Grönland-Reise Merkel auf Eis
Berlin/Ilulissat - Ein 4500-Einwohner-Dorf ist nicht gerade der Ort, den Bundeskanzler in der Regel bei Auslandsreisen ansteuern. Doch der Klimawandel ändert auch eingefahrene Routen. Gemeinsam mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel landete Angela Merkel am frühen Abend in Ilulissat, der drittgrößten Stadt Grönlands. Zwei Tage wollen sich die CDU-Kanzlerin und der SPD-Minister auf der Insel und in den Fjorden rundherum umsehen - kaum eine Region auf der Welt ist so stark vom Klimawandel betroffen.
Das grönländische Eis schmilzt viel schneller als anderswo: Die Temperatur auf der Insel ist in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 1,5 Grad im Durchschnitt angestiegen - die globale Temperatur erhöhte sich im vergleichbaren Zeitraum um 0,74 Grad.
Merkels Sprecher Ulrich Wilhelm schickte der Klima-Reise große Worte voraus: Sie werde verdeutlichen, "welche Herausforderungen auf der Menschheit ruhen". Gleichzeitig ist die Bundesregierung bemüht, den Eindruck eines PR-Trips auszuräumen. Merkel, einst unter Kanzler Helmut Kohl Umweltministerin, sei doch schon als promovierte Physikerin besonders am Thema interessiert. Zudem gehöre es wegen der aktuellen G-8-Präsidentschaft zur Verantwortung Deutschlands, sich weiter mit dem Klimawandel zu beschäftigen. Und: Der begleitende Pressetross sei sehr klein, betont das Kanzleramt.
Merkel reist auf Einladung des dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen an die Klimafront, denn Grönland gehört zu Dänemark. Rasmussens politischer Wandel in der Umweltpolitik ist gleichzeitig ein gutes Beispiel für die Kraft der Klima-Fakten - was wohl insbesondere mit der schmelzenden Insel zu tun hat.
Rasmussen, der seit 2001 in Kopenhagen regiert, galt lange Zeit als wenig umweltbewusster Politiker. In den ersten Jahren seiner Amtszeit wurde er heftig für seine lasche Umweltpolitik angegriffen, noch immer hinkt Dänemark beim Kyoto-Protokoll hinterher. Umso entschiedener hat sich der Konservative zuletzt für den Klimaschutz stark gemacht: Im März unterzeichnete Rasmussen gemeinsam mit dem sehr progressiven schwedischen Regierungschef Fredrik Reinfeldt eine Erklärung, in der "der Kampf gegen den Klimawandel Hand in Hand mit mehr Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand" verkündet wurde. Dieser Satz könnte auch von Merkel stammen.
Dänemarks Ministerpräsident wollte seine deutschen Gäste direkt aus dem Flugzeug auf ein Boot verfrachten, um den nach dem Ort benannten Ilulissat-Fjord zu besichtigen. An dessen Ende werden sie eine Folge des Klimawandels erleben können: einen Gletscher, von dem wegen der Erwärmung zunehmend große Brocken abbrechen. Morgen sollen Merkel und Gabriel dann per Hubschrauber zum Eqi-Gletscher nördlich von Ilulissat geflogen werden - hier soll die Auflösung der Eismassen gut aus der Luft zu begutachten sein.
Opposition sieht mehr Show als Ernsthaftigkeit
Die Opposition sieht in dem Trip dennoch mehr Show als Ernsthaftigkeit. "Ein schmelzender Gletscher, der aber tolle Bilder abgibt - natürlich ist das eine Art von positiver Inszenierung", sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast SPIEGEL ONLINE. "Stattdessen kann sich Merkel ja auch ins asiatische Hochwasser stellen." Nach den "Roter-Teppich-Bildern" des Sommers nun auch noch schöne Fotos vom Klimawandel - "ich würde mir von der Bundesregierung stattdessen mehr Substanz in der Umweltpolitik wünschen", sagt Künast.
Klar, die Klimapolitik sei ein zentrales Thema bei der anstehenden Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg, stellt die Grünen-Politikerin fest, "aber die Koalition ist da doch völlig orientierungslos". Ihre Forderung: ein Klimaplan. Beispielsweise müsse die Kanzlerin den Kabinettressorts klar machen, dass es bei diesem Thema nicht nur nach dem Motto "es soll keinem weh tun und nichts kosten" gehen kann. Sonst werde man die CO2-Ziele nie erreichen.
Unmittelbar nach ihrer Ankunft in Ilulissat widersprach Merkel ihren Kritikern. Es habe noch nie geschadet, sich vor Ort ein Bild zu machen. "Wir müssen wichtige politische Prozesse sichtbar machen", sagte die Kanzlerin. Nur dann könne mit "Elan und Tatkraft" dagegen vorgegangen werden.
Grönland - Labor für den Klimawandel
FDP-Chef Guido Westerwelle, ein Vorreiter in Sachen Inszenierung, jedoch warnte: Es sei immer richtig, wenn die Kanzlerin ins Ausland reise - "aber es ist ein historischer Fehler, die Umweltpolitik auf Symbolik zu beschränken". Außerdem frage er sich, "wieso auf dem G-8-Gipfel alle anderen Regierungen auf den Ausbau der Kernenergie setzen und nur Deutschland einen schwarz-rot-grünen Sonderweg beschreiten soll".
Die Kritik bei der Linken klingt subtiler. "Reisen bildet", stellt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch fest. Wenn Frau Merkel meine, "sie muss nach Grönland fahren, um sich über die Auswirkungen des Klimawandels zu informieren, soll sie das tun". Die Kanzlerin habe sich sehr hohe Ziele im Kampf gegen den Klimawandel gesteckt, sagt die Linke-Politikerin, "wir hoffen, dass sie sie erreichen kann".
Umweltpolitiker Scheer warnt vor Parteiengezänk
Ach, seufzt da Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises und Kämpfer für erneuerbare Energien. "Diese ewige Pokelei ist doch sehr kleinkariert", sagte er SPIEGEL ONLINE. Dass er Parteifreund des mitreisenden Umweltministers ist, habe mit seiner Schelte nichts zu tun. "Bei einem so existenziellen Thema darf es keine Parteigrenzen geben." Vielmehr gehe es darum, den Klimawandel aus der üblichen Themen-Konjunktur zu reißen, dafür sei ihm beinahe jedes Mittel recht.
Zu überschwänglichem Lob für die Bundesregierung sieht Scheer allerdings genauso wenig Anlass. "Nur reden reicht nicht aus", sagt er, "man muss abwarten, was da konkret kommt." Wie Grünen-Kollegin Künast richtet auch der SPD-Politiker den Blick auf die Meseberger Kabinettsklausur. "Beim Weg zwischen Klima- und Atomfalle fehlt bisher die Konsequenz."
Das geht auch an den sozialdemokratischen Umweltminister.
Mit Material von dpa