Asylstreit Die Grünen sehen schwarz

Der neue Stil der Grünen ist: kein klares Ja, kein klares Nein. Nirgendwo wird das so deutlich wie in der Flüchtlingskrise. Beim Kernthema Asylrecht wirkt die Partei widersprüchlich, blass - und wird von Kanzlerin Merkel in den Schatten gestellt.
Grünen-Fraktionsspitze: "Ja zur finanziellen Entlastung, Nein zu Asylrechtsverschärfungen"

Grünen-Fraktionsspitze: "Ja zur finanziellen Entlastung, Nein zu Asylrechtsverschärfungen"

Foto: DPA

Das größte Problem der Grünen ist Angela Merkel. Denn die eigene Klientel fährt neuerdings auf die Kanzlerin ab. 82 Prozent der Grünen-Anhänger finden laut einer Umfrage Merkels Kurs in der Flüchtlingskrise gut.

Zwar ließen die Forsa-Fragesteller nur die Wahl  zwischen den Positionen Merkels, Horst Seehofers (CSU) und "Weder noch". Logisch, dass viele Grüne da eher Merkels "Wir schaffen das" als Seehofers "Es sind zu viele" unterstützen. Allerdings ist die Zustimmung für die CDU-Chefin in keiner anderen Partei so hoch wie bei den Grünen.

Man muss sich das einmal klar machen: Die überwältigende Mehrheit der Grünen-Anhänger applaudiert einer Frau, die die Partei eigentlich aus dem Amt jagen will. Zu einem Thema, das zu den Kernkompetenzen der Grünen gehört.

Geht es noch bitterer?

Zehn Jahre nach der letzten Regierungsbeteiligung im Bund, zwei Jahre nach einem mageren Bundestagswahlergebnis und dem Austausch ihrer Führungsriege steckt die Partei weiter in der Identitätskrise.

Eigentlich könnten die Grünen gerade jetzt ihr Know-how in der Migrations-, Integrations- und Asylpolitik beweisen. Doch in der Flüchtlingsdebatte wirken sie merkwürdig verzagt - und widersprüchlich.

Auf der einen Seite enthält das Asylpaket, das in dieser Woche vom Parlament und von den Bundesländern abgesegnet werden soll, massive Verschärfungen für Asylbewerber. "Die schlimmsten der letzten 20 Jahre", wie die Chefin der Grünen Jugend, Theresa Kalmer, sagt.

Auf der anderen Seite werden am Freitag die meisten grün-mitregierten Bundesländer dem Paket voraussichtlich zustimmen. Und damit Reformen mittragen, die die Partei wohl noch vor Kurzem abgelehnt hätte.

"Absolut nicht mehr klar, wofür Grüne stehen"

Grüne Kritik an dem Paket sei kaum hörbar gewesen, kritisiert Kalmer. Stattdessen habe man "grundlegende Positionierungen in der Asylpolitik gegen Bundesmilliarden für die Länder eingetauscht". Bei solchen Ergebnissen sei "absolut nicht mehr klar, wofür Grüne überhaupt stehen."

Drei weitere Balkanstaaten gelten künftig als sicher, damit man Menschen aus diesen Ländern schneller abschieben kann. Dazu kommen deutliche Leistungskürzungen für Asylbewerber, eine längere Verweildauer in Erstaufnahmestellen oder Verzögerungen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt (mehr Details finden Sie im Überblickskasten).

Asylpaket - Verschärfungen und Erleichterungen

Der Asylkompromiss ist an vielen Stellen das Gegenteil dessen, was im Grundsatzprogramm der Grünen steht. Dort fordern sie eine "gleichberechtigte politische, soziale und kulturelle Teilhabe von Migrantinnen und Migranten". Oder: "Europa kann sich nicht als Wohlstandsinsel gegen die übrige Welt abschotten."

