Grüne diskutieren "Killerspiele" "Media Markt" im Kinderzimmer

Für den Emsdettener Amokläufer Sebastian B. gehörten Killerspiele zu seiner Lieblingsbeschäftigung. Deshalb ist jetzt die Diskussion um ein Verbot der Computerspiele erneut aufgeflammt. Die Grünen diskutierten das Verbot auf einer Fachtagung - und fordern eine "neue Kultur des Hinsehens".
Von Sonja Pohlmann

Berlin – Tastatur und Computermaus – mehr brauchte Sebastian B. nicht, um in eine Welt flüchten, in der er endlich stark war. Ganz anders als im wahren Leben, wo er sich als notorischer Verlierer fühlte. "Counterstrike" zu spielen, gehörte zur Lieblingsbeschäftigung des 18-Jährigen Amokläufers aus Emsdetten - ein so genanntes "Killerspiel". Unter seinem Nickname "ResitantX" wird Sebastian B. zahlreiche seiner virtuellen "Feinde" getötet haben, im wahren Leben glücklicherweise keinen einzigen Menschen - außer sich selbst.

Knapp eine Woche ist es jetzt her, dass der bewaffnete 18-Jährige an seiner Schule fast eine Katastrophe auslöste - seither ist die Diskussion um ein Verbot der "Killerspiele" erneut entbrannt. In Mitten dieses Trubels hat die Bundestagsfraktion der Grünen an diesem Montag zum Fachgespräch eingeladen: "Computerspiele: Was wird hier gespielt?". Zusammen mit Fraktionsmitgliedern diskutieren Computerexperten und Medienpädagogen über Wirkung und Verbot der umstrittenen Spiele – allerdings nicht aus aktuellem Anlass. Schon seit Januar ist die Veranstaltung geplant. Damit will die Oppositionspartei auf den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD reagieren, demnach die Regierungsparteien ein Verbot wollen von Vertrieb und Herstellung der "Killerspiele" prüfen wollen.

Eltern sind mit "Killerspielen" überfordert

Diese Spiele fördern die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen, fürchten viele Politiker. Das glauben die Grünen nicht. "Eine solche Schlussfolgerung ist zu simpel. Hinter dem Gewaltverhalten von Jugendlichen stecken komplexe individuelle Zusammenhänge", sagt Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Grünen. Auch Sebastian B. habe sich allein gelassen gefühlt. Dass durch ihn das Fachgespräch plötzlich an Brisanz gewinnt, betrübt Bettin. "Allerdings zeigt der Vorfall aus Emsdetten, dass wir dringend über unseren Umgang mit Killerspiele nachdenken müssen", sagt sie.

Ein Verbot für Killerspiele lehnt Bettin vehement ab. Dieses sei nicht durchsetzbar – schon deshalb, weil das Internet nicht an den Landesgrenzen endet. Außerdem seien Computerspiele Teil der Jugendkultur – eine Welt, die vielen Erwachsenen verschlossen bleibt. "Digital gap" sagen Experten, wenn Eltern nicht mehr verstehen, was ihre Kinder vorm Computer eigentlich machen. In dieser Kluft liegt für die Teilnehmer des Fachgesprächs das wesentliche Problem. "Wenn Mütter und Väter ihre Kinder beim Spielen begleiten und ihnen einen Sinn für Qualität geben würden, dann kehren sie automatisch zu anspruchsvollen Spielen zurück", glaubt Thomas Feibel, Experte für Kindermedien. Viele Eltern seien jedoch überfordert. Ihre einzige Reaktion sei zu sagen: "Counterstrike ist nicht, räum' Dein Zimmer auf!" Das sei keine Lösung.

"Kinderzimmer sehen aus wie der Media Markt"

Allerdings gebe es für die Kinder heute kaum noch attraktive Alternativen. Der Spielzeugmarkt habe längst kapituliert, Computerspiele seien oft die einzigen Reize, die ihnen geboten würden. Dazu zeige schon der Blick in die Kinderzimmer "Die sehen doch aus wie ganze Media-Märkte", sagt Feibel. Erwachsenen müssen mutiger werden, fordert er. "Keiner von denen traut sich, einem 12-Jährigen das "Ballerspiel" zu verbieten".

Doch was ein solches "Ballerspiel" ist und was nicht – das ist für viele Eltern nur schwer zu unterscheiden. Denn ein verbindliches Gütesiegel gibt es bisher nicht. Zwar prüft die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), ähnlich wie die Freiwilligen Selbstkontrolle bei Film und Fernsehen, eine Altersbeschränkung. Eine inhaltliche Bewertung gibt es jedoch bisher nicht – ein Spiel zu finden, dass sowohl jungen Menschen als auch Erwachsenen gefällt und gleichzeitig einen pädagogischen Mehrwert hat, dürfte allerdings schwer werden.

"Neue Kultur des Hinsehens" notwendig

Trotzdem wollen die Experten versuchen, die Qualität der virtuellen Spiele verbessern. "Ähnlich wie bei der Filmförderung, sollte auch die Entwicklung der Computerspiele finanziell unterstützt werden", wünscht sich Hans-Jürgen Palme, geschäftsführender Vorstand von SIN Studio im Netz, eine medienpädagogische Facheinrichtung aus München. Ob es dann weniger "Killerspiele" geben wird, ist fraglich. Um Menschen wie Sebastian B. zu helfen, dürfte mehr Sensibilität wichtiger sein. "Wir müssen aufpassen, solche Leute nicht als Außenseiter und Bildungsverlierer abzuschreiben", sagt Kai Gehring, Sprecher für Jugend- und Hochschulpolitik bei den Grünen, "vielmehr brauchen wir eine neue Kultur des Hinsehens".

Korrektur: In der ursprünglichen Fassung des Textes wurde "ResitantX" als Computerspiel bezeichnet. Dieser Name war jedoch der Nickname von Sebastian B. Zudem wird "Counterstrike" nicht, wie vorher geschrieben, mit einem Joystick gespielt, sondern mir einer Kombination aus Maus und Tastatur.

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