Große Koalition Steinmeiers Verspannungspolitik

Die deutsche Außenpolitik bekommt Risse. Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier streiten wegen des Besuchs des syrischen Außenministers. Regierungssprecher Steg spricht von unterschiedlichen Temperamenten, Rollen und Bewertungen - im Klartext: westliche Werte versus Entspannung.

Berlin - Wenn es um Interna geht, ist Martin Jäger eher zugeknöpft - zumindest in der Öffentlichkeit. Heute aber wollte der Sprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) doch mal "aus dem Nähkästchen plaudern", wie er sagte. Dann erzählte er in der Bundespressekonferenz, dass Eckart von Klaeden, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, sich gestern mit dem syrischen Außenminister getroffen habe, bei Mohnkuchen mit Vanillesauce. "Da habe ich keine Kritik gehört", so Jäger. Darum sei er "etwas verwundert" über von Klaedens Bemerkungen. Es handele sich wohl um dessen "persönlichen Beitrag zu den Landtagswahlkämpfen".

Es war die Retourkutsche für von Klaedens Äußerungen in der "Süddeutschen Zeitung". Dort hatte der CDU-Politiker heute gesagt, es sei nicht sinnvoll, dem syrischen Außenminister "immer wieder den roten Teppich auszurollen". Sein CSU-Kollege Theodor Freiherr von Guttenberg warnte vor "Alleingängen" Steinmeiers. Da von Klaeden als Vertrauter von Angela Merkel gilt, wurde dieser Angriff in der SPD als neuerliche Eskalation im Dauerkonflikt zwischen Kanzlerin und Außenminister gedeutet. "Die Union will Steinmeier Kratzer zufügen, weil sie ihn als potentiellen Gegner bei der nächsten Bundestagswahl sieht", hieß es in Parteikreisen.

Jäger betonte, dem syrischen Außenminister seien bei seinem gestrigen Besuch in Berlin "keine roten Teppiche ausgerollt worden". Steinmeier hatte den Kollegen als Belohnung für die konstruktive Rolle Syriens bei der Nahost-Konferenz in Annapolis eingeladen. Das Kanzleramt hingegen hielt die Einladung für verfrüht, weil Damaskus bis heute die Wahl eines Präsidenten im Libanon blockiert.

Zunehmende Streitlust in der Außenpolitik

Der außenpolitische Zwist liegt derart offen zutage, dass Vize-Regierungssprecher Thomas Steg heute "Meinungsunterschiede" einräumen musste. Mit Blick auf Merkel und Steinmeier sprach er von "unterschiedlichen Temperamenten", "unterschiedlichen Rollen" und "unterschiedlichen Bewertungen". Schon die Wortwahl machte deutlich: In der Außenpolitik der Großen Koalition scheint im Moment das Trennende zu überwiegen.

Einige Akteure machen die Wahlkämpfe dafür verantwortlich. Die Rhetorik auf beiden Seiten sei wohl dem "nahenden Bundestagswahlkampf" geschuldet, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU). Auch auf SPD-Seite wird eine zunehmende Streitlust bei außenpolitischen Fragen wahrgenommen. "Es häuft sich, dass die bestehenden Unterschiede öffentlich so akzentuiert werden", sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Gert Weisskirchen. "Die Union instrumentalisiert die Außenpolitik für innenpolitische Zwecke", schimpfte SPD-Außenpolitiker Niels Annen.

Doch es liegt nicht nur an den Wahlkämpfen. Die Außenpolitik ist in der Bundesregierung schon länger zu einem inneren Problem geworden: Syrien, Iran, Russland, China - im Umgang mit autoritär geführten Staaten ist eine gemeinsame Linie von Kanzleramt und Auswärtigem Amt selten zu erkennen. Was eigentlich ein überparteiliches Geschäft sein sollte, krankt in der Großen Koalition anscheinend an der Unvereinbarkeit grundverschiedener Prinzipien der Außenpolitik.

Beispiel China: Als die Bundeskanzlerin im September den Dalai Lama im Kanzleramt empfing, sorgte das nicht nur in Peking für ernste Verstimmung. Merkel hatte Steinmeier erst drei Tage zuvor über ihr Treffen informiert - zu kurzfristig, um die Kanzlerin zumindest noch zu einem neutralen Ort für die Begegnung zu bewegen. Steinmeier seinerseits empfing das Tibeter-Oberhaupt nicht und musste sich dafür scharfe Kritik aus der Union anhören. Auf dem SPD-Parteitag in Hamburg nahm Steinmeier dann zum ersten Mal öffentlich Merkel ins Visier: Menschenrechtspolitik dürfe keine "Schaufensterpolitik" sein, polterte er.

