Gespaltene Linke Warum die Genossen nicht nach der Macht greifen

SPD-Chef Gabriel nach der Saar-Wahl: Mangel an sozialdemokratischer Skrupellosigkeit
Foto: Wolfgang Kumm/ dpaDas Volk wählt links - doch die Gewählten haben damit ein Problem. Mehr noch: Sie tun sich schwer, die linke Mehrheit, über die sie verfügen, als solche überhaupt wirklich ernst zu nehmen und als mehr zu betrachten denn eine lediglich rechnerische und somit einstweilen nur virtuelle Größe.
Dabei böte jene Neuformierung der Parteienlandschaft, wie sie sich im Licht der Saar-Wahl auch für künftige Urnengänge abzeichnet, eigentlich eine Perspektive, die nicht allein die Linkspartei mit ihrem permanenten, fast schon erbarmungswürdigen Werben um die alte Tante SPD von völlig neuen Möglichkeiten träumen lassen müsste. Es wäre die Idee, das Lager der mittlerweile vier Parteien, die alle mehr oder minder dezidiert dem linken Teil des Parteienspektrums zuzurechnen sind, so zu ordnen und aufzustellen, dass es nicht nur arithmetisch, sondern auch machtpolitisch mehrheitsfähig würde.
Die nahezu 60 Prozent, auf welche sich die jüngsten Wahlresultate von Sozialdemokraten, Linkspartei, Grünen und Piraten addieren, könnten ein starkes Argument sein, zumindest das Terrain zu sondieren, um sich beizeiten die Option für so etwas wie ein linkes Bündnis zu eröffnen, das willens und fähig wäre, dem anderen, zerfallenden Lager, das sich immer noch bürgerlich nennt, als echte Alternative entgegenzutreten.
Es ist allerdings bezeichnend für den aktuellen Zustand der nicht vereinigten deutschen Linken, dass der Gedanke, etwas Derartiges lasse sich in absehbarer Zeit in die Tat umsetzen, alle Chancen hat, sogleich in das Reich der Utopie verwiesen zu werden. Und der Einwand, dass ja angesichts der neuen Unübersichtlichkeit des ideologischen Geländes gar nicht einmal sicher sei, ob es sich bei diesen Vieren tatsächlich noch um klassische linke Parteien handele, wiegt dabei noch am geringsten. Er lässt sich durchaus entkräften, wenn man sich die vorhandenen Kernbestände an Programmatik und Anspruch vor Augen führt, bei denen es um die Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der gesellschaftlichen Teilhabe, der Bürgerrechte, kurz, um die Verbesserung der Verhältnisse für möglichst alle Menschen geht, wobei der Staat und eben nicht der Einzelne als Regelungsinstanz fungiert.
Enkel der Sozialdemokratie
Historisch gesehen sind Grüne, Linkspartei und letztlich auch Piraten bekanntlich ohnedies Kinder und Enkel der Sozialdemokratie, wenn auch unbeabsichtigt hervorgebrachte, ist ihr Entstehen doch gerade Ausdruck und Resultat von Versäumnissen (Ökologie) oder nicht mehrheitsfähigen Schwenks (Schröders Agenda) der etablierten linken Mutter gewesen. Und das Entstehen jener neuen Sphären, in denen nun die Piraten unterwegs sind, hat die SPD, genau wie die politische Konkurrenz, schlichtweg verschlafen.
Ob sich die Abspaltungen und Neugründungen hätten verhindern lassen, wenn die SPD mehr auf der Höhe der Zeit und stärker um Einbindung neuer Ideen und Kräfte bemüht gewesen wäre, lässt sich rückblickend schwer beurteilen. Es gab jedenfalls Zeiten, da waren etwa die Unterschiede zwischen ihrem eigenen linken Flügel und dem, was heute die Linkspartei ausmacht, nicht sonderlich groß. Aber dass sie nach wie vor ein nahezu traumatisches Verhältnis zu denjenigen neuen Gruppierungen pflegt, bei denen es sich mehr oder minder um Fleisch von ihrem Fleische handelt, ist offenkundig.
Das zeigt sich insbesondere am Umgang mit der Reizfigur Oskar Lafontaine, der mehr emotional als tatsächlich politisch geprägt ist. Und man darf nicht vergessen, dass es anfangs auch um die Beziehungen zwischen Rot und Grün, den späteren Wunschpartnern, nicht übermäßig gut bestellt war. Ein Holger Börner wollte seinerzeit den Öko-Freaks noch eins mit der Dachlatte überziehen, bevor er sich dann doch zu einer Koalition mit Turnschuh-Minister Joschka Fischer bequemte.
Während die Grünen sich inzwischen weitgehend von ihrem einstigen Standard-Partner emanzipiert haben, die Linkspartei sie in mancherlei Hinsicht vor sich hertreibt und die jungen Piraten sie einfach nur ziemlich alt aussehen lassen, scheint sich die SPD mehr und mehr mit dem Status einer schrumpfenden Volkspartei abzufinden - und dem, was daraus im Zweifelsfall als bequemste, wenn auch unbefriedigende Lösung folgt: Juniorpartner in einer Großen Koalition zu sein.
Machtpolitischer "Waschzwang"
Um aber mehr zu wollen und zu können, müsste sie nicht nur über ihren Schatten namens Linkspartei springen, sondern auch sichtbar die Hegemonie im linken Lager übernehmen. Das hieße: Sie müsste nicht nur ihre programmatische Müdigkeit überwinden, sondern auch im besten Sinne Machtbewusstsein an den Tag legen. Macht ist ja nichts Schlechtes in der Politik, vielmehr notwendiges Mittel zur Gestaltung.
Aber genau hier liegt der eigentliche Kern des Problems. Denn mit der Macht und der Linken war es schon immer so eine Sache hierzulande. Und vor allem die Sozialdemokraten als traditionelle Linke haben oft genug genau jenes Quäntchen Machiavellismus vermissen lassen, das man braucht, um die faktischen Mehrheitsmöglichkeiten auch zu nutzen. Es war Willy Brandt, der einst recht früh von einer "neuen Mehrheit diesseits der Union" sprach. Doch bis es dann dazu kam, sie auch in Koalitionsform zu gießen, sollte noch geraume Zeit vergehen.
Der Politologe Martin Greiffenhagen prägte bereits in den siebziger Jahren das Wort vom machtpolitischen "Waschzwang" der Sozialdemokraten, mit dem gesagt werden sollte, dass diese vor lauter Skrupeln stets erst einmal meinen, sich entschuldigen zu müssen, bevor sie sich nach langem Zögern irgendwann entschließen, nach der Macht zu greifen. Von wenigen Ausnahmen wie Gerhard Schröder abgesehen, hat sich dieses Diktum immer wieder bestätigt.
So dürfte es denn nach Lage der Dinge ziemlich sicher sein, dass schon der Mangel an sozialdemokratischer Skrupellosigkeit ausreichen wird, die Verwirklichung der Utopie von einer vereinigten deutschen Linken zu verhindern.