Anschläge auf Flüchtlingsheime 2014 Nicht zu fassen

Brandanschlag im Dezember 2014 in Vorra (Bayern)
Foto: Toma/ picture alliance / dpaVolksverhetzung, Sachbeschädigung, Körperverletzung: 199 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte wurden im Jahr 2014 laut offizieller Statistik in Deutschland gezählt. Das Recherchezentrum Correctiv.org und SPIEGEL ONLINE haben gemeinsam jeden einzelnen dieser Fälle recherchiert. Führten die Ermittlungen zum Erfolg, wurden zumindest Tatverdächtige ermittelt? Und wie häufig kam es zu einer Verurteilung der Täter?
Weil die Übergriffe vor mehr als einem Jahr stattfanden, kann man jetzt zu einer abschließenden Analyse zu kommen. Für das Jahr 2015 ist dies noch nicht möglich, weil viele Verfahren noch andauern. Die Zahlen für das Jahr 2014 sind deshalb die aktuellsten, die man seriös bilanzieren kann.
Dennoch erwies sich die Recherche als schwierig. Denn in der offiziellen Statistik sind die Fälle anhand von Datum, Ort und Delikt verzeichnet - ohne Aktenzeichen, das aber notwendig ist, um die Auskunft von der Staatsanwaltschaft zu bekommen. Diese Aktenzeichen mussten also zunächst bei vielen einzelnen Polizeibehörden erfragt werden.
Insgesamt 157 der 199 Fälle ließen sich auf diese Weise überprüfen. Das Ergebnis: Bei Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte führen die Ermittlungen nur selten zum Erfolg. Selbst wenn die Polizei der Staatsanwaltschaft Tatverdächtige benennen kann, folgt meistens die Einstellung - weil die Täterschaft nicht nachweisbar ist.
Von den 157 Fällen, die wir recherchiert haben, endeten 15 Verfahren mit einer Verurteilung. Das Strafmaß reichte von Geldstrafen über Bewährungsstrafen bis hin zu fünf Jahren Haft für versuchten Mord. Hier hatten Täter im mecklenburgischen Sanitz Molotowcocktails auf ein Haus geworfen, in dem Flüchtlinge schliefen. Sechs Verfahren laufen noch.
In der folgenden Grafik können Sie die Übergriffe Verfahrenund Verfahren im Detail nachvollziehen. Zehn der 157 Fälle sind darin nicht dargestellt, da sie noch nicht abschließend von den Behörden bearbeitet wurden oder keine Auskunft zu ihnen vorliegt.
In insgesamt 50 der 157 Fälle wurden Tatverdächtige ermittelt, davon wurden 24 von der Staatsanwaltschaft eingestellt, weil die Tat nicht nachweisbar war. Es gab also einen Anfangsverdacht, die Polizei benannte Verdächtige, aber es konnten keine Zeugen oder ausreichende Beweise ermittelt werden, sodass die Staatsanwaltschaft von einer Anklage absah. Vier Fälle wurden eingestellt, weil der Täter bereits wegen eines anderen Delikts zur Rechenschaft gezogen wurde.
Wie ist diese hohe Einstellungsquote zu bewerten? Dass mehr als die Hälfte dieser Fälle eingestellt wurden, spreche für eine schwierige Beweisführung, sagt Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle, die auf dem Gebiet der Strafverfolgung forscht. Der Begriff "aufgeklärt" sei zudem irreführend. "Als aufgeklärt gilt ein Fall, wenn die Polizei der Staatsanwaltschaft Namen liefert", so der Kriminologe. Die hohe Einstellungsquote könne Hinweise für eine Verbesserung geben, meint Rettenberger.
Auch der Dresdner Oberstaatsanwalt Lorenz Haase sieht die hohe Einstellungsquote nicht negativ. Sie zeige, dass jeder Fall genau untersucht werde. Auch Martin Steltner, Pressesprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, auf die mit 41 Fällen der Großteil aller Übergriffe entfällt, hält sich mit Schuldzuweisungen zurück. Dass die Einstellungsquote hoch ist, sei normal.
Das Themenfeld "Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte" existiert beim Bundeskriminalamt (BKA) erst seit dem Jahr 2014. Im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes werden dabei von den jeweiligen Landesbehörden jene Straftaten weitergegeben, die "erkennbar im Zusammenhang mit der Asylthematik stehen." So heißt es in den Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen, die seitdem quartalsmäßig von Linken-Politikern gestellt werden.
Von den insgesamt 199 Übergriffen gelten 172 als politisch rechtsmotiviert - laut offizieller Statistik des BKA. Nicht unter diese Kategorie fallen beispielsweise Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen. In anderen Fällen ist die Einstufung schwerer nachzuvollziehen. So wurden in einem Fall in Dietenheim in Baden-Württemberg Flugblätter verteilt, in denen vor "den Gefahren" für die Bevölkerung durch die Unterbringung von Flüchtlingen in einer laut Staatsanwaltschaft "grenzwertiger Weise" gewarnt wurde. Die Behörden ermittelten zwar wegen Volksverhetzung, stuften die Straftat jedoch nicht als rechtsmotiviert ein.
2015 stieg die Zahl der Übergriffe rapide an, sie verfünffachte sich nahezu auf 988. Davon fiel erneut jeder dritte in die Kategorie Sachbeschädigungen. Brandstiftungen nahmen deutlich zu: von 3,5 Prozent aller Fälle im Jahr 2014 auf neun Prozent im vergangenen Jahr.
Die Aufklärungsquote bei Sachbeschädigungen liegt bei Flüchtlingsunterkünften bei 21 Prozent. Die Aufklärungsquote in der polizeilichen Kriminalstatistik für allgemeine Sachbeschädigungen liegt bei 24,9 Prozent, also ungefähr gleichauf.
In einer umfangreichen Recherche haben Kollegen von "Zeit Online" nachvollzogen, wie erfolgreich die Ermittlungen bei den schweren Fällen aus dem vergangenen Jahr waren. Das ernüchternde Ergebnis: Bis Dezember 2015 konnte noch nicht einmal für jeden vierten Fall ein Tatverdächtiger ermittelt werden.