Gesundheitsreform Was auf Deutschlands Versicherte zukommt

Am Mittwoch verabschiedet das Kabinett die schwarz-gelbe Gesundheitsreform. SPIEGEL ONLINE zeigt, was damit auf die Beitragszahler zukommt - und was im Gesetzgebungsverfahren möglicherweise noch geändert werden könnte.
Operation in einem Krankenhaus in Thüringen: Die Kliniken stehen unter Druck

Operation in einem Krankenhaus in Thüringen: Die Kliniken stehen unter Druck

Foto: picture alliance / dpa

Gesundheitsreform

Philipp Rösler

Berlin - Es ist ein Werk, das so umstritten war wie kaum ein anderes Vorhaben der schwarz-gelben Koalition: die . Am Mittwoch soll der Entwurf, an dem bis zuletzt im Ministerium von gefeilt wurde, im Kabinett verabschiedet werden.

"Ich rechne damit, dass es am Ende eine breite Zustimmung geben wird", sagt der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Am Dienstag kommender Woche werden die Fraktionen von Union und FDP über den Entwurf beraten, am Donnerstag kommt es zur ersten Lesung im Bundestag. Die Kritik an dem Vorhaben der Regierung - ob von den Gewerkschaften, Krankenkassen oder Arbeitgebern - dürfte damit nicht verstummen. Mitte Oktober ist im Parlament eine Expertenanhörung angesetzt, und bis zur voraussichtlichen Abstimmung im Spätherbst wird es wohl noch Änderungen in Detailfragen geben.

die schwarz-gelbe Koalition

Das hat CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich bereits angekündigt, zugleich aber klargemacht, dass es bei der "Grundstruktur" der Reform bleibt. Insgesamt hofft auf eine Kostenersparnis von 3,5 Milliarden Euro im kommenden Jahr und vier Milliarden in 2012.

SPIEGEL ONLINE zeigt, was auf die Versicherten zukommen wird:

Zusatzbeiträge

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler

Es ist das Herzstück der Reform von (FDP). Im Kern besagt sie: Kommen die gesetzlichen Kassen nicht mit den Mitteln aus, die ihnen aus dem Gesundheitsfonds zugewiesen werden, dürfen sie einkommensunabhängige Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern erheben - und zwar in unbeschränkter Höhe.

Ein Sozialausgleich soll erst dann erfolgen, wenn der durchschnittliche Beitrag zwei Prozent des Einkommens übersteigt. In den kommenden Jahren dürfte das kaum der Fall sein. Rösler selbst hatte sich bei der Präsentation seiner Eckpunkte im Juli mit einer Prognose vorgewagt: Die Zusatzprämien würden ab 2014 rund 16 Euro für jeden Versicherten betragen, bis dahin deutlich darunter.

Während die Gewerkschaften seine Regelung prinzipiell in Frage stellen, geht es den Arbeitgebern vor allem um eine möglichst unbürokratische Handhabung. Denn für die Abwicklung des Sozialausgleichs sollen die Unternehmen zuständig sein - was aus Sicht des Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) komplizierter werden dürfte. Denn wer einen Zuschuss zu seinem Zusatzbeitrag bekommt, soll diesen bei der Auszahlung des Gehalts oder der Rente angerechnet bekommen. "Es müssten neue Prozesse geschaffen, neue Meldewege und -verfahren eingeführt werden, die Software umgestellt, die Mitarbeiter in der Entgeltabrechnung geschult, die Beschäftigten informiert und die Verdienstbescheinigung erweitert werden", klagt der BDA.

Möglicherweise wird den Arbeitgebern eine Schonfrist von einem Jahr eingeräumt, so dass der Sozialausgleich erst 2012 wirksam wird. "Eine Vorlaufzeit für die Anpassung der Soft- und Hardware von bis zu einem Jahr" sei möglich, heißt es in einer früheren Fassung des Gesetzentwurfs. Die Regierung rechnet ohnehin nicht damit, dass der Sozialausgleich bereits im kommenden Jahr fällig wird.

Für Versicherte, die ihren bisherigen Zusatzbeitrag - einige Kassen verlangen derzeit acht Euro - nicht entrichten, wird es künftig schmerzhaft. Säumige Versicherte, die mit der Zahlung des Beitrags sechs Monate im Rückstand sind, werden mit einem Strafzuschlag von mindestens 30 Euro bestraft.

