Holocaust-Überlebender im Bundestag "Wir alle hoffen, dass Sie weiter für die wahre Demokratie kämpfen"
Mit einer emotionalen Rede hat der israelische Historiker und Holocaust-Überlebende Saul Friedländer an die Deutschen appelliert, sich gegen Antisemitismus und Rassismus einzusetzen. "Der Fremdenhass, die Verlockung autoritärer Herrschaftspraktiken und insbesondere ein sich immer weiter verschärfender Nationalismus sind überall auf der Welt in besorgniserregender Weise auf dem Vormarsch", sagte der 86-Jährige bei einer Gedenkstunde im Bundestag (Lesen Sie hier die Rede im Wortlaut).
Als er gebeten worden sei, vor dem Bundestag zu sprechen, habe er zunächst gezögert, sagte Friedländer, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden und der als Junge in einem katholischen Internat in Frankreich überlebte. Er habe dann aber angenommen. Deutschland sei dank seiner langjährigen Wandlung seit dem Zweiten Weltkrieg "eines der starken Bollwerke" gegen die Gefahren von Rassismus und Nationalismus. "Wir alle hoffen, dass Sie die moralische Standfestigkeit besitzen, weiterhin für Toleranz und Inklusivität, Menschlichkeit und Freiheit, kurzum, für die wahre Demokratie zu kämpfen."
Anlass der Gedenkstunde im Bundestag für die Opfer des Nationalsozialismus ist der 74. Jahrestag der Befreiung des Nazi-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Die Rote Armee hatte dort am 27. Januar 1945 die Überlebenden befreit.
Friedländer sagte, ungeachtet seiner Kritik an der Politik der israelischen Regierung, halte er es für eine grundsätzliche moralische Verpflichtung, das Existenzrecht Israels zu verteidigen. Diese müsse besonders in einer Zeit betont werden, "in der auf Seiten der extremen Rechten und auf Seiten der extremen Linken Israels Existenz in Frage gestellt wird und der Antisemitismus in seinem traditionellen wie in seinem neuen Gewand wieder unübersehbar zunimmt".
"Scham allein reicht nicht"
Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) appellierte an die Bürger, gegen Rassismus und Antisemitismus zu kämpfen. Es gebe in der Gesellschaft noch immer "gefährliche Stereotype und Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung, Antisemitismus", sagte Schäuble im Rahmen der Gedenkstunde. Beides, der "alte" und der "neue zugewanderte" Antisemitismus seien inakzeptabel, "erst recht in Deutschland".
Schäuble nannte es beschämend, dass Juden heute wieder mit dem Gedanken an Auswanderung spielten, "weil sie sich in unserem Land nicht sicher fühlen", weil sie angefeindet oder gar tätlich angegriffen würden, weil ihre Kinder in der Schule angepöbelt oder gemobbt würden. "Aber Scham allein reicht nicht." Der Bundestagspräsident fügte hinzu, neben der Härte der Gesetze brauche es vor allem im Alltag "unsere Gegenwehr gegen Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung aller Art".