

Nicht einmal Gregor Gysi scheint an diesem Mittwoch Lust zu haben. Der Linken-Fraktionschef funktioniert wie eines dieser Zirkuspferde, die lostraben, sobald man sie in die Manege stellt - Gysis Manege ist das Rednerpult des Bundestags. Aber Gysi, um im Bild zu bleiben, trottet eher dahin, als er in der Debatte um das neue Griechenland-Hilfspaket auf Finanzminister Wolfgang Schäuble antwortet. Der wirkt ebenfalls ziemlich uninspiriert.
Es ist eine müde Veranstaltung unter der Reichstagskuppel. Nicht einmal die üblichen Zwischenrufer kann man hören. Entweder die Abgeordneten sind in Gedanken noch an den schönen Urlaubsorten, die sie wegen der Sondersitzung verlassen mussten. Oder es ist schlicht Langeweile angesichts der sich seit Jahren hinziehenden Auseinandersetzung um das europäische Sorgenkind Griechenland. Die Argumente sind inzwischen hinlänglich bekannt.
Am Ende gibt es eine deutliche Mehrheit für das neue, dritte Hilfspaket über 86 Milliarden Euro. Und dann sind die meisten Abgeordneten auch schon wieder weg. Zurück in den Urlaub, nach Hause, in die Wahlkreise. Abgehakt.
Kanzlerin Angela Merkel ergreift erst gar nicht das Wort, sie lässt ihren Finanzminister sprechen. Schäuble ist der personifizierte Skeptiker, der die Zweifler in den eigenen Reihen einfangen soll. Bei den entscheidenden Verhandlungen im Juli hatte er einen zeitweiligen Grexit - also einen Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone - ins Spiel gebracht, nun sagt Schäuble: Die Entscheidung für ein weiteres Hilfsprogramm "fällt nicht leicht". Er wirbt für das dritte Hilfsprogramm, aber er sagt auch: "Natürlich gibt es nach den Erfahrungen in den vergangenen Jahren keine Garantie, dass das funktionieren wird." Mehrmals gibt es Beifall aus den eigenen Reihen, aber eher aus der Abteilung Pflicht-Applaus.
Im Video: Bundestag verabschiedet Griechenland-Hilfspaket
Sondersitzung ist eine lästige Pflicht
Die ganze Sondersitzung ist eine lästige Pflicht für die meisten, euphorisch stimmt am Ende kaum einer mit Ja. Skeptische Töne klingen auch bei der SPD durch. Fraktionschef Thomas Oppermann spricht von einem "ambitionierten Kompromiss, der die Grundlage für Veränderungen sein kann". Bei der SPD gibt es nur vier Gegenstimmen, auch die Grünen votieren mit großer Mehrheit dafür. Klar abgelehnt wird das Paket nur von der Gysi-Fraktion, weil aus Sicht der Linken das Hilfspaket eines ist, unter dem die Griechen in Wahrheit nur leiden. Man kennt auch dieses Argument.
Die spannende Frage an diesem Tag lautet: Wie groß ist die Ablehnung in der Unionsfraktion? Am Ende kommen Merkel und ihr Fraktionschef Volker Kauder mit einem blauen Auge davon. Aber das schimmert noch ein bisschen mehr als vor einem Monat, als 60 Unionsabgeordnete gegen die Aufnahme von Verhandlungen mit Griechenland votierten, 5 enthielten sich damals. Diesmal sagen 63 Nein, es gibt 3 Enthaltungen.
Aber: Die Zahl der Gegenstimmen hätte höher ausfallen können. 17 Abgeordnete der Union bleiben der Abstimmung fern, drei davon sind klar dem bisherigen Nein-Lager zuzurechnen. Und wer sagt, dass nicht auch von den übrigen 14 der eine oder andere seinem Fraktionschef gerne mal gezeigt hätte, dass er sich nicht einschüchtern lässt?
Kein Wunder also, dass vor allem die Union das Thema Griechenland jetzt so schnell wie möglich abhaken will. Nicht mit einem Wort wurde am Vortag in der Sondersitzung der CDU- und CSU-Abgeordneten auf die Drohung von Kauder eingegangen, Neinsager könnten nicht mehr in wichtigen Ausschüssen sitzen. Auch der Fraktionschef schwieg.
Nun geht es um die Flüchtlingsfrage
Überhaupt spielte das Thema Griechenland in den Sitzungen der Koalitionsfraktionen keine große Rolle mehr. Nur ein Parlamentarier meldete sich bei der Union zu Wort, schon nach einer Stunde gingen die Abgeordneten wieder auseinander. Die SPD-Parlamentarier diskutierten derweil ausgiebig über das neue politische Großthema, dem sich die Koalition nun widmen wird: der Flüchtlingspolitik.
Auch in der Debatte am Mittwoch ging es schon darum, CDU-Mann Kauder widmete sich minutenlang der Flüchtlingsfrage. Kein Wunder, angesichts der neuen Zahlen: Bis zu 800.000 Menschen werden bis Ende des Jahres in Deutschland Asylanträge stellen, viele Kommunen wirken mit der Betreuung schon jetzt überfordert, die politische Debatte nimmt an Schärfe zu. Und viele Abgeordnete sind in ihren Wahlkreisen mit den konkreten Problemen konfrontiert.
Das Flüchtlingsthema wird in den kommenden Monaten politisch wohl alles andere dominieren. Und an diesem Mittwoch hat man den Eindruck, als wäre es der Union ganz besonders recht, dass sie nun schnell zur nächsten Baustelle weiterziehen kann.
Angesichts der Emotionalität, mit der die Flüchtlingsdebatte geführt wird, warnt Fraktionschef Kauder alle, das Thema "nicht zu einem politischen Kampffeld zu machen". Kauder sagt: "Wir haben jetzt Griechenland. Nach einer kurzen Verschnaufpause werden wir daran gemessen, ob wir das Thema Asyl und Flüchtlinge sachgerecht lösen." Einfacher dürfte das für die Union allerdings auch nicht werden.
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CDU-Fraktionschef Kauder und Kanzlerin Merkel: Nochmal mit einem blauen Auge davongekommen
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