Geringe Wahlbeteiligung Europa lässt die Deutschen kalt

Kurz vor Schließung der Wahllokale zeichnet sich in Deutschland eine geringe Beteiligung an der Europawahl ab - sogar ein schlechterer Wert als beim Rekordtief vor fünf Jahren ist möglich.

Berlin - Verhalten bis schleppend - mit diesen Worten beschrieben am Sonntag viele Wahlleiter den Ablauf der Europawahl in Deutschland. In vielen Bundesländern lag die Beteiligung in den späten Nachmittagsstunden unter dem Wert des Jahres 2004, so etwa in Hessen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Berlin und im Saarland.

Bis 14 Uhr gaben nach Angaben des Bundeswahlleiters in Deutschland 20,2 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. 2004 lag die Beteiligung zur selben Zeit 20,4 Prozent. Das Europaparlament wird seit 30 Jahren direkt gewählt. Seit 1989 sank die Beteiligung an der Europawahl in Deutschland stetig. 2004 fiel sie auf ein Rekordtief von 43 Prozent. Im Jahr 1999 waren es noch etwas mehr als 45 Prozent gewesen.

Die Wahlberechtigten hierzulande können bei der siebten Europawahl seit 1979 bis 18 Uhr ihre Stimme abgeben. Gewählt werden in Deutschland die 99 deutschen Abgeordneten im EU-Parlament mit seinen insgesamt 736 Sitzen. Der Wahltag, an dem auch Kommunalwahlen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland stattfinden, gilt als Stimmungstest vor der Bundestagswahl am 27. September.

Aus der Europawahl 2004 war die CDU/CSU mit 44,5 Prozent als klarer Sieger hervorgegangen. Die SPD stürzte auf 21,5 Prozent ab. Die Grünen kamen auf 11,9 Prozent, die FDP auf 6,1 Prozent und die Linke - damals noch die PDS - auf 5,8 Prozent. Die Union wird nach Meinungsumfragen auch diesmal trotz deutlicher Verluste wieder stärkste Kraft. Die SPD kann demnach ihren Einbruch von 2004 nur zum Teil wettmachen.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso forderte bei seiner Stimmabgabe für die Europawahl alle EU-Bürger auf, ebenfalls wählen zu gehen. "Ich hätte gern, dass sich die Tendenz einer sinkenden Wahlbeteiligung umkehrt", sagte Barroso am Sonntag in einem Wahllokal in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon. "Ich hoffe, dass die Leute wählen."

Seit Donnerstag sind 375 Millionen EU-Bürger zur Abstimmung über das neue Europaparlament aufgerufen. Damit ist dies die größte Wahl in der westlichen Welt. In Deutschland und 18 weiteren Mitgliedstaaten wird am Sonntag abgestimmt. Erst nach Schließung der italienischen Wahllokale um 22 Uhr werden in Brüssel die ersten EU-weiten Ergebnisse bekanntgegeben.

Auch in Italien zeichnete sich bei der Europawahl eine niedrigere Wahlbeteiligung als vor fünf Jahren ab. Bis zum Sonntagmittag hatten 30,7 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, 2004 waren es um diese Zeit bereits 34,1 Prozent, wie das Innenministerium mitteilte. Seit Samstagnachmittag 15 Uhr und noch bis zur Schließung der Wahllokale am Sonntagabend um 22 Uhr sind rund 50 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen, um die 72 italienischen Sitze im EU-Parlament neu zu besetzen. Neben den Europawahlen wird in Italien am Wochenende außerdem in 62 Provinzen und 4281 Städten, darunter 30 Provinzhauptstädten, gewählt.

Schlappe für die irische Regierung

In Österreich überrundete die konservative ÖVP Hochrechnungen zufolge die sozialdemokratische SPÖ klar. Die ÖVP holte rund 30,2 Prozent der Stimmen, während die Sozialdemokraten nur auf 23,9 Prozent kamen, wie sich am Sonntag nach Auszählung von gut einem Fünftel der Stimmen abzeichnete. Die Sozialdemokraten von Kanzler Werner Faymann mussten damit im Vergleich zur Europawahl 2004 eine herbe Einbuße von rund neun Prozentpunkten einstecken, wie aus der Analyse des Instituts ARGE hervorgeht. Auch die ÖVP, die aus der vergangenen Europawahl nur als zweitstärkste Kraft hervorging, büßte allerdings rund 2,5 Prozentpunkte ein.

