Gesundheitsreform Große Koalition hat Sympathiebonus verspielt

Katastrophale Umfragewerte für die Bundesregierung: Angesichts des Streits um die Gesundheitsreform entziehen die Bürger der Großen Koalition das Vertrauen. Gerade mal ein Viertel der Deutschen ist mit der Arbeit der Regierung zufrieden.

Köln - Die Bundesregierung hat erneut deutlich Vertrauen eingebüßt: Nur noch 24 Prozent der Bundesbürger sind mit der Arbeit der Großen Koalition zufrieden, wie der ARD-Deutschlandtrend für Juli ergab. Das entspreche dem schlechtesten Wert seitdem das Regierungsbündnis von Union und SPD geschlossen wurde. Mit diesen Werten sinkt die Große Koalition auf das Niveau der rot-grünen Bundesregierung am Ende ihrer Regierungszeit.

Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben an, die Große Koalition löse nicht mehr Probleme als die Vorgängerregierung. Zwar sind 45 Prozent der Meinung, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) leiste bessere Arbeit als ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD). Allerdings büßte sie in der Umfrage stärker ein als alle anderen Politiker und erhielt die geringste Zustimmung seit ihrem Amtsantritt: Nur noch 57 Prozent sind mit ihrer Arbeit zufrieden, einen Monat zuvor waren es noch 63 Prozent.

In der Sonntagsfrage unterschreiten Union und SPD erstmals im ARD-Deutschlandtrend die symbolische Zweidrittelgrenze. Demnach kommt die Union auf 35 Prozent, die SPD auf 29 Prozent. Die FDP kann hingegen ein Plus von zwei Prozentpunkten verbuchen und landet bei zwölf Prozent. Die Grünen bleiben unverändert bei zehn Prozent, und die Linkspartei legt einen Punkt zu und landet ebenfalls bei zehn Prozent.

"Besser den Mund halten"

Während sich die Bundesbürger mit ihrer Regierung extrem unzufrieden zeigen, geht der Streit zwischen den Koalitionären munter weiter. Politiker beider Koalitionspartner preschen mit gegenseitigen Anschuldigungen vor. CSU-Generalsekretär Markus Söder kritisierte in der "Welt", der Stil von einigen SPD-Politikern sei "absolut nicht hinnehmbar". Es gelte: "Besser den Mund halten und sich auf die Arbeit konzentrieren."

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff forderte die SPD zur Mäßigung auf. Die Sozialdemokraten sollten zu einem "fairen, partnerschaftlichen Umgang" in der Koalition zurückkehren und "mithelfen, dass Deutschland vorankommt", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD, Johannes Kahrs, bekräftigte seine Kritik an Merkel und warf ihr Führungsschwäche vor. "Wenn man nur herummoderiert und mal dem einen und mal dem anderen nachgibt, kommt nichts Gescheites dabei heraus", sagte er der "Neuen Presse". Kahrs wiederholte auch seine auf Merkel gemünzte Formulierung: "Der Fisch stinkt vom Kopf her."

Opposition in der Regierung

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel attackierte die Unions- Ministerpräsidenten. In den vergangenen Wochen sei leider der Eindruck entstanden, "dass sich mancher Landesfürst der Union als Opposition in der Regierung begreift", sagte er der "Welt".

Der Sprecher des Netzwerks jüngerer SPD-Abgeordneter, Christian Lange, kritisierte ebenfalls die Länderregierungschefs der Union: "Die Ministerpräsidenten müssen sich die Frage gefallen lassen, wollen sie den großen Erfolg der großen Koalition in Berlin oder den kleinen Erfolg im eigenen Land", sagte er der "Financial Times Deutschland".

Doch es gibt auch Stimmen in der SPD, die vor einer weiteren Eskalation des Koalitionsstreits warnen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Wend, sagte der "Financial Times Deutschland": "Man sollte nicht mit diesen Auseinandersetzungen in die Sommerpause gehen." Beide Koalitionspartner könnten stolz darauf sein, dass die Gesundheitsreform "einen echten Fortschritt bringen wird".

Erstmals seit dem offenen Ausbruch des Koalitionsstreits hat sich Kanzlerin Merkel zu Wort gemeldet. Sie halte trotz der jüngsten Spannungen an der Großen Koalition fest, erklärte sie in einem Interview. Sie sei "sehr optimistisch, dass diese Koalition erfolgreich weiter arbeitet", sagte Angela Merkel der "Bild"-Zeitung. Auf die Frage, ob sie angesichts der jüngsten kritischen Äußerungen von SPD-Politikern "nicht endlich einmal auf den Tisch hauen" müsste, sagte Merkel: "Ich glaube, von der Kanzlerin wird erwartet, dass sie sich um die wesentlichen Dinge kümmert." Kompromisse seien Teil der Politik. "Wir stehen jetzt mitten auf einer Baustelle für ein neues Haus. Wenn Sie das Fundament gießen, können Sie sich auch nicht in jeder Minute vorstellen, wie gemütlich das fertige Heim am Ende wird."

ler/AFP/ddp/dpa

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