr so stark raushalten. Die USA konzentrieren sich zunehmend auf den pazifischen Raum. Das bedeutet mehr Verantwortung für Deutschland.
SPIEGEL ONLINE: Und zweitens?
Münkler: Gauck fordert Ehrlichkeit, einen offenen Diskurs. Seit der Somalia-Mission und den jugoslawischen Zerfallskriegen nehmen deutsche Soldaten an Auslandseinsätzen teil. Eine offene Debatte anstoßen, bevor es zu spät ist - das ist die Aufgabe eines vorausschauenden Bundespräsidenten.
SPIEGEL ONLINE: Die Reaktionen auf Gaucks Forderung waren äußerst kontrovers. Gerade aus der Linken kam heftige Kritik.
Münkler: Ach, die Stechschrittpazifisten von der Linken. Die erzählen samstags: Wenn die NVA damals marschiert wäre, hätte sie die Bundeswehr platt gemacht. Und sonntags sagen sie: Von deutschem Boden darf kein Krieg ausgehen.
SPIEGEL ONLINE: Ist Gauck also kein "Kriegshetzer", wie der Brandenburger Landtagsabgeordnete Norbert Müller ihn genannt hat?
Münkler: Natürlich nicht. Mit Müller hat ein unbekannter und profilloser Politiker aus Brandenburg die Gelegenheit genutzt, mit einer völlig inadäquaten Kommentierung auf sich aufmerksam zu machen. Gauck hat keine Aufrüstung gefordert, sondern im Prinzip nur Normalität - dass sich die Bundesrepublik nicht länger wegduckt.
SPIEGEL ONLINE: Viele Kriegsgegner argumentieren, dass Deutschland wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit militärisch zurückhaltend sein sollte.
Münkler: Diese Haltung, eine Extrawurst einzufordern, halte ich für verantwortungslos und unklug. Deutschland sollte im Sinne von Bertolt Brecht ein Land wie jedes andere sein. Wir sind heute in der EU und in der Nato und in der sind wir der reichste und größte Akteur in Europa. Da kann man sich nicht immer so klein machen und so tun, als würde man nicht existieren.
SPIEGEL ONLINE: Bundespräsidenten reden viel, entscheiden aber wenig. Welche Bedeutung hat Gaucks Äußerung überhaupt?
Münkler: Ein Bundespräsident kann mit Reden Politik machen. So wie andere Bundespräsidenten zuvor auch, etwa Roman Herzog mit seiner Ruck-Rede. Gauck gestaltet den Rahmen mit, in dem über Auslandseinsätze diskutiert wird. Der Rest liegt bei der Regierung.
SPIEGEL ONLINE: Mit seiner Äußerung liegt er deutlich außerhalb der Mehrheitsmeinung. Die Deutschen wollen keine Auslandseinsätze, das zeigen Umfragen.
Münkler: Politische Stimmungen hierzulande sind ausgesprochen wechselhaft. Wenn im deutschen Fernsehen nacheinander Bilder von Flüchtlingsströmen und grauenhaftem Elend laufen, dann steigt die Zustimmung für humanitäre und militärische Auslandseinsätze. Stellt sich heraus, dass der Einsatz schwierig ist, dann schwindet die Zustimmung auch wieder.
SPIEGEL ONLINE: In einem Beitrag für das Magazin "Cicero" haben Sie kürzlich die außenpolitische Kompetenz der Parlamentarier in Deutschland in Frage gestellt. Was meinten Sie damit?
Münkler: Die Qualität von Außenpolitikern hat eigentümlich nachgelassen. Früher hatten Parlamentarier, die auf diesem Gebiet tätig waren, ein deutlich besseres Standing - obwohl die alte Bundesrepublik lange faktisch keine Außenpolitik gemacht hat, außer Westbindung und vorsichtiger Ostpolitik. Heute hingegen ist Deutschland gefordert, aber die größeren politischen Begabungen gehen nicht in den Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Das ist auf Dauer ein verheerender Mechanismus.
SPIEGEL ONLINE: Was nimmt Schaden?
Münkler: Außenpolitik wird heute sehr viel weniger im Parlament diskutiert. Außerdem ist die Debatte sehr plakativ und inkompetent, das zeigt nicht zuletzt die Linkspartei. Das Thema wird hauptsächlich genutzt, um die eigene Klientel zu mobilisieren. Die außenpolitische Entscheidungsfindung wandert deshalb zunehmend in die Exekutive, sprich ins Auswärtige Amt. Das ist nicht gut, es zeigt das Desinteresse innerhalb des Parlaments und der deutschen Bevölkerung gegenüber der Außenpolitik. In diesem Sinne hat Joachim Gauck einen Anstoß gemacht, den ich sehr begrüße.