Kulturgut Roster in Thüringen Unbekannte verwirren mit Flyer über angeblich vegane Modellstadt Gera

Das Aus für die Thüringer? Eine fleischlose Bratwurst aus Lupinenkernen
Foto: Fredrik Von Erichsen / picture alliance / dpaDie Ankündigung klingt für Thüringerinnen und Thüringer dramatisch: Geplant sei eine »radikale Einschränkung der Bratwurststände im gesamten Stadtgebiet«, falls diese nicht auch je zur Hälfte vegane Würste ins Angebot nehmen. Später solle die Regel auch auf Fleischereien und Gaststätten ausgeweitet werden. In den Kantinen gelte die 50:50-Regel selbstredend auch, hinzu kämen zwei komplett fleischfreie Tage pro Woche. Und: Die Fleischereifachverkäuferin dürfe Minderjährigen kein Würstchen mehr in die Hand drücken.
Das angebliche Unheil droht der Stadt Gera in Ostthüringen. So zumindest steht es auf einem Flyer, der auf Facebook die Runde macht und in mehreren Briefkästen gelandet sein soll. Demzufolge soll Gera nach dem Willen der Thüringer Landesregierung und der Verbraucherzentrale in einem Modellversuch zur »Vegan City« werden. Zum Flyer gibt es eine Unterschriftensammlung, mit der sich Geraerinnen und Geraer gegen die angebliche Veganisierung der Bratwurststadt wehren können.
Allein: Die »Vegan City« gibt es nicht. Weder auf den Seiten der Stadt Gera noch beim Thüringer Gesundheitsministerium oder beim Thüringer Verbraucherschutz finden sich Eingaben zu so einem Modellprojekt. Die Thüringer Staatskanzlei bestätigt dem SPIEGEL auf Nachfrage, dass niemand in der Landesregierung ein Projekt namens »Vegan City« plane. »Die Behauptungen aus dem Flyer können nicht bestätigt werden«, heißt es.
Auch in der Stadt Gera selbst hat man noch nie davon gehört, das bestätigte die Stadtverwaltung gegenüber »Antenne Thüringen« . Sie empfiehlt den Bürgerinnen und Bürgern demnach, ihre Daten besser nicht in die Unterschriftenliste einzutragen.
Auf Facebook empören sich in einer stadtinternen Gruppe viele Nutzerinnen und Nutzer über die Meldung. Das Verschenkverbot sei »der Hammer«, schreibt einer, »ich hab mich als Kind immer gefreut, wenn die nette Fleischverkäuferin mir ne Wiener in die Hand gedrückt hat«.
Andere Kommentierende vermuten hingegen einen Scherz oder gezielte Stimmungsmache im Wahlkampf. Der oder die Urheber könnten Anleihen am echten Projekt »Smart City« genommen haben. Darin fördert das Bundesinnenministerium Digitalisierungsprozesse in deutschen Städten und Gemeinden. Gera ist seit 2019 Teil des Modellprojekts . Als vermeintlichen Beweis der Echtheit von »Vegan City« lud ein Diskutant auch einen Aufkleber hoch, der Stimmung für das fleischlose Projekt machen soll. Der Sticker sei ihm von Insidern zugespielt worden.
Wahlkampf mit »Veggie Day« und Currywurst-Rettung
Wie ernst es beim Thema Wurst werden kann, zeigte schon der Wahlkampf 2013. Damals hatten die Grünen in ihrem Wahlprogramm einen »Veggie Day« vorgeschlagen, einen fleischlosen Tag pro Woche in den deutschen Kantinen. Die Idee erntete massive Kritik, die Grünen sackten bei der Wahl auf 8,4 Prozent der Stimmen – und hatten dann selbst die »Veggie Day«-Wut als einen der wichtigen Gründe für ihr schwaches Abschneiden benannt.
Auch der diesjährige Bundestagswahlkampf wurde bereits von Wurst-Protest flankiert: Als VW verkündete, auf Wunsch der Mitarbeitenden eine seiner knapp 30 Werkskantinen in Wolfsburg künftig auf vegetarische Produkte umzustellen, wetterte Altkanzler Gerhard Schröder gegen die Aktion. Currywurst mit Pommes sei »einer der Kraftriegel« der Arbeitenden – das dürfe man nicht verbieten. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet posierte bei einem Wahlkampftermin kurz darauf mit Wurst, ein Parteigenosse verkündete dazu auf Twitter : »Deutschland braucht endlich wieder einen Kanzler, der den Wert der Currywurst zu schätzen weiß.«
Am Ende könnte hinter der Aufregung weder böse Wahlkampf-Absicht noch ein schlechter Scherz stecken – sondern schlicht ein Kunstprojekt. Derjenige, der die Unterschriftenliste zuerst in Umlauf brachte, ist ein in Gera lebender Maler.