Merkel schlug umgehend via "Bild"-Zeitung zurück: "Als Bundeskanzlerin entscheide ich selbst, wen ich empfange und wo. Ich wünsche mir, dass alle in der Bundesregierung diese Haltung geschlossen vertreten, weil andernfalls der Respekt Chinas vor uns bestimmt nicht größer wird."

Steinmeier in SPD-Tradition

Es ist eine Grundsatzfrage, die die Koalitionspartner spaltet: Wie geht man mit einer Diktatur um, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nimmt, die aber auf der anderen Seite eine wichtige geopolitische Rolle spielt? Steinmeier strebt in der Tradition der Sozialdemokratie lieber nach Entspannung, als die Konfrontation zu suchen. Er schwächt den Führungsanspruch des Westens ab, statt ihn zu betonen. "Europäische Werte und Vorstellungen sind nicht mehr ganz von selbst - und das gilt es zu begreifen - in anderen Teilen der Welt so durchzusetzen, wie dies in manchen Phasen der Vergangenheit möglich war", analysierte der Minister im vergangenen Jahr. Der SPIEGEL zitierte Steinmeier mit den Worten: "Weder an der Weltmacht SPD noch am deutschen Außenminister noch an einer deutschen Kanzlerin wird das Wesen der Welt genesen."

Nun ist es nicht so, dass Steinmeier die heiklen Themen bei seinen Reisen ausspart, er meidet die heimischen Kritiker autoritärer Regierungen nicht. Aber er hält nur behutsame Kritik für effektiv. Nachteil der leisen Variante: Kaum einer bekommt sie mit. Dabei setzen gerade Oppositionelle und Regimekritiker auf die Öffentlichkeit in den westlichen Demokratien. Das weiß die Kanzlerin und handelt entsprechend - meist unter Beifall der deutschen Presse.

Auch in Moskau sagt die Kanzlerin ihre Meinung, trifft sich zum Missfallen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Dissidenten, tritt für Meinungsfreiheit ein. Steinmeier predigt stattdessen "Annäherung durch Verflechtung". Die Union will eine "wertegebundene Außenpolitik", der Außenminister warnt vor "Kraftmeierei": "Ich sage laut und deutlich Vorsicht: Das ist ein gefährlicher Weg für unser Land."

Was Steinmeier über Merkels Menschenrechtspolitik denkt, drückte am deutlichsten sein früherer Chef Gerhard Schröder aus. Der Altkanzler warnte vor einer Arbeitsteilung nach dem Motto: Der eine macht Außenpolitik für die Galerie, der andere fegt hinterher die Scherben auf.

FDP und Grüne stützen Steinmeier

In der Syrien-Frage bekam Steinmeier heute Unterstützung von den Fachpolitikern der FDP und der Grünen. Als "verheerend" bezeichnete die Obfrau der Grünen im Auswärtigen Ausschuss, Kerstin Müller, das Verhalten des Kanzleramts. Der deutsche Einfluss im Nahen Osten werde "gleich null, wenn das Bundeskanzleramt Dialog ablehnt, obgleich der Außenminister ihn zu Recht sucht", sagte die frühere Staatsministerin im Auswärtigen Amt der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Auch der FDP-Obmann Werner Hoyer sagte, Steinmeier habe richtig gehandelt. "Hingegen verstehe ich das Kanzleramt nicht, Gespräche abzulehnen, nur weil Washington das wünscht", sagte Hoyer.

Die USA hatten laut Kanzleramt Bedenken gegen den Berlin-Besuch des Syrers geäußert - in Form einer SMS des Nahost-Beauftragten David Welsh an Merkels außenpolitischen Berater Christoph Heusgen. Tenor: "Muss das jetzt wirklich sein?"

Die Union beharrt auf ihrer Kritik. Der Besuch sei zum jetzigen Zeitpunkt falsch gewesen, sagen Polenz und von Klaeden. Auch der libanesische Premier Fuad Siniora habe sich schließlich dagegen ausgesprochen.

Der nächste Konflikt ist bereits programmiert: Nächste Woche sollen sich die sechs Außenminister des Uno-Sicherheitsrats und Deutschlands in Berlin treffen, um über das Nuklearprogramm Irans zu beraten. Außenamtssprecher Jäger sagte, schon die Tatsache, dass es ein gemeinsames Foto geben werde, sei ein Signal der Geschlossenheit an Teheran. Dazu von Klaeden: "Ich würde mir ein Signal wünschen, was über ein gemeinsames Foto hinausgeht."

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