Gescheiterte Verhandlungen in Berlin Rot-Grün crasht auf der A100

Die einen wollten die Berliner Stadtautobahn partout bauen, die anderen auf keinen Fall - dazwischen gab es keinen Millimeter Spielraum, darum sind die Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen gescheitert. Die Macht für Bürgermeister Wowereit soll nun die CDU sichern.
Gescheiterte Verhandlungen in Berlin: Rot-Grün crasht auf der A100

Gescheiterte Verhandlungen in Berlin: Rot-Grün crasht auf der A100

Foto: DPA

Berlin - Die rot-grünen Gespräche könnten als kürzeste Koalitionsverhandlungen aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Nur gut eine Stunde brauchten SPD und Grüne in Berlin, dann stand schon in der ersten Runde fest: Es geht nicht. Die Hauptstadt wird in den nächsten fünf Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach nicht rot-grün regiert.

Das Bündnis scheitert an einem 3,2 Kilometer langen Stück Stadtautobahn. Eigentlich wollten SPD und Grüne am Mittwochvormittag zunächst eine in drei Sondierungsgesprächen gefundene Sprachregelung zu dem umstrittenen Weiterbau der A100 präzisieren, um dann den Fahrplan für die weiteren Verhandlungen festzuzurren. Dazu kam es nicht mehr. Die Differenzen zum Ausbau der A100 seien unüberbrückbar, es gebe keine tragfähige Grundlage, ließen Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und SPD-Landeschef Michael Müller wissen. Die Grünen-Landesvorsitzende Bettina Jarasch erklärte, es gehe nicht nur um die A100, sondern überhaupt um eine sinnvolle Infrastrukturpolitik.

Beide Seiten schieben sich nun gegenseitig die Schuld für das Platzen der Gespräche in die Schuhe. Fraktionschef Volker Ratzmann warf der SPD vor, keine ausreichende Kompromissbereitschaft gezeigt zu haben. SPD-Landeschef Müller hielt dagegen: "Wir haben deutliche Kompromissangebote gemacht. Aber es gibt einen Punkt, wo alle Gespräche mal beendet sind."

Und dann können andere beginnen: Nach der Sitzung des Landesvorstandes am Mittwochabend war klar, dass die Berliner SPD in Koalitionsgespräche mit der CDU einsteigen will. Laut SPD-Landeschef Michael Müller ist die Zustimmung mit nur einer Enthaltung und ohne Gegenstimmen erfolgt.

Grüne Schmerzgrenze überschritten

Der Konflikt zwischen SPD und Grünen um die A100 hatte sich bis zuletzt zugespitzt. Die SPD will den Bau der Stadtautobahn zwischen den Stadtteilen Neukölln und Treptow, die Grünen sind dagegen - und beide Seiten beharren auf ihren Maximalpositionen. Wie also sollte ein echter Kompromiss aussehen?

Beobachter witzelten, das Teilstück könnte nach Renate Künast benannt werden, der unterlegenen Grünen-Spitzenkandidatin, auch über Tempo 30 oder Rollrasen als Fahrbahnbelag wurde gespottet. Die gefundene Formel, mit der beide leben können sollten, lautete aber: Berlin werde sich um die Umwidmung der bereits zugesagten Bundesfinanzmittel von über 400 Millionen Euro bemühen. Es war wenig überraschend, dass Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) große Freude daran fand, einer möglichen rot-grünen Landesregierung schnell klarzumachen, dass daraus nichts werde. Während aber die SPD bei einer Absage die A100 eben doch bauen wollte, blieben die Grünen dabei: Sie wollten die Autobahn verhindern - oder nur 900 Meter bauen, was an diesem Mittwoch laut Ratzmann die grüne "Schmerzgrenze" gewesen sei.

Sehenden Auges ins Verderben

So liefen die angeblichen Wunschpartner sehenden Auges ins Verderben. Vor allem die Grünen wollten nicht wahrhaben, dass es in Wahrheit nichts mehr zu präzisieren gab an einem Kompromiss, der nie wirklich einer war. Unbedingt wollten die Grünen diese Regierung, von der sie vor ein paar Monaten im Umfragehoch noch glaubten, sie könnten sie mit einer Regierenden Bürgermeisterin Künast womöglich selbst anführen. Doch der Wahlsonntag vor zweieinhalb Wochen brachte der Ökopartei zwar kräftige Gewinne, sie blieben aber drittstärkste Kraft, deutlich hinter der CDU. Der grün-rote Traum war endgültig geplatzt, die rot-grüne Mehrheit war möglich, aber wacklig: nur ein Mandat über den Durst.

