Oberbürgermeister-Wahl in Gera Wo bald die AfD regieren könnte

AfD-Kandidat Dieter Laudenbach in der Innenstadt von Gera
Foto: SPIEGEL ONLINEDer AfD-Politiker Dieter Laudenbach sitzt mit vier Parteifreunden in seinem Café in Gera. Gelb gestrichene Wände, Rattansessel, grüner Filzboden - eine Zigarettenwolke durchzieht den dunklen Raum. "Graf Zeppelin" heißt das Lokal, an den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotografien der Luftschiffe. Ein Besuch im "Graf Zeppelin" gleicht einer Reise in eine alte Zeit.
Die Männer trinken Kaffee, auf dem Tisch liegen Zeitungen. "Schon wieder ein Überfall in der Innenstadt", sagt einer. "Und wer war es?", fragt ein anderer. "Na 'n Kanake natürlich. Das sind immer die selben." Die älteren Männer schütteln den Kopf. "Woher weißt du denn das?", fragt Laudenbach. Stille.
Laudenbach ist nicht immer damit einverstanden, was seine Parteifreunde von sich geben. Auf ihre Unterstützung aber möchte er nicht verzichten. Die Männer haben eine Mission. Es ist ihr morgendliches Treffen in Wahlkampfzeiten: Dieter Laudenbach, 60 Jahre alt, soll am Sonntag zum Oberbürgermeister in Gera gewählt werden. Vor anderthalb Wochen schaffte es der AfD-Kandidat mit 21,3 Prozent in die Stichwahl.
Der erste AfD-Oberbürgermeister im Land?
Was sich in der 90.000-Einwohner-Stadt im östlichen Thüringen dieser Tage abspielt, könnte am Sonntag in einer Zäsur für Deutschland enden: Sollte Laudenbach das Votum gewinnen, wäre er der erste AfD-Politiker im Land, der hauptamtlich eine Stadt regiert.
Der Thüringer Landesverband der AfD gehört zum äußerst rechten Flügel der Partei, Landeschef ist Björn Höcke. "Ich bin gemäßigt, ich halte nichts von Populismus", sagt Laudenbach. Mit den Provokationen einiger seiner Parteifreunde sei er nicht einverstanden, dazu gehörten auch jene von Höcke. In der Woche vor der Wahl sollte der Rechtsaußen eigentlich noch einmal in Gera auftreten - die Veranstaltung sei inzwischen abgesagt, heißt es aus der AfD Thüringen.
Selbst Laudenbachs politische Gegner in der Stadt geben zu, es seien im Wahlkampf keine rechtspopulistischen Äußerungen vom ihm gefallen. Und doch: Auf dem Wahlzettel wird hinter seinen Namen AfD stehen - jene Partei, die Leute wie Höcke in ihren Reihen toleriert.

Julian Vonarb, Kandidat Oberbürgermeister Gera
Foto: SPIEGEL ONLINEDer Mann, der Laudenbach verhindern will, heißt Julian Vonarb, 45, ein ehemaliges CDU-Mitglied, heute parteilos.
Für ein Treffen lädt Vonarb ins Kino "Metropol" in der Geraer Innenstadt. Vonarbs Einzug in die Stichwahl war für viele überraschend in der Stadt: Er kommt nicht aus Gera, nicht mal aus dem Osten - vielen ist er unbekannt.
Die Stadt brauche neue Ideen, sagt Vonarb. Das Stadtbild der Villen und Gründerzeithäuser erinnert an die reiche Textilstadt Anfang des 20. Jahrhunderts, zu DDR-Zeiten war Gera Bezirksstadt, lebte vom Uranabbau. Doch im Gegensatz zum thüringischen Jena und Erfurt konnte sich Gera wirtschaftlich nie richtig aufrappeln. Seit 1990 hat etwa ein Drittel der Einwohner die Stadt verlassen. 2014 mussten die Stadtwerke in Gera als erste in ganz Deutschland Insolvenz anmelden. Aufgrund des ruinierten Stadthaushalts verdonnerte die Landesregierung die Stadt zu harten Sparauflagen.

Horten-Kaufhaus
Foto: SPIEGEL ONLINEIn der Stadt erzählt man, Vonarb habe vor allem mit seinen Plänen überzeugt, ein altes Kaufhaus wieder eröffnen zu wollen: Mitten in der Innenstadt steht das "Horten-Kaufhaus", es ist das Gründungshaus der Kaufhauskette Hertie - eröffnet 1882. Seit 2003 steht der Kaufpalast in der Fußgängerzone leer, verkörpert symbolisch den Niedergang von Gera.
Die Rettung der Innenstadt
Vonarb ließ für eine Wahlveranstaltung die Türen öffnen, 3.000 Menschen strömten durch die Gänge mit den leeren Regalen. "Da gibt es eine große emotionale Bindung", sagt er.
Inzwischen hat er ein breites Bündnis hinter sich. Die Linken, die SPD und die Grünen sprachen sich ausgerechnet für ihn aus, den Mann aus der Wirtschaft. Die örtliche CDU, die inhaltlich nah an Vonarb ist, unterstützt hingegen keinen der beiden Kandidaten. Inzwischen rief aber der Thüringer CDU-Landeschef Mike Mohring zur Wahl Vonarbs auf. "Es wäre ein verheerendes Zeichen für Thüringen, wenn der erste AfD-Oberbürgermeister aus Gera käme", warnte Mohring in der "Leipziger Volkszeitung".
Im Café "Zeppelin" pustet Laudenbach den Rauch seiner Zigarette aus. Er kann nicht verstehen, dass die Kaufhaus-Aktion seines Gegenkandidaten so viele in Gera beeindruckt habe. Er trägt ein weißes T-Shirt, darüber ein blaues, offenes Hemd, eine Brille mit runden Gläsern.
Es war nicht einfach, sich mit dem potenziellen Oberbürgermeister zu treffen. Er reagierte kaum auf Anrufe, erklärte sich anfangs nicht bereit zu sprechen. "Ich will von Journalisten nicht aufs Glatteis geführt werden", sagt er. "Man rutscht ja bald auf der Schleimspur der Journalisten aus, die bei mir gerade anrufen."

