Jan Fleischhauer

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Affekt-Justiz

Für die feministische Bewegung ist der Fall schon vor dem Gerichtsurteil klar: Das Model Gina-Lisa Lohfink ist vergewaltigt worden. Dass sie wesentliche Teile ihrer Geschichte möglicherweise erfunden hat, spielt für die SchnellrichterInnen keine Rolle.

Die Unabhängigkeit der Justiz gilt in diesem Land als hohes Gut, jedenfalls im Prinzip. Dass man die Urteilsfindung nicht dem Volkszorn überlässt, sondern Fachleuten, die auch noch bei den empörendsten Taten einen kühlen Blick bewahren, ist nach allgemeiner Auffassung eine große Errungenschaft der Moderne. Entsprechend unwirsch reagiert der verständige Teil der Öffentlichkeit, wenn Leute davon sprechen, dass man kurzen Prozess machen müsse, und generell über zu lasche Urteile klagen.

Wie gesagt, so verhält es sich im Prinzip.

Die Betroffene sollte allerdings nicht eine Frau in einem Vergewaltigungsfall sein. Dann interessieren keine Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsbehörden und auch keine Strafprozessordnung. Dann reicht der Augenschein, um zu einem eindeutigen Urteil zu kommen.

Seit Anfang des Monats muss sich die Schauspielerin Gina-Lisa Lohfink vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten verantworten. Sie soll zwei junge Männer fälschlicherweise der Vergewaltigung beschuldigt haben, so lautet die Anklage. Falschbeschuldigung ist ein ernstes Delikt. Wer andere zum Beispiel aus Rachsucht oder weil er seiner Sache mehr Nachdruck verleihen will, einer erfundenen Straftat bezichtigt, dem drohen bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. In diesem Fall wird schon die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft überhaupt Ermittlungen eingeleitet hat, von vielen als Skandal empfunden.

Aus Sicht der Laienjury, die sich aus Frauenrechtlern, aufgebrachten Journalisten und der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig zusammensetzt, ist die Sache eindeutig: Hier wird eine junge Frau zum zweiten Mal zum Opfer gemacht. Nicht die Vergewaltiger stehen vor Gericht, die eine Zufallsbekanntschaft in einen stundenlangen Höllentrip verwandelten, sondern die Geschädigte, die es wagte, ihre Peiniger anzuzeigen.

Als Beweisstück gilt ein kurzes Video, das man mit ein wenig Mühe noch immer im Netz finden kann. Man sieht darauf die Schauspielerin beim Sex mit den beiden von ihr beschuldigten Männern. Während sich die zwei gegenseitig anfeuern, hört man, wie die Frau mehrmals "nein" und "hör auf" sagt.

Für die feministische Szene ist Lohfink eine "Heldin"

Kompliziertere Strafverfahren bringen es mit sich, dass nicht alles gleich eindeutig zutage liegt, was für ein abschließendes Urteil wichtig ist. Deshalb dauern sie mitunter länger, als es die ungeduldige Öffentlichkeit für angemessen hält. Auch in diesem Fall gibt es Hinweise, dass die Dinge sich anders zugetragen haben könnten, als die Angeklagte es vorträgt.

Einem Bericht in der "Süddeutschen Zeitung" konnte man Anfang vergangener Woche entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft erhebliche Zweifel an Lohfinks Darstellung hat, sie sei mit K.-o.-Tropfen gefügig gemacht und dann zum Sex gezwungen worden. Im Zuge einer Hausdurchsuchung bei den der Vergewaltigung bezichtigten Männern wurden insgesamt elf Videodateien sichergestellt. Auf den Filmen, die nicht im Netz stehen, sieht man, wie das Model tanzt, singt, einen der Männer küsst und zwischendurch immer wieder das Zimmer verlässt. Ein Toxikologe schloss nach Durchsicht der Filmdateien aus, dass Lohfink in der fraglichen Nacht unter dem Einfluss von K.-o.-Tropfen gestanden habe.

In der ersten Anzeige sprach auch ihr damaliger Anwalt von "einvernehmlichen sexuellen Handlungen". Er machte zunächst nur eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts geltend, als die Filmaufnahmen zu zirkulieren begannen, der Vorwurf der Vergewaltigung folgte einige Tage danach. Im SPIEGEL ist jetzt zu lesen, dass sich Lohfink am Abend nach der besagten Nacht noch einmal mit einem der beiden später von ihr angezeigten Männer traf. Anfragen bei Lohfinks Anwalt zu der Behauptung des Mannes, man habe auch diese Nacht wieder gemeinsam verbracht, blieben unbeantwortet.

Für die feministische Szene ist Lohfink eine "Heldin", wie widersprüchlich ihre Angaben auch sein mögen. Bereits der Versuch, die Dinge aufzuklären, gilt als tendenziell frauenfeindlich, weil sie das Opfer den Strapazen unterzieht, eine als traumatisierend empfundene Situation noch einmal zu durchleben. Dass eine Frau lügen könnte oder sich eine Geschichte zurechtlegt, die ihrem Bild von der Wahrheit eher entspricht, gilt als vernachlässigenswertes Risiko. Wenn sie doch einmal lügen sollte, dann hat sie dafür gute Gründe.

"Wir sollten Vergewaltigungsopfern immer glauben", hat die Kolumnistin Zerlina Maxwell in der "Washington Post" diese Sichtweise auf den Punkt gebracht. "Der Schaden, der angerichtet wird, wenn wir einem Opfer fälschlicherweise nicht glauben, übersteigt bei Weitem den Schaden, den es anrichtet, jemanden zu Unrecht als Vergewaltiger zu bezeichnen."

Präzedenzfall für die Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen

Am 27. Juni ist der nächste Verhandlungstermin vor dem Berliner Amtsgericht. In der feministisch gestimmten Öffentlichkeit steht das Urteil fest: Es kann nur "unschuldig" lauten. So erwarten es die Kommentatoren, die in dem Fall ein Symbol für alles sehen wollen, was im Sexualstrafrecht falsch läuft - so erwartet es auch die Familienministerin, die sich #TeamGinaLisa angeschlossen hat. Dass sich Lohfinks Satz "Hör auf" auf den Geschlechtsverkehr bezog und nicht auf die Tatsache, dass ihr dabei eine Kamera ins Gesicht gehalten wurde, scheint für Schwesig außer Frage zu stehen.

Es ist in diesen Tagen viel vom Verlust der bürgerlichen Mitte die Rede, von einer Aufheizung des gesellschaftlichen Klimas, bei dem Maß und Vernunft verloren zu gehen drohen. Die Verantwortlichen für diese Entwicklung werden im Lager der rechten Krakeeler verortet, aber das ist zu kurz gedacht, wie sich zeigt. Wie soll man es nennen, wenn sogar in der seriösen "Zeit" die zuständige Staatsanwältin zur "Dorfrichterin" wird, weil sie sich beharrlich weigert, die Klärung des Falls an die begleitenden Presseorgane zu übergeben?

Der Fall Gina-Lisa Lohfink ist ein Präzedenzfall, aber nicht für die Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen, sondern für eine Form der Affekt-Justiz, die meint, auf den mühsamen Prozess der Wahrheitsfindung verzichten zu können.

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Foto: SPIEGEL ONLINE
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