Griechenland-Krise Altkanzler Kohl ruft Europa-Skeptiker zur Ordnung

Altkanzler Helmut Kohl (Archivbild): "Europa bleibt eine Frage von Krieg und Frieden"
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesBerlin - Er ist "Ehrenbürger Europas", und die Debatte über die Schuldenkrise in der Europäischen Union löst bei Altkanzler Helmut Kohl (CDU) große Sorgen aus: "Die aktuelle Diskussion in Europa und die krisenhafte Lage in Griechenland dürfen jetzt nicht dazu führen, dass wir das Ziel des geeinten Europas aus den Augen verlieren oder gar in Frage stellen und zurückweichen", schreibt der 81-Jährige in einem Gastbeitrag für die "Bild"-Zeitung . "Wir brauchen - gerade jetzt - mehr und nicht weniger Europa", betonte Kohl. Die "bösen Geister der Vergangenheit" seien nicht gebannt, sie könnten immer wieder zurückkehren. Europa bleibe "eine Frage von Krieg und Frieden".
Der "Weg nach Europa" sei in der Vergangenheit oft mühsam gewesen, dennoch gehöre "nicht den Bedenkenträgern die Zukunft", sondern denen, "die mit einem klaren Ziel vor Augen die Dinge bewegen". Es gebe zu Europa keine Alternative, so Kohl.
Der Bundestag hatte am Montag neuen Milliardenhilfen für Griechenland zugestimmt, dabei hatte Regierungschefin Angela Merkel (CDU) allerdings die Kanzlermehrheit verfehlt. In der Union gab es 13 Nein-Stimmen, bei der FDP votierten vier Abgeordnete gegen das zweite Rettungspaket für Griechenland. Zudem hatte Innenminister Hans-Peter Friedrich vor der Abstimmung für Verwirrung in den eigenen Reihen gesorgt. Der CSU-Politiker hatte Griechenland nach SPIEGEL-Informationen den Austritt aus der Euro-Zone nahegelegt. "Außerhalb der Währungsunion sind die Chancen Griechenlands, sich zu regenerieren, größer, als wenn es im Euro-Raum verbleibt", hatte Friedrich gesagt. Merkel distanzierte sich daraufhin deutlich von Friedrichs Vorstoß, anschließend nahm der CSU-Politiker Abstand von seiner Äußerung.
Die Opposition hält Merkel nach dem Verfehlen der Kanzlermehrheit und den Äußerungen Friedrichs für massiv beschädigt: "Der Zerfall der Koalition ist in vollem Gange. Inzwischen ist die Grenze zur Handlungsunfähigkeit erreicht", sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dem "Tagesspiegel". Nicht einmal das Kabinett folge der Kanzlerin mehr. "Merkels Autorität ist schwer beschädigt."
"Merkel hat ihre Regierung nicht mehr im Griff", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles der Nachrichtenagentur dpa. "Durch Leute wie Friedrich fühlen sich andere ermuntert. Friedrich macht Merkel die Kanzlermehrheit kaputt. Wenn sie Mumm hätte, würde sie ihn rauswerfen", sagte Nahles.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, sagte der dpa, erstmals habe Merkel die Kanzlermehrheit bei einer europapolitischen Entscheidung verfehlt. Dies wäre auch der Fall gewesen, wenn alle abwesenden Koalitionsabgeordneten sie unterstützt hätten. "Nach den Rüpeleien von FDP-Chef Philipp Rösler, dem offenen Widerspruch von Innenminister Hans-Peter Friedrich steht das Abstimmungsdebakel vom Montag in einer Reihe von Verfallserscheinungen der Koalition. Frau Merkel muss die Frage beantworten, in wessen Namen sie in Brüssel verhandelt."
Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD-Bundestagsfraktion, forderte die Entlassung von Friedrich. Merkel könne keinen Minister im Kabinett behalten, der so gegen die Kabinettsdisziplin verstoße, sagte Kahrs dem "Hamburger Abendblatt".
Kahrs machte Friedrich für die verfehlte Kanzlermehrheit bei der Bundestagsabstimmung zum zweiten Griechenland-Hilfspaket mitverantwortlich. "Wenn ein Minister nicht steht, steht auch die Fraktion nicht", sagte Kahrs.
Unionsfraktionschef Volker Kauder dagegen hält das Verfehlen der Kanzlermehrheit für unproblematisch: "Auf die Kanzlermehrheit kam es überhaupt nicht an. Wir hatten eine deutliche eigene Mehrheit." Kauder betonte, die Koalition habe Handlungsfähigkeit bewiesen.