Gesine Lötzsch und Petra Pau Die Picknick-Politikerinnen

Sie sind im Bundestag die letzten sichtbaren Überbleibsel des Real-Sozialismus: Verzweifelt versuchen die gemobbten PDS-Abgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch politischen Boden zu gewinnen. Doch Schlagzeilen machen nur ihre Sitzplätze im Parlament, Beistelltische und ein Picknickkorb.
Von Sabine Hoffmann

Berlin – Für das Team vom NDR ist der Picknick-Korb eindeutig der größte Brüller. "Können Sie mal eine Orange reinlegen?", bittet der Kameramann die PDS-Abgeordnete Gesine Lötzsch. Der Beitrag ist für das Satiremagazin "Extra Drei". Doch das stört die PDS-Frau nicht. Gesine Lötzsch sagt "Hm, lecker", nimmt eine Orange und legt sie zu Lebkuchen, belegten Knäckebrot-Stullen und einer Thermoskanne mit Kaffee in den Picknickkorb. Schließlich will sie zusammen mit ihrer Kollegin Petra Pau Werbung für die PDS machen. Und dafür nehmen die beiden Frauen einiges in Kauf.

Es ist Mittwochmorgen, 11 Uhr im Abgeordnetenhaus Unter den Linden. Im ersten Stockwerk des Gebäudes liegen die Büros der PDS. Gesine Lötzsch arbeitet im Raum Nummer 1023, Petra Pau in Zimmer 1028. Die beiden Frauen sind die einzigen Abgeordneten der PDS. In der vergangenen Legislaturperiode saßen hier noch 37 PDS-Abgeordnete. Mit je einem Direktmandat zogen sie in den Bundestag. Nur 1.915.797 Wähler gaben der SED-Nachfolgepartei ihre Stimme – die Partei scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde. Gesine Lötzsch und Petra Pau sind mangels Kollegen fraktionslos.

Die 41-jährige Lötzsch sitzt am Schreibtisch und schreibt Weihnachtskarten an Gerhard Schröder, Renate Künast und Wolfgang Clement. Ihr kinnlanges Haar ist blond gesträhnt. Sie trägt einen braunen Cordblazer, hellbraune Hosen und ein weißes Shirt. Gesine Lötzsch blickt aus dem Fenster. Dort steht eine graue Hauswand. Dann reckt sie das Kinn nach rechts und sagt: "Das ist mein Büro." 36 Quadratmeter Arbeitsfläche teilt sie sich mit zwei Mitarbeitern und drei studentischen Hilfskräften.

Elf Schritte weiter stürmt Petra Pau, roter Igelkopf, Sommersprossen, grauer Anzug, in Raum 1028. Eigentlich müsste sie noch im Innenausschuss sitzen. Doch die Verfassungsrichter in Karlsruhe haben das Zuwanderungsgesetz gekippt. Die Sitzung wurde aufgelöst. Petra Pau schreibt eine Pressemitteilung: Die Entscheidung der Richter sei "politisch fatal", weil die Becksteins (CSU) und Kochs (CDU) nunmehr mit ihren ausländerfeindlichen Parolen und Aktionen punkten könnten. Die Deutsche Presseagentur, Reuters und Associates Press werden die Meldung nicht drucken. Erst am nächsten Tag wird die PDS wieder im Tickerdienst auftauchen: Mit der Forderung nach Hochwasserhilfen für Kleingärtner. Das wurmt Petra Pau mächtig.

Aufgeben? Nein, danke!

An Aufgeben denkt sie aber trotzdem nicht. So weit sei sie noch nicht, sagt Pau. Ihre Kollegin Lötzsch erklärt: "Politik ist nichts für Sensibelchen." Die zwei PDS-Frauen wollen weiter kämpfen – um neue Wähler und den Gruppenstatus. Denn sie sind de jure nicht nur fraktionslos, sondern bilden noch nicht einmal eine Gruppe. Das hat Folgen. Denn der Gruppenstatus bringt zwar nicht alle Rechte, die eine Fraktion hat, aber deutlich mehr, als einzelne Abgeordnete besitzen. Und es bringt mehr Geld für Mitarbeiter, Bücher und Fachkonferenzen: Pro Person gehen Gesine Lötzsch und Petra Pau jeden Monat 5826 Euro durch die Lappen, mehr als 500.000 Euro in der ganzen Legislaturperiode.

