Koalitionsverhandlungen von Union und SPD Auf Arbeitsgruppe 18 kommt es an

Groko-Chefverhandler Seehofer, Merkel, Schulz
Foto: Kay Nietfeld/ dpaDer Union kann es gar nicht schnell genug gehen: CSU-Chef Horst Seehofer ist am Freitagmorgen schon ein paar Minuten vor neun im Konrad-Adenauer-Haus, Hausherrin Angela Merkel kommt auf die Sekunde pünktlich. Dass der SPD-Vorsitzende Martin Schulz zehn Minuten zu spät in der CDU-Zentrale eintrifft, passt ins Bild, nachdem die matten Sozialdemokraten die ganze Sache aus Sicht der Union in den letzten Tagen arg verschleppt hatten. Allerdings ist Schulz lediglich im Verkehr hängengeblieben.
Jetzt verhandeln sie jedenfalls. Offiziell.
CDU, CSU und SPD wollen in den kommenden Tagen die Grundlage für eine künftige Bundesregierung definieren. "Die Menschen erwarten, dass wir in Richtung einer Regierungsbildung kommen", sagt Merkel vor dem Auftakt-Gespräch mit Seehofer und Schulz.
Das klingt Merkel-typisch kompliziert und soll heißen: Die geschäftsführende Kanzlerin wünscht sich Tempo, damit sie bald auch wieder gewählte Kanzlerin ist. Tatsächlich soll es, verglichen mit dem bisher zähen Prozess, nun geradezu atemberaubend rasant vorangehen. Binnen anderthalb Wochen soll ein Koalitionsvertrag vorliegen.
Allerdings hat man bereits einen kleinen Puffer eingebaut, wohl vor allem aus Rücksicht auf die SPD. Die Sozialdemokraten müssen nach dem knappen Parteitagsvotum für Koalitionsverhandlungen ständig die Hürde im Blick haben, die es noch zu überspringen gilt: Die Basis muss dem Vertrag zustimmen. Sonst wird es nichts mit der neuen GroKo.

Notfalls wird man sich also einen oder zwei Tage mehr gönnen - Hauptsache, der Vertrag ist für die skeptischen sozialdemokratischen Mitglieder akzeptabel. Heißt: Bis zum 4. Februar will man fertig sein, spätestens aber bis Mitte der Vor-Faschingswoche.
Sollte es am Ende wirklich zu der Neuauflage der Koalition von CDU, CSU und SPD kommen, müsste vieles anders sein als in den vergangenen vier Jahren. Kein Weiter-So - das ist Konsens in den drei Parteien. Darüber wird nun in den kommenden Tagen in verschieden Runden und Formaten verhandelt, schon am Wochenende tagen manche der 18 Arbeitsgruppen.
Aber es wird nicht nur darum gehen, neue inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Die neue GroKo soll sich auch im Stil, in der Arbeitsweise von der alten abheben. So unbeliebt das Bündnis auf beiden Seiten ist, auf jeden Fall wollen Union und SPD den Eindruck vermeiden, dass alles so bleibt wie bisher.
Formate in Koalitionsverhandlungen
CDU: Parteivorsitzende Angela Merkel
CSU: Parteivorsitzender Horst Seehofer
SPD: Parteivorsitzender Martin Schulz
CDU: Merkel, Unionsfraktionschef Volker Kauder, Kanzleramtschef Peter Altmaier, CDU-Vize und hessischer Ministerpräsident Volker Bouffier, Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer
CSU: Seehofer, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Generalsekretär Andreas Scheuer, Vize-Generalsekretär Markus Blume
SPD: Schulz, Fraktionschefin Andrea Nahles, Generalsekretär Lars Klingbeil, rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, mecklenburg-vorpommerische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, Hamburger Erster Bürgermeister Olaf Scholz (alle drei Parteivizes)
1. Europa: Martin Schulz (SPD), Peter Altmaier (CDU), Alexander Dobrindt (CSU)
2. Wirtschaft und Bürokratieabbau: Brigitte Zypries (SPD), Thomas Strobl (CDU), Alexander Dobrindt (CSU)
3. Verkehr und Infrastruktur: Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD), Daniel Günther (CDU), Alexander Dobrindt (CSU)
4. Arbeit, Soziales und Rente: Andrea Nahles (SPD), Karl-Josef Laumann (CDU), Stephan Stracke (CSU)
5. Familien, Frauen, Jugend und Senioren, inklusive Demokratieförderung: Katarina Barley (SPD), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Angelika Niebler (CSU)
6. Bildung und Forschung: Manuela Schwesig (SPD), Michael Kretschmer (CDU), Stephan Müller (CSU)
7. Digitales: Lars Klingbeil (SPD), Helge Braun (CDU), Dorothee Bär (CSU)
8. Gesundheit und Pflege: Malu Dreyer (SPD), Hermann Gröhe (CDU), Georg Nüßlein (CSU)
9. Finanzen und Steuern: Finanzen und Steuern: Olaf Scholz (SPD), Peter Altmaier (CDU), Andreas Scheuer (CSU)
10. Innen, Recht und Verbraucherschutz: Heiko Maas (SPD), Thomas de Maizière (CDU), Stephan Mayer (CSU)
11. Migration, Integration: Ralf Stegner (SPD), Volker Bouffier (CDU), Joachim Herrmann (CSU)
12. Wohnungsbau, Mieten, Stadtentwicklung: Natascha Kohnen (SPD), Bernd Althusmann (CDU), Kurt Gribl (CSU)
