Große Koalition Widerstand gegen Freihandelsabkommen wächst

Die Freihandelsgespräche mit den USA geraten ins Stocken, jetzt wächst auch in der schwarz-roten Koalition die Kritik am geplanten Mega-Pakt. Agrarminister Friedrich warnt vor laschen Lebensmittelstandards, Umweltministerin Hendricks sieht demokratische Werte in Gefahr.
US-Präsident Obama, britischer Premier Cameron, Kanzlerin Merkel (im Juni 2013) bei Gesprächen über transatlantischen Handel): Widerstand innerhalb der großen Koalition

US-Präsident Obama, britischer Premier Cameron, Kanzlerin Merkel (im Juni 2013) bei Gesprächen über transatlantischen Handel): Widerstand innerhalb der großen Koalition

Foto: Kevin Lamarque/ AP/dpa

Berlin - Das geplante Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA stößt in der schwarz-roten Bundesregierung zunehmend auf Skepsis. Mehrere Minister äußerten sich angesichts der laufenden Verhandlungen besorgt. "Ich sehe das Abkommen sehr kritisch", sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) SPIEGEL ONLINE am Montag. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) warnte vor einem Aufweichen europäischer Standards.

Mit dem Transatlantischen Freihandels- und Investitionsabkommen (TTIP) streben US-Regierung und EU-Kommission die größte Freihandelszone der Welt an - auch um dem Marktgiganten China die geballte Wirtschaftspower von zwei Kontinenten entgegensetzen zu können. Der Handelspakt soll in den nächsten Jahren Wirklichkeit werden, die Hauptphase der Verhandlungen läuft seit Sommer 2013.

In der vergangenen Woche mussten die Gespräche teilweise ausgesetzt werden: Es gab Streit über erweiterte Klagemöglichkeiten internationaler Konzerne. Denn im Zuge des Freihandelsabkommens könnte Konzernen erlaubt werden, Staaten unter Androhung von Schadensersatzforderungen vor einem privaten Schiedsgericht zu verklagen.

"Mit einem Federstrich zerstören"

Bundesumweltministerin Hendricks zeigt sich alarmiert. "Ich sehe das Abkommen sehr kritisch, vor allem im Hinblick auf das besagte Schiedsverfahren. Das würde bedeuten, dass Großkonzerne ihre Interessen gegen die Gesetzgebung der Mitgliedsländer der EU durchsetzen können, und zwar ohne demokratische Kontrolle. Das hätte eine historische Dimension", sagte Hendricks.

Sollten solche Schiedsgerichtsverfahren zulässig werden, wären Standards im Umweltschutz oder bei der Kennzeichnungspflicht unter dem Deckmantel des Investitionsschutzes plötzlich anfechtbar. "Ein solches Schlupfloch würde die Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung, hundert Jahren Frauenbewegung und 50 Jahren Umweltbewegung mit einem Federstrich zerstören", so die SPD-Ministerin weiter.

Auch die abweichenden Richtlinien im Verbraucherschutz auf beiden Seiten des Atlantiks sind ein Knackpunkt der Verhandlungen. So ist in Deutschland die Reinigung von Hühnerfleisch mit Chlor verboten, in den USA verstoßen etwa Rohmilchkäse gegen Hygienevorschriften. In Deutschland befürchten Verbraucherschützer eine Aufweichung von Sicherheitsstandards, um sich amerikanischen Normen anzupassen.

Davor warnt auch Landwirtschaftsminister Friedrich. "Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA darf nicht dazu führen, dass die hohen deutschen und europäischen Standards für die Qualität und Sicherheit von Lebensmitteln aufgegeben werden", sagte er SPIEGEL ONLINE. Zugleich rief er die Chefverhandler auf, hart erarbeitete Prinzipien nicht aufzugeben. "Es gilt, unsere Qualitäts-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards zu verteidigen", bekräftigte Friedrich.

Supermarkt voller Chlorhühnchen?

Auch die NSA-Spitzelaffäre stört das Vertrauen in die Gespräche. Nach dem Bekanntwerden der Spähattacken auf Angela Merkels Handy waren Forderungen lautgeworden, das Freihandelsabkommen zeitweise auf Eis zu legen. Die Kanzlerin selbst hält allerdings wenig davon, die Zusammenarbeit mit den USA zu blockieren. "Trotzhaltung hat noch nie zum Erfolg geführt", sagte sie am Freitag. Auch beim jüngsten Deutschland-Besuch von US-Außenminister John Kerry spielte das Thema eine Rolle.

Derzeit legt eine Delegation aus Brüssel mit Vertretern des US-Handelsministeriums die Grundzüge des Abkommens fest. Niedrige Zölle und vereinfachte Zulassungsverfahren für Patente, Medikamente und Produkte sollen Handelshemmnisse abbauen und den Austausch von Waren und Dienstleistungen erleichtern. Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass ein Handelsabkommen auf beiden Seiten des Atlantiks zu Zehntausenden neuen Arbeitsplätzen führen könnte.

Gleichzeitig wächst der Widerstand gegen das Mammutprojekt. Aktivisten kritisieren, dass die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden, obwohl deren Ergebnis den Alltag von Millionen Menschen bestimmen wird. Verbraucherschützer fürchten, dass Standards bei Produkten, Lebensmitteln, im Arbeits- oder Datenschutz aufgeweicht würden. Online-Petitionen zeichnen Schreckensvisionen von deutschen Supermärkten voll Genfood und Chlorhühnchen, Kulturschaffende sehen die Vielfalt von Filmen, Literatur und Musik in Gefahr.

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