Überraschend gut schnitt dagegen die Liste von Euro-Skeptiker Hans-Peter Martin mit - laut Hochrechnungen - 17,9 Prozent der Stimmen ab. Martin wurde von der größten Zeitung des Landes, der "Kronen-Zeitung", unterstützt und legte verglichen mit 2004 um 3,9 Prozentpunkte zu. Im Vergleich zur Parlamentswahl 2008, in der sie noch rund 30 Prozent der Wählerstimmen holten, mussten Österreichs Rechtspopulisten beim Europa-Votum Verluste einstecken - auch wenn sie verglichen mit der Europawahl 2004 zulegten: Die FPÖ liegt Hochrechnungen zufolge bei 12,8 Prozent, die von ihr im Jahr 2005 abgespaltene BZÖ käme demnach auf 4,7 Prozent der Stimmen.

Die Grünen mussten laut Hochrechnung einen kräftigen Stimmenverlust hinnehmen - für sie entschieden sich demnach nur 9,2 Prozent der Wähler, das sind 3,7 Prozentpunkte weniger als 2004. In Österreich waren knapp 6,4 Millionen Wahlberechtigte zur Europawahl aufgerufen, sie entscheiden über 17 der 736 Sitze im Europäischen Parlament.

In Irland steuerte die Regierung bei den Europawahlen auf eine kräftige Schlappe zu. Die konservative Partei von Ministerpräsident Brian Cowen, Fianna Fail, kommt nach Prognosen auf rund 23 Prozent - 6,5 Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren, berichtete das Wahlforschungsinstitut Lansdowne am Samstag. Damit ist die Regierungspartei erstmals nicht die stärkste Kraft im Land.

Die Oppositionspartei Fine Gael kam nach der Prognose auf rund 30 Prozent. Zudem hatte der Chef der europafeindlichen Partei Libertas, Declan Ganley, nach Medienberichten vom Sonntag gute Chancen ins Europaparlament einzuziehen. Landesweit kam seine Partei der Prognose zufolge auf vier Prozent. Ganley hatte eine Kampagne gegen den Vertrag von Lissabon angeführt. Diesen hatten die Iren vor einem Jahr abgelehnt und die EU damit in eine schwere Krise gestürzt. Oppositionsführer Enda Kenny kündigte am Samstagabend an, am kommenden Dienstag ein Misstrauensvotum im Parlament voranzubringen. Auch bei den gleichzeitig mit der EU-Wahl abgehaltenen Kommunalwahlen war die Regierungspartei abgestürzt. Für die Prognose hatte Lansdowne im Auftrag des Senders RTE und der Zeitung "Sunday Independent" am Freitag mehr als 3300 Wähler nach ihrer Stimmabgabe befragt.

Stimmenkauf in Bulgarien

Aus Bulgarien wurden Fälle von Stimmenkauf bei der Europawahl gemeldet. Dabei soll eine Wählerstimme bis zu 40 Lewa (20 Euro) gekostet haben, berichtete der bulgarische Staatsrundfunk aus dem Süden des Landes. Die Wahlbeteiligung lag am frühen Nachmittag mit 26 Prozent höher als erwartet. Sie war damit fast doppelt so hoch wie zum Vergleichszeitpunkt der Nachwahl für das EU-Parlament 2007, wie das Meinungsforschungsinstitut NZIOM in Sofia berichtete.

Wahlen in Bulgarien waren immer wieder von Stimmenkauf überschattet worden. Diese Praxis wurde bereits von der EU kritisiert, der das Balkanland seit 2007 angehört. Experten vom Zentrum für Demokratie-Forschung in Sofia hatten errechnet, dass die Parteien aus ihren schwarzen Kassen mindestens sechs Millionen Euro für den Kauf von Stimmen ausgeben würden.

Wegen der anhaltender Korruption in Bulgarien hatte Brüssel vor fast einem Jahr Hilfen von rund 500 Millionen Euro gestoppt und 200 Millionen Euro ganz gestrichen. Dies führte im Wahlkampf für die EU-Wahl zu scharfer Kritik der rechten Opposition an der von Sozialisten dominierten Koalitionsregierung in Sofia.

hen/dpa/AP/ddp/AFP
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