
Kanzlerin Merkel: Offenes Ohr für die Autobosse
Geheimdiplomatie Merkel schmiedet europäische Allianz gegen CO2-Grenzwerte
Brüssel - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach SPIEGEL-Informationen mit teuren Finanzversprechen eine Allianz von EU-Ländern gegen strenge Kohlendioxid-Grenzwerte für Autos geschmiedet. Die Regelung, wonach ab dem Jahr 2020 Neuwagen nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen, soll eigentlich diesen Montag im Umweltministerrat abgestimmt werden.
Doch die Geheimdiplomatie des Kanzleramts hat offenbar dafür gesorgt, dass die Entscheidung erneut vertagt wird. Auf Drängen Deutschlands würden die Minister am Montag voraussichtlich nicht über die Pläne abstimmen, meldet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf nicht namentlich genannte Regierungs- und Industrievertreter.
Nach Informationen des SPIEGEL haben Beamte aus dem Kanzleramt die britische Regierung zur Blockade gewonnen, indem den Briten im Gegenzug ein Entgegenkommen bei der EU-Bankenunion versprochen wurde. Vergangenen Mittwoch reiste Kanzleramtsminister Ronald Pofalla mit drei Abteilungsleitern seines Hauses eigens nach Frankreich, um die Regierung von Staatspräsident François Hollande umzustimmen.
Weniger Bankenregulierung und Reform des Emissionshandels
Dort soll er unter anderem als Gegengeschäft versprochen haben, dass sich Deutschland stärker für eine Reform des Emissionshandels einsetzen wird. Nun drängt die deutsche Regierung die EU-Staaten zu Änderungen an der Verordnung. So sollen mehr "Super-Credits" als geplant an die Autokonzerne vergeben werden, mit denen Elektroautos mehrfach gegen den CO2-Ausstoß von Spritfahrzeugen aufgerechnet werden. Auch soll die schärfere CO2-Grenze nur für einen Teil der Pkw nach dem Jahr 2020 gelten.
Der Durchschnittswert von 95 Gramm soll zu Anfang nur für 80 Prozent der Fahrzeugflotte eines Herstellers gelten, erst 2024 müssten dann 100 Prozent erreicht werden. Dagegen dürfte sich das EU-Parlament wehren. Die Abgeordneten hatte das ursprüngliche EU-Konzept gemeinsam mit der Kommission und einer Mehrheit der EU-Länder ausgearbeitet.
Matthias Groote, der Vorsitzende des Umweltausschusses im EU-Parlament, sagte dem SPIEGEL, er habe noch nie erlebt, dass eine Vereinbarung derart dreist gekippt wurde. Der Sozialdemokrat kritisiert die Berliner Regierung: "Wir fühlen uns verschaukelt."
Bereits im Juni hatte die Bundesregierung eine Abstimmung über den 95-Gramm-Grenzwert platzen lassen. Merkel erklärte damals, Deutschland müsse "darauf achten, dass wir nicht die eigene industrielle Basis schwächen". Die Kanzlerin räumte ein, die Bundesregierung habe sich dafür eingesetzt, dass nicht abgestimmt wurde. Der Kompromiss war an einem Montagabend geschlossen worden und sollte am darauffolgenden Donnerstag abgestimmt werden. Zur Begründung sagte Merkel nach dem abgeblasenen Votum über die Richtlinie, man habe das Verhandlungsergebnis erst "sehr kurzfristig" erhalten.