"Wir brauchen das Geld - und zwar jetzt"

Auf der anderen Seite lockten milliardenschwere Soforthilfen für Flüchtlinge. Der Bund will sich dauerhaft an den Kosten für Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen beteiligen - und Länder und Kommunen entlasten. Das Geld wird dringend gebraucht, da sind sich Konservative, SPD, Linke und Grüne einig. Niemand vor Ort hätte der Partei eine Blockade verziehen, heißt es von Grünen aus den Ländern.

Die Zustimmung zum Asylpaket stellt die Grünen vor schwierige Fragen. Wiegt Pragmatismus mehr als ein ur-grüner Wertekatalog? Wo hört Idealismus auf, wo fängt politische Verantwortung an? Kann man beides überhaupt miteinander vereinbaren?

In den Ländern brodelt die Debatte, mehrere Landesverbände positionierten sich gegen neue Asylrechtsverschärfungen. Die Zerrissenheit zeigt sich auch in der Bundestagsfraktion, in der das Thema am Dienstag stundenlang diskutiert wurde. Fast jeder Abgeordnete meldete Redebedarf an.

Der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek aus Bayern gehört zu denen, die das Asylpaket sehr kritisch sehen, aber notwendig finden. "Die Menschen, die sich vor Ort um Flüchtlinge kümmern, wollen schnelle Hilfe. Ohne die Milliarden des Bundes hätten sie keine Chance, das Chaos zu bewältigen. Bei aller Kritik und allen berechtigten Bauchschmerzen: Das ist die Realität."

Die Abgeordnete Annalena Baerbock sieht das ähnlich. "Um die Situation vor Ort für die Flüchtlinge gerade vor dem Winter zu verbessern, brauchen wir das Geld für die Kommunen - und zwar jetzt." Die einhergehenden Verschärfungen im Asylrecht seien "unsinnig". Aber das hätten nicht die Grünen verhindern können, sondern die SPD.

Der Grünen-Innenexperte Volker Beck ist klar gegen das Paket - allen Milliarden zum Trotz. "Der asylrechtliche Teil setzt auf Abschreckung und Schikane. Länder, in denen Menschen massiv verfolgt werden, können nicht guten Gewissens als sicher erklärt werden. Ich möchte diesen Verschärfungen im Bundestag nicht über die Hürde helfen", sagt er. Ähnlich argumentiert Grünen-Urgestein Jürgen Trittin .

Das Gesetzespaket geht am Donnerstag durch das Parlament, die Grünen-Fraktion will sich mehrheitlich enthalten. Enthaltung gab es von den Grünen schon vor dem letzten Griechenland-Hilfspaket, als es darum ging, der Bundesregierung ein neues Verhandlungsmandat zu erteilen. Es scheint der neue, grüne Stil zu sein: Kein klares Ja, kein klares Nein.

Im Bundestag wollen die Grünen am Donnerstag wenigstens ein kleines Zeichen setzen, und separat über Einzelteile des Asylpakets abstimmen. "Wir sagen Ja zur finanziellen Entlastung, und Nein zu mehreren unsäglichen Asylrechtsverschärfungen", erklärt Fraktionschef Anton Hofreiter. Ob solche Details da draußen ankämen? "Ich bin mir sicher, dass unsere Anhänger das differenzieren können."


Zusammengefasst: Am Donnerstag stimmt der Bundestag über das Asylpaket ab, am Freitag der Bundesrat. In der Länderkammer hätten die Grünen theoretisch eine Mehrheit, um Asylrechtsverschärfungen zu verhindern. Daran gekoppelt sind aber massive finanzielle Entlastungen für die Kommunen in der Flüchtlingskrise - deshalb trägt man auch unliebsame Teile des Gesetzespakets mit.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Textes hieß es, die Grünen hätten sich bei der Abstimmung über ein drittes Griechenland-Paket enthalten. Die Grünen stimmten jedoch mehrheitlich mit Ja. Eine mehrheitliche Enthaltung der Grünen-Fraktion gab es bei einer Bundestags-Abstimmung im Vorfeld, als es darum ging, der Bundesregierung ein Verhandlungsmandat für ein drittes Hilfspaket zu erteilen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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