Grüne im Ausstiegs-Dilemma AKW-Gegner fürchten die Abschaltung

Grüne Özdemir, Roth, Künast, Trittin bei Anti-Atom-Demo: Die Angst vor der Schmollecke
Foto: AFPBerlin - Die Grünen wollten schon immer raus. Selbst als es die Partei noch gar nicht gab. In Wyhl oder in Kalkar demonstrierten schon in den Siebzigern viele gegen Kernkraft, die einige Jahre später zu den Gründungsmitgliedern der Grünen gehörten. "Atomkraft, nein danke" hieß ihr Credo. Jahrzehnte haben sie dafür gekämpft - nun ist die Konkurrenz auf ihren Weg eingeschwenkt: Schwarz-Gelb hat sich auf den Atomausstieg bis 2022 geeinigt.
Die Grünen müssten jubeln in diesen Tagen. Doch weit gefehlt.
Sie wollen sich nicht einmal dazu gesellen in den großen Konsens-Reigen der Atomaussteiger, den Kanzlerin Angela Merkel gerne anführen würde. Während die SPD schon Zustimmung für die schwarz-gelbe Energiewende signalisiert, geben sich die Grünen bockbeinig.
Das Ausstiegsdatum ist ihnen zu spät, der Ausbau der regenerativen Energien zu klein, der Rückgriff auf Kohlekraftwerke zu großzügig. Außerdem bemängeln sie, dass die neun neueren AKW wohl erst 2021 und 2022 vom Netz gehen werden. Während Schwarz-Gelb-Rot den Weg in ein neues Energie-Zeitalter feiert, sind die Grünen am Nörgeln.
Sie stecken in der Klemme. Manche reden sogar schon von der Sinnkrise. Denn egal wie sich die Grünen am Ende zum Koalitionsbeschluss positionieren - das grüne Herzensthema hat Merkel weitestgehend abgeräumt. Könnte der Start zum Atomausstieg gleichzeitig das Ende des grünen Höhenflugs bedeuten?
Neue Realität - alte Parolen
Mancher bei den Grünen scheint die neue Realität noch nicht akzeptieren zu wollen - und spult munter alte Parolen ab: "Dem Anspruch, den die Kanzlerin nach Fukushima erhoben hatte, nämlich so schnell wie möglich aus der Atomenergie auszusteigen, wird sie nicht gerecht", sagt Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin. Seine Co-Vorsitzende Renate Künast klagt mit Blick auf Schwarz-Gelb: "Sie gehen damit nicht nach vorne." Und Parteichefin Claudia Roth meint: "Man kann den Teufel Atomkraft nicht mit dem Beelzebub Kohle austreiben."
Die Grünen wirken im Moment ein bisschen wie ein Tanzensemble, das immer noch über das Parkett wirbelt, obwohl die Kapelle längst nicht mehr spielt.
Natürlich ist da die Angst vor den eigenen Leuten. Sollten Trittin, Özdemir und Co. einem Atomausstiegsbeschluss zustimmen, der aus Sicht der Grünen-Basis nicht akzeptabel ist, würde es nach Jahren der relativen Ruhe richtig knallen. Mancher erinnert sich beim Gedanken an einen möglichen Sonderparteitag - er würde am 25. Juni in Berlin stattfinden - mit Schrecken an Göttingen 2007: Auf dem dortigen Afghanistan-Sonderparteitag bekam die Führung ihren Antrag zum Bundeswehreinsatz um die Ohren gehauen. Schon heißt es warnend in einem aktuellen Papier junger grüner Landtags-, Bundestags- und Europaabgeordneter sowie Landesvorsitzenden: "Ein billiger Konsens mit den Atomparteien ist mit uns nicht zu machen."
Das ist die innere Glaubwürdigkeits-Falle.
Aber kluge Leute in der Führung wissen auch, wie gefährlich es in der selbstgewählten Schmollecke für sie werden könnte. Wenn die SPD tatsächlich mitmacht beim Atomausstiegsplan der Koalition, sind die Grünen isoliert. Dann stehen sie endgültig als "Dagegen-Partei" da - und das bei ihrem ureigenen Projekt. Der breiten Öffentlichkeit dürfte die mitunter wohl berechtigte Detailkritik der Grünen nicht vermittelbar sein. Stattdessen könnte ihr größtes Pfund, die Glaubwürdigkeit, massive Kratzer bekommen.
Das ist die äußere Glaubwürdigkeitsfalle.

Atomausstieg: Diese AKW werden stillgelegt
Schon gibt es prominente Grüne, die von der Führung mehr Kompromissbereitschaft fordern. "Ein Konsens über den Atomausstieg ist erstrebenswert", sagt Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Die Positionen seien "nicht so weit auseinander, dass man eine Einigung schon ausschließen müsste". Und selbst Fraktionschef Trittin erinnerte am Dienstag daran, dass man durchaus zu einem Konsens bereit ist. "Das setzt aber voraus, dass die Regierung einen seriösen und vor allem einen energiewirtschaftlich verantwortlichen Ausstieg vorlegt."
Eben das scheint fraglich. Aus Rücksicht auf den Koalitionspartner FDP und die Ausstiegsgegner in der Union wird Kanzlerin Merkel den Grünen nicht viel weiter entgegenkommen können.
Es sind allerdings nicht nur die Grünen, die jetzt ein Problem haben. Mit Sorge in die Zukunft blicken dürften auch ihre Verbündeten blicken, die ihre Existenzberechtigung vor allem aus dem Konflikt um die Kernkraft ziehen: die Umweltverbände. Greenpeace, Nabu, BUND und Co. können sich dank der schwarz-gelben Energiewende zwar ebenso als Sieger der Geschichte fühlen - aber ein bisschen überflüssig macht sie das auch.
Anti-AKW-Protest war ein Spektakel
Am vergangenen Wochenende, kurz vor dem entscheidenden Treffen der Bundesregierung, durften sie sich noch mal austoben. Bundesweit marschierten Zehntausende für das Ende der Kernkraft. In Berlin erkletterten Greenpeace-Aktivisten sogar das Brandenburger Tor und entrollten ein gelbes Plakat mit der Aufschrift "Jeder Tag Atomkraft ist einer zu viel", darunter ein Totenkopf - fertig war das Fotomotiv. Eine dieser spektakulären Aktionen, perfekt getimt, "Tagesschau"-tauglich.
Natürlich werden die Umweltverbände ihre Märsche nun nicht aufgeben und sonstige Protestformen einmotten. Aber da der Atom-Ausstieg besiegelt zu sein scheint, droht ihnen der Rahmen abhandenzukommen, der ihre Bilder erst so wirkungsvoll werden ließ. Wie so viele NGO sind auch die Umweltverbände eine Projektionsfläche für Ängste und Sorgen in der Bevölkerung. Ihre Proteste bedienen ein latentes Gefühl der Verunsicherung. Jetzt fehlt der Gegner, jetzt gibt es klare Verhältnisse - jedenfalls auf dem Papier.
Mancher Sympathisant wird sich künftig wohl fragen: Wofür demonstrieren die eigentlich noch?
Eine heikle Situation. Einerseits gilt es, den Eindruck zu vermeiden, man protestiere nur um des Protests willen. Andererseits leben die Umweltverbände vom großen Streit, von großen Protesten.
Helfen kann da eigentlich nur ein neues Thema.