Gemeinschaftswerk Energiewende Der Ein-Parteien-Staat

Kanzlerin Merkel mit Ministern: Willkommen im Ein-Parteien-Staat
Foto: WOLFGANG RATTAY/ REUTERSBerlin - Norbert Röttgen greift in diesen Tagen gern zum Pathos. Wenn der Umweltminister über den Atomausstieg referiert, schwärmt er von einem "Pionierprojekt", das die Regierung da angestoßen habe, einem "nationalen Gemeinschaftswerk". Ja, man könne ruhig von einem "Meilenstein" sprechen, sagt er.
Das ist kein ganz falsches Bild. Tatsächlich ist das, was Angela Merkels Mannschaft jetzt auf den Weg gebracht hat, eine Zäsur. Die Regierung kassiert sich selbst, statt der eben erst verabschiedeten Laufzeitverlängerung heißt es nun: Bis 2022 sollen alle Atomkraftwerke vom Netz gegangen sein, das Land macht auf Windparks, Sonne, Gas und Kohle. Es ist eine erstaunliche Kehrtwende in der Energiepolitik, und sie geht so weit, dass die schwarz-gelbe Koalition am Ende sogar den politischen Gegner für das Vorhaben gewinnen könnte - die SPD, vielleicht sogar die Grünen.
Die Atomwende von Union und FDP passt in die Zeit. Mit dem AKW-Abschied räumt die Regierung den letzten großen Gesellschaftskonflikt ab. Schon seit längerem ist zu beobachten, wie die politischen Fronten bröckeln, wie ideologische Gräben zugeschüttet werden. In den großen Fragen bewegen sich die Parteien immer stärker aufeinander zu - und sind mitunter kaum noch unterscheidbar. Polarisierer vom Schlage eines Horst Seehofer oder Sigmar Gabriel haben es schwer, gefragt ist eher der Typ Schlichter. Streit gibt es, wenn überhaupt, nur noch um technische Detailfragen. Es regiert: der Konsens.
Willkommen im Ein-Parteien-Staat.
"Das Ende des Atomzeitalters bedeutet zwar nicht das Ende aller Konflikte", sagt der Düsseldorfer Parteienforscher Ulrich von Alemann und verweist beispielhaft auf Fragen der Gentechnik oder der Schulformen. "Aber die großen konflitktträchtigen Überthemen sind mittelfristig nicht mehr zu erkennen. Wir und die anderen - so wie es früher einmal war -, das funktioniert nicht mehr." Das Freund-Feind-Denken nehme hierzulande immer mehr ab. "Wir haben nicht mehr die Umweltpartei, die Gewerkschaftspartei und die christliche Partei", sagt von Alemann. "Die Profile verschwimmen."
Kanzlerin ist wieder auf Konsenskurs
Ja oder nein, dafür oder dagegen, gut oder böse, das waren einst die Antworten auf politisch entscheidende Fragen - in den siebziger Jahren bei den Ostverträgen, in der Atomwaffendebatte in den Achtzigern, bei der Diskussion um die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr in den neunziger Jahren oder den Irakkrieg 2003. Der Wähler konnte sich entscheiden, er hatte klare Alternativen, rechts oder links.
Dann kam die Große Koalition. Es war die Geburtsstunde der Konsensrepublik, mit Angela Merkel als Präsidialkanzlerin an der Spitze, die nun ihren Höhepunkt findet. Rückblickend wirkt der schwarz-gelbe Wahlsieg von 2009 wie ein letztes Aufflackern des alten Lagerdenkens.
Zunächst versuchten die Gewinner tatsächlich, ihre ursprünglichen Positionen durchzusetzen - mit Hotelsteuer-Privileg, Einschnitten bei Sozialleistungen, Laufzeitverlängerung. Doch schnell war die Kanzlerin erschrocken über den Grad der Polarisierung, den der von ihr ausgerufene Herbst der Entscheidungen hervorgerufen hat. Die Wahlschlappen und die Katastrophe von Fukushima taten ihr übriges.