13. Kommunen, ländlicher Raum: Michael Groschek (SPD), Reiner Haseloff (CDU), Kurt Gribl (CSU)
14. Landwirtschaft:: Anke Rehlinger (SPD), Julia Klöckner (CDU), Christian Schmidt (CSU)
15. Energie, Klimaschutz, Umwelt: Barbara Hendricks (SPD), Armin Laschet (CDU), Georg Nüßlein (CSU)
16. Außen, Entwicklung, Verteidigung und Menschenrechte: Sigmar Gabriel (SPD), Ursula von der Leyen (CDU), Gerd Müller (CSU)
17. Kunst, Kultur, Kreativwirtschaft und Medien: Kunst, Kultur, Kreativwirtschaft und Medien: Michael Roth (SPD), Monika Grütters (CDU), Dorothee Bär (CSU)
18. Arbeitsweise Regierung und Fraktionen: Andrea Nahles, Carsten Schneider (beide SPD), Volker Kauder, Michael Grosse-Brömer (beide CDU), Horst Seehofer, Alexander Dobrindt (beide CSU)
CDU: Peter Altmaier/Helge Braun, Michael Grosse-Brömer
CSU: Andreas Scheuer, Stefan Müller
SPD: Lars Klingbeil, Carsten Schneider
Darum hat man sich einiges vorgenommen - eine eigene Arbeitsgruppe befasst sich mit dem Thema "Arbeitsweise der Regierung und der Fraktionen". Sie ist prominent besetzt: Für die CDU verhandelt Unionsfraktionschef Volker Kauder mit, für die SPD seine Kollegin Andrea Nahles, für die CSU Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Schon im Sondierungspapier heißt es: "Im Fall einer Koalitionsbildung werden wir durch unsere Arbeitsweise in der Regierung und zwischen den Fraktionen deutlich machen, dass wir uns als Bündnis der Demokratie für die Menschen in unserem Land verstehen."
Darauf drängte in den Sondierungsgesprächen vor allem die SPD, auch in den internen Vorbereitungsrunden der Genossen war das ein großes Thema. Im Kern geht es um mehr Transparenz innerhalb der Koalition und mehr Profil der beiden Fraktionen. "Wir wollen das Vertrauen in die Demokratie und in unsere staatlichen Institutionen stärken", versprechen beide Seiten im Sondierungsergebnis.
Die SPD braucht mehr Profil
Tatsächlich dürften viele SPD-Mitglieder ihr Ja zur GroKo nicht nur von den geforderten Nachbesserungen in der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik abhängig machen. Sie wollen auch das Gefühl bekommen, dass die SPD in einem schwarz-roten Bündnis künftig erkennbarer ist. Seine Partei müsse in der Bundesregierung "kritischer und konfliktbereiter auftreten als in den letzten Jahren", sagte Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil dem SPIEGEL.
Führende Vertreter der Union sehen ein, dass darin auch für CDU und CSU Chancen liegen - insbesondere mit Blick auf die AfD. "Wir werden beide herausgefordert als Parlamentarier, wie es in den letzten Jahren nicht der Fall war",sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder dieser Tage bei einem gemeinsamen Auftritt mit seiner SPD-Kollegin Andrea Nahles. Was der CDU-Politiker meint, ist die ständige Herausforderung durch die AfD-Abgeordneten im Bundestag, die jede Gelegenheit nutzen werden, sich als wahre Demokraten zu inszenieren und die GroKo-Parlamentarier als das Gegenteil.
"Es geht wieder um was", sagte Kauder. Nämlich den Nachweis, dass ein Parlament auch lebendig sein kann, wenn es von den beiden größten Fraktionen dominiert wird. Das war in der abgelaufenen Wahlperiode selten der Fall.
Auf Basis des Sondierungspapiers wird es in den Koalitionsverhandlungen in der Arbeitsgruppe 18 nun unter anderem um folgende Punkte gehen:
- Zwei Mal im Jahr sollen die Koalitionsfraktionen sogenannte Orientierungsdebatten zu "internationalen und nationalen gesellschaftlichen Themen im Plenum" führen.
- Die Kanzlerin soll dreimal im Jahr im Bundestag befragt werden - nach dem Vorbild des englischen Unterhauses, auch die Regierungsbefragung soll neu strukturiert werden.
- Die Fraktionen des Bundestags sollen künftig vorab die Tagesordnung der Kabinettssitzungen erhalten.
- Union und SPD vereinbaren eine Art Revisionsklausel, die zur Mitte der Legislaturperiode eine "Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrags" vorsieht.
Ob das ausreicht, um einer neuen GroKo ein anderes Gesicht zu geben als der bisherigen Regierung? Die eine oder andere zusätzliche Idee aus der zuständigen Arbeitsgruppe würde sicher nicht schaden.
Zusammengefasst: Sie wollen vieles anders machen: Inhaltlich - aber vor allem im Stil. Wie das gelingen soll, ist Teil der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD, die am Freitag begonnen haben. Beide Seiten drücken nun aufs Tempo: Schon am 4. Februar oder kurz danach soll der Koalitionsvertrag fertig sein. Über den müssen dann noch die SPD-Mitglieder abstimmen.
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