Geheimdienst-Affäre Merkels Ein-Mann-Kommando brüskiert die Aufklärer

Kanzlerin Merkel: Bundesregierung will Beziehungen zu USA nicht belasten
Foto: Markus Schreiber/ AP/dpaWochenlang hatte der NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag darauf gedrängt, detaillierten Einblick in die Geheimdienstaktivitäten der USA zu bekommen.
Jetzt ist es offiziell: Das wird nicht passieren. Stattdessen soll eine Vertrauensperson von außerhalb die streng geheimen Listen mit brisanten Suchbegriffen, sogenannten Selektoren, sichten.
Ein Vertreter des Kanzleramts informierte die Obleute des Gremiums am Mittwochnachmittag über das Vorgehen. Dafür musste eine geplante Zeugenbefragung von BND-Chef Gerhard Schindler kurzerhand verschoben werden. Diese wurde inzwischen fortgesetzt.
Was man bisher weiß:
1. Eine Vertrauensperson soll die Liste mit Suchbegriffen einsehen, mit denen die NSA von Deutschland aus europäische Regierungen, Behörden und Unternehmen ausspioniert haben soll.
Dazu heißt es nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen wörtlich in einem Papier des Kanzleramts, das dem NSA-Ausschuss übergeben wurde:
"Da auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist, dass die US-Regierung einer Weitergabe ausdrücklich zustimmen wird, ist die Bundesregierung (...) bereit, zur verfassungskonformen Erfüllung des Beweisbeschlusses (...) eine in ihrer Bewertung unabhängige und sachverständige Vertrauensperson einzusetzen, welche die Dokumente (...) untersuchen und dem Untersuchungsausschuss Bericht erstatten soll. Dieses Verfahren soll dem Untersuchungsausschuss eine Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion ermöglichen, ohne einen völkervertragsrechtlichen Verstoß der Bundesrepublik Deutschland (...) herbeizuführen."
2. Die Person soll einen ausgewählten Kreis von Abgeordneten über die Erkenntnisse informieren. Es handelt sich dabei um das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) und die sogenannte G10-Kommission, die Geheimdienst-Aktivitäten mit heimischem Recht abgleicht. Als drittes Gremium soll der NSA-Untersuchungsausschuss eingeweiht werden, der sich seit gut einem Jahr der globalen Spähaffäre widmet.
3. Die Bundesregierung schließt eine spätere Einsicht auf absehbare Zeit aus. Auch wird angedeutet, dass das Parlament nicht über jedes Detail informiert werden dürfe. So heißt es weiter:
"Ausgehend von der Tatsache, dass die Listen selbst nicht herausgegeben werden, sollte der Auftrag, der an die Vertrauensperson zu stellen wäre, so gestellt sein, dass eine Antwort erfolgen kann, ohne damit konkrete Inhalte der Liste offenzulegen."
4. Der NSA-Untersuchungsausschuss soll über die Personalie mitentscheiden können. Weit reicht die Mitsprache aber nicht: Die Abgeordneten sollen die Person benennen und Fragen zur Prüfung vorgeben. Allerdings setzt die Regierung den Beauftragten formal ein. Und was von den Ergebnissen an die Öffentlichkeit dringt, entscheidet ebenfalls - die Regierung.
5. Sehr wahrscheinlich wird der Sonderermittler kein aktiver oder früherer Politiker sein. Verschiedene Namen kursieren, etwa der von Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio. Die Vertrauensperson sollte auf Wunsch der Bundesregierung über "juristische und technische Expertise verfügen", heißt es in dem Papier weiter.
Ausschussmitglieder von Union und SPD begrüßten den Schritt und kündigten einen raschen Vorschlag für die Person des Ermittlers an. Die Opposition aus Grünen und Linken kritisierte das Vorgehen hingegen scharf. "Einem Sachverständigen der Regierung soll mehr Vertrauen entgegengebracht werden als gewählten Abgeordneten. Das Parlament wird unglaublich brüskiert und willkürlich entrechtet", sagte Linken-Obfrau Martina Renner. Grünen-Obmann Konstantin von Notz bezeichnete den Kompromiss als "armselig".
Die Bundesregierung fürchtet einen schweren Schaden für die US-Beziehungen, sollte Deutschland die Listen breiter offenlegen. Die Selektoren sollen Aufschluss darüber geben, in welchem Ausmaß die USA über Jahre deutsche und europäische Ziele ausspionierten - womöglich mit Wissen und Unterstützung des BND.
Pikant ist: Ein Teil der Stellungnahme der Bundesregierung zur Einsetzung eines Sonderbeauftragten wurde als geheim eingestuft. Das heißt, dass selbst die Juristen der Aufklärer sie nicht lesen dürfen. Das dürfte Klagen, wie sie die Opposition ankündigte, erschweren.
Dass alles auf einen Sonderbeauftragten hinauslaufen wird, hatte sich bereits abgezeichnet. Doch tatsächlich bekamen die Obleute die Nachricht am Mittwoch nicht persönlich zugestellt, sondern erfuhren sie zuerst per Nachrichtenagentur-Eilmeldung auf dem Smartphone.
Bis zur parlamentarischen Sommerpause sollen mehrere prominente Zeugen Auskunft geben, darunter Innenminister Thomas de Maizière und Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (beide CDU).
Zusammengefasst: Der NSA-Untersuchungsausschuss wird keinen Einblick in die geheime NSA-Selektorenliste erhalten. Die Bundesregierung fürchtet schweren Schaden für die Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten, sollten die Abgeordneten die Liste einsehen können. Das soll nun ein Sonderbeauftragter übernehmen - und die zuständigen Gremien im Bundestag begrenzt informieren.