Gera, AfD-Stand in der Innenstadt mit Dieter Laudenbach (Mitte rechts)
Foto: SPIEGEL ONLINELaudenbach trat im November 2015 in die AfD ein, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. "Wir werden die Flüchtlinge bald nicht mehr bezahlen können", sagt er. "Und es gibt keine Partei, in der man das noch sagen kann." In Gera leben so viele Flüchtlinge wie in keiner anderen Stadt in Thüringen. Die niedrigen Mieten der strukturschwachen Region ziehen sie an, weil sie es nach wie vor besonders schwer auf dem Wohnungsmarkt haben.
Gera solle weniger attraktiv für Flüchtlinge werden
In einem Video auf Facebook sagt Laudenbach, er wolle Gera deshalb "weniger attraktiv" für Flüchtlinge machen. Wie er das tun will, weiß er noch nicht genau: "Das müssen wir prüfen." Ansonsten: "Ich habe wirklich nichts gegen Ausländer."
Demnächst will Laudenbach sich mit dem Imam der einzigen Moschee der Stadt treffen. Ein deutsch-türkischer Freund fädele das gerade ein. Die Moschee wurde im vergangenen Jahr angegriffen: Unbekannte warfen am Weihnachtstag Ballons mit Schweineblut gefüllt auf das Gebäude, zerschmetterten die Fensterscheiben. Der Imam Salim Hassan sagt, er wolle hier in Frieden leben. Dafür sei er auch zu einem Gespräch mit einem AfD-Politiker bereit.
Eine Gruppe in Gera, die in diesem Jahr die ersten "Christopher-Street-Day"-Parade für Schwule und Lesben organisiert, fragte Laudenbach auf einem Podium, ob er kommen würde. "Ich würde ihn persönlich eröffnen", sagte er.
Ein Freund erzählt vom Bruch

Gera, Ernst-Dietrich Färber
Foto: SPIEGEL ONLINEErnst-Dietrich "Ed" Färber, 64, kennt Laudenbach seit Ewigkeiten, 30 Jahre war er mit ihm befreundet, bis es zum Bruch kam. Färber, graues schulterlanges Haar, eine Stimme wie ein voller Aschenbecher, ist in Gera für die Piratenpartei aktiv.
Vor etwa vier Jahren sei der Sohn Laudenbachs auf einer Reise verstorben, das "Zeppelin" hätte wirtschaftliche Probleme gehabt, erzählt Färber. Er wollte seinen Freund auf andere Gedanken bringen, nahm ihn mit in die Stadtpolitik. Was als Trauerarbeit gedacht war, wurde zu einer Leidenschaft: Laudenbach besuchte jahrelang öffentliche Ausschuss- und Stadtratssitzungen, dabei habe er einen Groll gegen die Parteien in der Stadt entwickelt.
Als dann einmal einige AfD-Mitglieder im "Zeppelin" eingekehrt seien, habe das Eindruck auf Laudenbach gemacht, sagt Färber. Das Wesen seines Freundes habe sich völlig verändert, früher hätte er niemals eine rechte Partei unterstützt.
Vom Praktikant zum Oberbürgermeister
Im "Zeppelin" spricht Laudenbach mit sanfter Stimme, er lächelt viel. Es gibt einige, die sich von ihm abgewandt hätten, seitdem er öffentlich für AfD auftritt, sagt er. "Kauft nicht bei Juden', soweit ist es also schon." Eine hochrangige Stadtvertreterin, die 20 Jahre Stammkundin gewesen sei, habe ihm erklärt, sie wolle nicht mehr mit ihm sprechen.
Wenn er am Sonntag die Stichwahl gegen Julian Vonarb gewinnt, würde er eine Stadtverwaltung mit etwa 1.000 Mitarbeiten führen. Hat er Angst? "Nein, aber natürlich habe ich Respekt." Sein ganzes Leben war er Gastronom, zu DDR-Zeiten arbeitete er im Geraer Interhotel.
In der Verwaltung hat er bisher keine Erfahrung. Er wolle deshalb, sagt er, für die acht Wochen nach der Wahl bis zum Amtsantritt ein unbezahltes Praktikum absolvieren und durch jede Station der Verwaltung gehen. Laudenbach nimmt seine Brille ab und sagt: "Ich muss ja wissen, worum es hier eigentlich geht."