Und das ist noch nicht alles: Sie dürfen keine Gesetzesinitiative einbringen, dürfen im Plenum keine Anträge stellen und nur in einem Ausschuss sitzen. Gesine Lötzsch hat sich für den Haushaltsausschuss entschieden, Petra Pau hat den Innenausschuss gewählt. Zwar dürfen die beiden PDS-Abgeordneten an den Ausschusssitzungen teilnehmen. Doch bei Abstimmungen dürfen sie nicht mitmachen.

"Wir kämpfen um einen Tisch"

Es ist Sitzungstag, 13 Uhr. Gesine Lötzsch und Petra Pau marschieren die Dorotheenstraße entlang Richtung Bundestag. Dort beginnt in Kürze die Fragestunde. Vier Fragen dürfen die beiden Frauen jede Woche der Bundesregierung stellen. Nach einem 15-minütigen Fußmarsch betreten die PDS-Abgeordneten das Plenum. Den Picknickkorb haben sie mitgenommen. Der Ältestenrat hat ihnen die schlechtesten Sitze zugewiesen. So weit hinten saß fast noch nie jemand. Links von der SPD stehen die beiden blauen Sessel der Abgeordneten. Manchmal blieben andere Abgeordnete stehen und bekundeten ihr Beileid, erzählt Lötzsch. Denen rät sie: "Sagen Sie das Ihrer Fraktion."

Doch daraus ist bislang nichts geworden. "Wir kämpfen um einen Tisch", sagt Lötzsch. Sie legt ihren Ordner auf den Sitz, die Umhängetasche legt sie auf den Boden. "Es geht nicht, dass wir auf den Knien schreiben müssen", sagt Lötzsch. Es habe einen Briefwechsel mit Thierse gegeben. Doch der habe gemauert: "Sie haben kein Anrecht auf einen Tisch."

Dann kam die Erleichterung. Die beiden Frauen bekamen zwei Beistelltische. Doch die Freude war nur von kurzer Dauer: Nach einer Sitzungswoche waren die Tische wieder verschwunden. "Das war eine Anweisung von oben", sagt Lötzsch. Auch ein Tischtelefon haben sie nicht. Das steht nur Abgeordneten in den ersten fünf Reihen zu. Zwar bekamen sie für kurze Zeit ein schnurloses Telefon. Doch zu groß war der Neid der anderen Abgeordneten, die ihre Telefone nicht auf den Flur mitnehmen konnten. Die Leitungen wurden gekappt. Zwischen den Sitzungen müssen die beiden Frauen nun zum Telefonieren ins Foyer gehen.

Nur Petra Pau applaudiert

Um 14.15 Uhr tritt Gesine Lötzsch ans Mikro und sagt: "Mein Name ist Gesine Lötzsch. Ich bin Abgeordnete der PDS." Bei Plenarsitzungen macht sie das immer, denn die beiden Frauen dürfen nicht mit ihrer Parteizugehörigkeit aufgerufen werden. Ein FDP-Mann hatte sich bei Bundestagspräsident Wolfgang Thierse beschwert, nachdem dieser bei einer Sitzung im Plenum gerufen hatte: "Abgeordnete Petra Pau, PDS." Thierse beugte sich dem Willen des FDP-Manns. Die Partei sei nicht zu nennen, weil die beiden Frauen fraktionslos seien.

Dann fragt Gesine Lötzsch, ob der Bundesregierung bekannt sei, dass der heutige Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt an der Konstruktion der Berliner Bankgesellschaft beteiligt gewesen sei. Nur Petra Pau applaudiert. Gesine Lötzsch blickt zum Ausgang. Vor der Tür steht der Picknickkorb. Aus Protest gegen das strenge Regiment der Bundestagsverwaltung haben sie den Ausflugskorb mitgenommen.

Die beiden würden ihre Randlage märtyrerhaft inszenieren, seufzt dagegen der Bundestagspräsident. Dabei hätten sie gegenüber anderen Abgeordneten sogar ein Privileg. Zu jedem Tagesordnungspunkt dürfe eine von beiden reden. Wer könne das noch, außer den 'Elefanten'?

So hält sich Thierses Mitleid in Grenzen. Denn "das Einsamkeitsurteil über die beiden hat außerdem der Wähler gesprochen, nicht die Bundestagsverwaltung", sagt er.

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