Generaldebatte im Bundestag Merkel kämpft um ihre Macht
Berlin - Als es geschafft ist, wirkt Angela Merkel erleichtert und zufrieden. Von der Regierungsbank wandert ihr Blick über die vollbesetzten Reihen der Koalitionsfraktionen vor ihr. Die Abgeordneten von Union und FDP klatschen, ziemlich ausdauernd, am Ende sogar fast rhythmisch. Die Kanzlerin lächelt.
Die Erwartungen waren groß vor Merkels Auftritt zur Haushaltsaussprache am Mittwoch im Bundestag. Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher sprach im Vorfeld gar von der "möglicherweise bedeutsamsten Rede ihrer bisherigen Kanzlerschaft". Es geht um viel in diesen Tagen. Um die Zukunft des Euro, um die Geschlossenheit der schwarz-gelben Koalition - und damit auch um Merkels Job. Der Kanzlerin ist das bewusst. Und man kann sagen: Sie liefert. Zumindest an diesem Tag.
Dass Merkel keine besonders begeisternde Rednerin ist, ist bekannt. Aber die CDU-Chefin zeigt sich am Mittwochvormittag im Parlament betont kämpferisch. Sie ballt die Fäuste, sie klopft aufs Rednerpult, sie wird laut, sie stichelt gegen die Opposition, sie ermahnt die Kritiker in den eigenen Reihen. Der Bundestag erlebt an diesem Tag eine ernste Kanzlerin, die dem so oft geäußerten Vorwurf des Lavierens mit demonstrativer Entschlossenheit begegnen will.
Vor allem beim Euro. Merkel hat sich diesmal etwas mehr Pathos als sonst ins Manuskript schreiben lassen. Sie verweist auf die europäischen Gründerväter, deren Erbe man nicht verspielen dürfe. Das sei die "historische Aufgabe" dieser Generation. "Scheitert der Euro, scheitert Europa", warnt Merkel. Sie fordert ein "grundsätzliches Umdenken", Schluss mit der europäischen Schuldenparty, das ist die Botschaft, Merkel will die "Stabilitätsunion". Auf dem Weg dorthin dürften letztlich auch Änderungen am EU-Vertrag kein Tabu sein.
Vorlage aus Karlsruhe
Merkel nutzt die Vorlage aus Karlsruhe. Wegen des anstehenden Euro-Urteils des Bundesverfassungsgerichts hatte man die Tagesordnung für die Generaldebatte extra noch einmal ändern lassen. Die Kanzlerin wollte auf den Spruch aus Karlsruhe reagieren können. Jetzt sieht sie ihre Politik durch die Karlsruher Richter "absolut bestätigt". Das Gericht hatte am Morgen die Euro-Rettungsschirme grundsätzlich gebilligt, zugleich aber ausreichende Mitsprache des Parlaments angemahnt. "Das ist genau der Weg, den wir gegangen sind", sagt Merkel jetzt. Dass erst die eigenen Parlamentarier ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble auf diesen Weg zwingen mussten, sagt sie nicht.
Aber sie hat eine Mahnung für die Kritiker in den eigenen Reihen parat. Wer gegen die Rettungsschirme sei, der müsse wissen: "Wir haben keine Diskussion am theoretischen Reißbrett, wie wir uns eine politische Union vorstellen." Das soll heißen: Es ist keine Zeit für endlose Diskussionen, es ist die Zeit des Handelns. Ob sie mit solchen Appellen die Widerständler überzeugen kann, ist ungewiss. In Scharen hatten diese am Montag beim Stimmungstest zum erweiterten Euro-Rettungsschirm in den Koalitionsfraktionen Merkel die Gefolgschaft verweigert. Die Kanzlermehrheit für die entscheidende Abstimmung Ende September wackelt.
Die Grünen sehen die Regierung deswegen schon am Ende. "Die Kanzlerinnendämmerung ist unübersehbar", sagt Fraktionschef Jürgen Trittin. "Ich glaube, es wird Zeit für einen neuen Morgen." SPD-Amtskollege Frank-Walter Steinmeier nennt Schwarz-Gelb die "schlechteste Regierung seit Jahrzehnten".
"Dieser Regierung geht es schlecht"
Merkel hält dagegen, verteidigt die von Steinmeier als "katastrophal" gescholtene Halbzeitbilanz ihrer Regierung. Man habe angesichts der Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrise in zwei Jahren ein Arbeitsprogramm geleistet, das bei anderen Regierungen für eine ganze Legislaturperiode gereicht hätte. "Deutschland geht es im Sommer 2011 gut", ruft Merkel, "und das ist ein Grund zur Freude." Grünen-Mann Trittin kontert später: "Deutschland geht es gut, aber dieser Regierung geht es schlecht."
Den Beleg liefert die jüngste Umfrage: Union und FDP kämen derzeit zusammen nur auf 36 Prozent, haben die Meinungsforscher von Forsa errechnet. Würde der als SPD-Kanzlerkandidat hoch gehandelte Ex-Finanzminister Peer Steinbrück gegen Merkel antreten, lägen beide in der Wählergunst nahezu gleichauf. Steinbrück sitzt an diesem Mittwoch weiter hinten im Plenum als tags zuvor beim Auftritt von Wolfgang Schäuble. Da hatte er noch mit lauten Zwischenrufen den Spott des Finanzministers auf sich gezogen. Jetzt hält er sich zurück.
Überhaupt bleiben scharfe persönliche Attacken gegen die CDU-Chefin in der Generaldebatte weitgehend aus. Die Abrechnung erfolgt mit angezogener Handbremse. Aus Gründen der Pietät: Merkels Vater ist am vergangenen Freitag im Alter von 85 Jahren gestorben, ganz in Schwarz erscheint sie am Mittwoch im Bundestag. Steinmeier spricht ihr zum Auftakt seiner Rede im Namen seiner Fraktion sein Beileid aus - dann arbeitet auch er sich lieber an Schäuble ab.
Die Rücksichtnahme wird nicht lange halten, das weiß Merkel. Sie hat in dieser politischen Lage nicht einmal die Zeit zum Trauern, die in normalen Zeiten angemessen wäre. "Aber", sagt Merkel selbst an einer Stelle, "die Zeiten sind nicht normal."