Kommentar zum Abschied vom Veggie Day Freies Fressen

Die Grünen wollen sich vom "Veggie Day" verabschieden. Künftig darf jeder wieder essen, was er will. So soll es im neuen Programm stehen. Danke, liebe Grünen, das ist echt großherzig!
Abschied vom fleischlosen Tag: "Was ich esse, entscheide ich selbst"

Abschied vom fleischlosen Tag: "Was ich esse, entscheide ich selbst"

Foto: Caroline Seidel/ dpa

"Eins, zwei oder drei", so heißt eine beliebte Ratesendung für kleine Fernsehzuschauer. Moderiert wurde sie anfangs von Michael Schanze, und wenn sich seine jungen Rategäste für ihre Antwort auf eine Quizfrage entschieden hatten, stellten sie sich auf eines von drei Feldern, unter denen Leuchten angebracht waren. Schanzes wichtigster Satz in der Sendung lautete: "Ob ihr recht habt oder nicht, sagt euch gleich das Licht." Unter wem danach das Licht angeht, hat gewonnen und bricht in euphorischen Jubel aus.

Erleuchtung bringt also Erlösung, und so hätte es die Partei der Grünen auch gern. Sie wünschen sich sehr, vom Trauma ihres Wahldebakels erlöst zu werden, und es zeigen sich erste Zeichen von Erleuchtung. In das neue Parteiprogramm soll Anfang November nämlich dieser Satz Eingang finden: "Was ich esse und was nicht, entscheide ich selbst nach meinem Geschmack."

Im vergangenen Bundestagswahlkampf trat die Partei noch mit der Forderung an, in öffentlichen Kantinen möge es künftig einen verpflichtend fleischlosen Tag pro Woche geben, einen "Veggie Day". In einem ansonsten ereignisarmen Wahlkampf machte das schnell Schlagzeilen, was die Grünen zunächst freute. Die damalige Fraktionschefin Renate Künast sagte im kleinen Kreis: "Das ärgert vielleicht die anderen, aber unsere Klientel macht das richtig glücklich." Es kam anders. Die Grünen blieben am Wahlabend weit unter dem erhofften Ergebnis und müssen sich seither als Verbotspartei schimpfen lassen.

Die Grünen ändern die Ansage, nicht aber den Geist

Nun zählt zum Schönen an Fehlern, dass man aus ihnen lernen kann. "Was ich esse und was nicht, entscheide ich selbst nach meinem Geschmack", ist ein solcher Lernversuch. Aber wahr ist leider auch: Was für die Grünen ein großer Schritt ist, ist für die Menschheit ein vergleichsweiser kleiner.

Die Deutschen zum Beispiel haben im Laufe der Jahrhunderte durchaus einige Erfahrung darin gesammelt, über ihr Essen zu entscheiden. Das verläuft bei Auswahl, Menge und Verzehr nicht immer rein rational oder unfallfrei, aber das gilt für den großen Rest des menschlichen Daseins schließlich auch.

Die Grünen ficht es nicht an. Wenn das Volk, der große Lümmel, der grünen Moral nicht folgen mag, sondern nach Essensfreiheit verlangt, dann will die Partei diese wenigstens huldvoll gewähren dürfen, so viel Ordnung muss sein. Die Grünen ändern also die Ansage, nicht aber den Geist, die patriarchalische Attitüde.

Bislang hat der Antrag der Parteiführung, der seit einiger Zeit im Netz steht, noch keine große Debatte unter den Mitgliedern ausgelöst. Einer der Kommentare darunter lautet: "Der komplette Artikel muss gegendert werden." Dann hieße es wohl: "Was er/sie/es essen will und was nicht, entscheiden er/sie/es nach seinem/ihren/seinem Geschmack."

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