Jetzt äußern die Verhandlungsführer der Grünen offen den Verdacht, dass Wowereit die Koalition mit ihnen gar nicht ernsthaft anstrebte. "Es gab nicht wirklich den Willen bei der SPD, gemeinsam mit uns eine Koalition einzugehen", sagte Grünen-Chefin Jarasch, ähnlich drückte es Fraktionschef Ratzmann aus. Auch aus der Bundesspitze gibt es solche Stimmen. Nach den Provokationen der SPD in den letzten Wochen und Tagen sei klar geworden, "dass Wowereit eine Koalition mit uns Grünen nie wollte", hieß es in einer Erklärung der Grünen-Chefs Claudia Roth und Cem Özdemir. "Es ging ihm offenkundig immer darum, eine Brücke in Richtung CDU zu bauen." SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wies das umgehend zurück: Die Grünen seien "intern nicht sortiert" gewesen, sagte sie dem "Tagesspiegel". "Wenn es nun um die Ursachenforschung geht, sollten die Grünen sich an die eigenen Nase fassen."

Tatsächlich aber hat Wowereit die Grünen von Anfang an nicht mit großem Enthusiasmus umgarnt. Im Gegenteil: Der Regierende hat klargemacht, dass er auch mit der CDU könnte. Die Sondierungsgespräche mit den Christdemokraten waren keine Show, ein rot-schwarzes Bündnis aus seiner Sicht eine echte Option. Der Autobahnbau wäre mit der CDU jedenfalls kein Problem, andere Meinungsverschiedenheiten leichter auszuräumen als die Glaubensfrage "A100 - ja oder nein" mit den Grünen. Und nicht zuletzt: Ein Bündnis mit der Union könnte sich im Abgeordnetenhaus auf eine stabile Mehrheit von zehn Stimmen stützen.

SPD-Linke hat Probleme mit Rot-Schwarz

Allerdings ist die SPD-Basis einer Großen Koalition nicht besonders wohlgesonnen. Der linke Flügel ist bei den Berliner Sozialdemokraten traditionell sehr stark - und der linke Flügel wollte Rot-Grün. Ob das auch für Wowereit galt, daran hatte auch mancher SPD-Linker von vornherein seine Zweifel. Klar ist, für ein rot-schwarzes Bündnis müsste der Regierende an der Basis viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Berliner Jusos meldeten sich am Mittwoch bereits warnend zu Wort. "Wir nehmen die Absage an eine Koalition mit den Grünen nicht einfach hin", erklärte Juso-Landeschef Christian Berg. Rot-Grün wäre "die einzig mögliche Koalition für ein soziales und ökologisches Berlin" - und zugleich "Vorreiter für einen Wechsel im Bund 2013".

Genau das ist ein Knackpunkt auch für viele bundespolitische Rot-Grün-Verfechter. In den Zentralen der Bundesparteien von SPD und Grünen hatte man sich aus dem Roten Rathaus ein deutliches Signal für die Bundestagswahl 2013 gewünscht, wenn SPD und Grüne ihren aktuellen Umfragevorsprung gerne in einen Machtwechsel ummünzen wollen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ätzt bereits, der Startschuss für eine rot-grüne Renaissance sei "gründlich nach hinten losgegangen". Spitzenvertreter von Genossen und Grünen beeilen sich dagegen, das Berliner Scheitern zur "regionalen Entscheidung" herunterzuspielen, wie es SPD-Generalsekretärin Nahles nannte. Grünen-Chefin Roth sagte der "Süddeutschen Zeitung", nur wegen Wowereit gebe sie die Perspektive einer rot-grünen Koalition im Bund bestimmt nicht auf.

Die Berliner Jusos wollen das auch in der Hauptstadt noch nicht tun. Die "eigenmächtige Entscheidung der SPD-Spitze" sei nicht hinnehmbar, erklärten sie. Dennoch wird der SPD-Landesvorstand auf einer Krisensitzung am Mittwochnachmittag den Weg für Verhandlungen mit der CDU wohl freimachen. Deren Landeschef Frank Henkel zeigte sich offen. "Sollte es ein Verhandlungsangebot der SPD geben, werden wir uns dem nicht verschließen", sagte Henkel. Das Sondierungsgespräch mit der SPD habe eine solide Basis für weitere Gespräche aufgezeigt.

Und noch jemand signalisierte am Mittwoch umgehend Gesprächsbereitschaft: die Berliner Piraten, die bei der Abgeordnetenhauswahl überraschende 8,9 Prozent absahnten. Noch am Nachmittag wollten sie eine Fraktionssitzung abhalten - und anschließend SPD, Linken und Grünen "Sondierungsgespräche anbieten", verbreiteten die Piraten über Twitter.

Die Newcomer fachsimpeln dort bereits - nicht ganz ernst gemeint -, wie eine rot-rot-orangefarbene Koalition in der Hauptstadt, also das sehr unwahrscheinliche Bündnis aus SPD, Linken und Piraten, heißen würde. Ihre Gefolgschaft riefen sie zum Brainstorming auf, denn neben "Jamaika" und "Ampel" seien nun wohl neue Farbspiel-Kreationen gefragt. Erste Vorschläge: "Paprika", "Abendrot" und "Tequila Sunrise".

Mitarbeit: Annett Meiritz
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