Arbeitslosengeldempfänger

Arbeitslosengeld I

Strittig war zwischen Union und FDP bis zuletzt, ob auch die Empfänger von und II den Zusatzbeitrag selbst zahlen müssen. Die Koalitionäre einigten sich nach Informationen von SPIEGEL ONLINE nun auf folgende Variante:

Bis zur Einkommengrenze von zwei Prozent zahlen die Empfänger von Arbeitslosengeld I den Zusatzbeitrag ohne Sozialausgleich selbst.

Begründung: Das Arbeitslosengeld I sei eine Lohnersatzleistung, zudem würden Rentner den Zusatzbeitrag ebenfalls entrichten müssen. Bei den Beziehern von Arbeitslosengeld II - der früheren Sozialhilfe - wird es hingegen auf einen Sozialausgleich hinauslaufen. Ihr Zusatzbeitrag soll aus den Mitteln bestritten werden, die das Bundesfinanzministerium bis 2014 einmalig für den Sozialausgleich in den Gesundheitsfonds zur Verfügung stellt - rund zwei Milliarden Euro.

Beitragserhöhung

Vom 1. Januar an werden sich die gesetzlich Versicherten auf neue Mehrkosten einstellen müssen.

Von derzeit 14,9 werden die Kassenbeiträge auf 15,5 Prozent angehoben, der Arbeitgeberanteil von 7,3 Prozent wird allerdings eingefroren.

Eine Maßnahme, die auf Kritik stößt, vor allem bei den Gewerkschaften. Dieser Punkt aber dürfte sich in den parlamentarischen Beratungen nicht mehr verändern. Die Kosten für die Anhebung wird sich für Unternehmen, Rentner und Beschäftigte auf rund 6,3 Milliarden Euro im kommenden Jahr summieren.

Wechsel von gesetzlicher zu privater Versicherung

Ein Punkt, der insbesondere von allen Oppositionsparteien im Bundestag, den Gewerkschaften, aber auch den gesetzlichen Krankenkassen angegriffen wird, ist das feste Vorhaben der Koalition, den Zeitraum, in dem ein Wechsel von einer gesetzlichen zur privaten Krankenkasse untersagt ist, deutlich zu verkürzen.

Bislang galt eine Wechselsperre von drei Jahren, ab dem 1. Januar soll es nur noch ein Jahr für Angestellte sein.

Aller Voraussicht nach wird - aufgrund der gesunkenen Reallöhne in Deutschland - die Versicherungspflichtgrenze erstmals gesenkt, was mehr gut verdienenden Angestellte den Wechsel von den gesetzlichen in die privaten Krankenkassen erleichtern könnte.

Die monatliche Versicherungspflichtgrenze soll von derzeit 4162,50 Euro auf 4125 Euro herabgesetzt werden.

Die gesetzlichen Krankenkassen schlagen Alarm: Sie befürchten weitere Einnahmeverluste in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro. Hinzu kommt: Auf Wunsch der Koalition wurde in den Entwurf die Zahl der Zusatzangebote der gesetzlichen Krankenkassen verringert. Es soll gutverdienende Mitglieder anregen, diese nunmehr bei privaten Anbietern abzuschließen.

Um diese Gruppe zu halten, hatten die gesetzlichen Kassen in der Vergangenheit eine Reihe von zusätzlichen Angeboten bereitgestellt - etwa Auslands-, Chefarzt- und Zahnzusatzversicherungen. Das aber seien nicht originäre Aufgaben der gesetzlichen Kassen, so Gesundheitspolitiker der Koalition.

Kliniken und Ärzte

Unter Druck sind durch die Reform die Kliniken.

Der Entwurf sieht vor, dass die Preise in den Kliniken bis 2012 nur um jeweils 0,25 Prozent pro Jahr erhöht werden dürfen.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft rechnet vor, dass 2011 allein durch Tarifsteigerungen sowie höhere Kranken- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge Mehrausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden Euro entstünden. Es entstehe so eine Lücke von einer Milliarde Euro. Das entspreche 20.000 Stellen, die in den Kliniken abgebaut werden müssten, sollten Röslers Pläne umgesetzt werden, befürchtet der Verband.

Proteste gibt es auch auf Seiten der Hausärzte. Deren Zusatzhonorare sollen gekappt werden, wodurch 500 Millionen eingespart würden. Hier wird massiv mobilgemacht. Bei den Kassenärzten will Rösler mindestens 850 Millionen Euro sparen. So wird etwa der Ausgabenanstieg bei sogenannten "extrabudgetären Leistungen" - ambulantes Operieren, Vorsorge- und Früherkennung oder Dialyse - gebremst. Auch bei den Zahnärzten wird der Anstieg der Preise gekappt: 2011 um 20 Millionen Euro und 2012 um 40 Millionen Euro.

Mit Material von Reuters
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