Gestiegene Geburtenrate Opposition wirft von der Leyen Schönfärberei vor
Hamburg - "Politischer Betrug", "Schönfärberei", "peinliche Untätigkeit": Die Opposition hat ein drastisches Urteil gefällt - über den Familienreport und damit die informelle Bilanz von Ursula von der Leyen. Bislang war die CDU-Ministerin noch stets der Liebling des politischen Gegners gewesen. Gegen heftigen Widerstand der Parteifreunde, vor allem aus der CSU-Landesgruppe, setzte sie den Ausbau der Kinderkrippen und die Elternzeit für Väter durch. Während manch Konservativer den Niedergang des Abendlandes beschwor, jubelten Familienpolitiker von FDP bis Linkspartei.
Doch das ist passé. Nachdem von der Leyen am Montagvormittag den Familienreport vorgestellt hatte, prasselte ein Feuerwerk von kritischen Stimmen auf sie ein. Vor allem die familienpolitischen Sprecherinnen von Grünen und FDP lassen ihrem Unmut freien Lauf. Die Ministerin habe "an dem Grundproblem der Kinderarmut nichts getan", sagt Ekin Deligöz von den Grünen. Sie besitze "ein Talent für PR", höhnt Ina Lenke von der FDP.
Der Vorwurf: Von der Leyen missbrauche den Familienreport zu Wahlkampfzwecken. Angesichts schwacher Umfragewerte und dem Aufwind der Freidemokraten stünde es der Union im Superwahljahr gut zu Gesicht, sich auf familienpolitischer Ebene zu profilieren. Bei der Vorstellung ihres Berichts sagte von der Leyen, sie wolle sich dafür einsetzen, dass die Familien in der Wirtschaftskrise nicht zu kurz kommen. Das sei "Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand und für die Frage, wie wir aus der Krise herauskommen". Bereits am Wochenende hatte die Ministerin bekanntgegeben, dass in den letzten beiden Jahren die Geburtenrate in Deutschland erstmals wieder gestiegen sei.
"Plattitüden und Binsenweisheiten"
Auf diese Zahlen angesprochen, winkt die Grüne Deligöz ab. Das sei "nur ein kurzfristiger, marginaler Anstieg", der zudem am demografischen Faktor nicht viel ändere. Die Maßnahmen der Bundesregierung würden viel zu sehr den Besserverdienern zugutekommen und nicht den tatsächlich bedürftigen Familien. "Je mehr Eltern verdienen, desto stärker werden sie unterstützt", kritisiert Deligöz. Niedriglohnempfänger und Studenten würden sogar schlechtergestellt.
Auch der familienpolitische Sprecher der Linksfraktion, Jörn Wunderlich, kritisierte, von der Leyen ignoriere die sozialen Sorgen der Familien und gebe "nur Plattitüden und Binsenweisheiten" von sich. "Sie redet die katastrophale Situation schön", sagt Wunderlich. Allerdings sei sie für die Lage "nur partiell" verantwortlich, schränkte der Abgeordnete ein, und verweist auf "die Betonköpfe in CDU und CSU mit ihrem überkommenen Familienbild".
FDP-Politikerin Lenke kritisiert das Verhalten der Ministerin beim Konjunkturpaket II. Dort habe sie sich "viel zu wenig eingeschaltet" und etwa ein Anliegen des Familienausschusses nicht unterstützt. Dieser habe sich "einstimmig dafür ausgesprochen", den 100-Euro-Bonus beim Kindergeld auch bei Alleinerziehern vollständig auszuzahlen. "Das hat der Haushaltsausschuss abgelehnt", empört sich Lenke, "und Frau von der Leyen hat nichts dagegen unternommen." Sie habe sich weggeduckt, wo es "ihre Aufgabe gewesen wäre, auch einmal negativ aufzufallen", sagt die Liberale.
Zu Beginn ihrer Amtszeit hatte von der Leyen noch ganz nach dem Geschmack der Opposition agiert. Sie legte sich mit der CSU an und kämpfte für ein neues Familienbild in der Union. Kritik erntete sie dafür nicht nur aus der eigenen Fraktion sondern etwa auch vom Parteinachwuchs, der Jungen Union.
Sieben Monate vor der Bundestagswahl weiß von der Leyen aber auch, dass sie Angela Merkel einiges von dem Vertrauen zurückzahlen muss, das die Kanzlerin in sie investiert hat. Merkel hielt stets die schützende Hand über die Familienministerin - und erwartet nun entsprechende Dankbarkeit.
Jedes sechste Kind in Deutschland von Armut bedroht
Von Sozialverbänden wird die Familienpolitik der Großen Koalition durchaus gelobt. "Von der Leyens Ansätze sind grundsätzlich positiv und richtig", sagt Marion von zur Gathen, Referentin für Frauen- und Familienpolitik beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Doch das dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass "jedes sechste Kind in Deutschland von Armut bedroht ist". Dort sei die Bundesregierung "keinen Schritt weitergekommen", es sei "nicht hinnehmbar, dass Familien mit höheren Einkommen stärker entlastet werden als Geringverdiener", sagt von zur Gathen.
Bei den Grünen wird zurzeit ein Konzept des sogenannten "existenzsichernden Kindergeldes" diskutiert. Danach solle es laut Deligöz für jedes Kind 330 Euro monatlich geben - und je mehr Einkommen eine Familie habe, umso stärker werde dieser Betrag besteuert. "Das wird ein großes Thema im Wahlkampf", hofft die familienpolitische Sprecherin. Auf einem Parteitag im Mai soll das Konzept diskutiert werden.
Von zur Gathen lobt die Idee: "Das geht in die richtige Richtung." Die Referentin vom Paritätischen Wohlfahrtsverband bezweifelt allerdings, "ob 330 Euro wirklich genug" seien.