Merkel ist jetzt wieder auf Konsenskurs, will wieder "Kanzlerin aller Deutschen" sein, wie sie es schon am Abend des Wahlsieges von sich behauptete. Sie traut sich jetzt, auch das letzte Hindernis beiseite zu schieben, hinter dem sich die Ideologen noch verschanzen konnten. Denn in vielen anderen Grundsatzfragen haben sich die Parteien von Schwarz bis Grün ohnehin schon bis zur Symbiose angenähert.
- Vor allem in der Haushaltspolitik: Konsolidierung ist das höchste Staatsziel, fast alle Parteien haben sich dem Abbau von Verbindlichkeiten verschrieben. Ob Steuersenkungen oder Sozialprogramme - realisiert werden politische Vorhaben nur, wenn auch finanzielle Spielräume vorhanden sind. Die Schuldenbremse ist zur wichtigsten Messlatte in der Politik geworden. Es empfiehlt sich, auf sie zu schwören. Ansonsten gilt man rasch als haushaltspolitisches Irrlicht.
- Auch in der Sozialpolitik sind die Grenzen zwischen den Parteien fließend. Sicher, über einzelne Arbeitsmarktinstrumente und Regelsatzhöhen mag noch munter gestritten werden. Aber von den herkömmlichen Frontlinien ist schon länger nichts mehr zu sehen. Nirgends sonst gibt sich die Union sozialdemokratischer als auf diesem Feld: Das Elterngeld führten die Christdemokraten ein, den Kita-Ausbau trieben sie voran, selbst vor einzelnen Mindestlöhnen und Frauenquoten schrecken sie nicht mehr zurück. Sonst noch Wünsche?
- Krieg und Frieden: Nicht einmal mehr die Grünen, die gern ihre pazifistischen Wurzeln beschwören, sind grundsätzlich dagegen, deutsche Soldaten ins Ausland zu schicken. Ob im Kosovo, in Afghanistan oder beim Kampf gegen Piraten, die Bundeswehr ist weltweit im Einsatz. Es geht aber auch andersherum: Gerhard Schröder machte einst mit seinem Nein zum Irakkrieg Wahlkampf, Angela Merkel guckt heute beim Libyen-Krieg lieber nur zu.
So viel Nähe sorgt für Unbehagen. Wofür steht die SPD eigentlich noch, fragen sich nicht wenige Genossen. Und: Wie werden wir wieder erkennbar? Auch die Grünen fürchten um ihr Alleinstellungsmerkmal, wenn nun ausgerechnet die Union den Atomausstieg vorantreibt. Und in CDU und CSU nörgeln wieder einmal die Konservativen, ihre Vorsitzende verwässere das Profil bis zur Unkenntlichkeit. Die Angst vor der Beliebigkeit geht um.
Zu recht? Nicht unbedingt, findet Parteienforscher von Alemann. "Es ist ja nicht schlecht, wenn ideologische Überfrachtungen keine so große Rolle mehr spielen", sagt der Uni-Professor. Es werde allerdings schwieriger, den Wähler zu mobilisieren. "Der Wähler wird ratloser." Und ratlose Wähler bleiben gern mal zu Hause. Nach vier Jahren Großer Koalition war die Wahlbeteiligung von fast 78 Prozent im Jahr 2005 auf 70,8 Prozent im Jahr 2009 abgestürzt. Schon jetzt grübeln die Strategen in den Parteizentralen, mit welchem Thema man sich in den anstehenden Wahlkämpfen in Land und Bund von der Konkurrenz abgrenzen kann.
Am leichtesten dürfte das noch der Linken fallen. Denn - Ironie der Geschichte - ausgerechnet die SED-Nachfolger können nichts mit dem Ein-Parteien-Staat anfangen. Sie gefallen sich in der Ecke jenseits des politischen Herrschaftsdenkens. Nur taugt die Linke nicht als Alternative. Sie ist sich selbst nicht einmal sicher, ob sie wirklich regieren will.