Baerbocks Umfragekrise Das Trauma der Grünen

Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock
Foto: Patrick Pleul / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Es ist gar nicht so lange her, keine vier Monate, da war bei den Grünen noch alles in bester Ordnung. Annalena Baerbock hatte man gerade erst zur Kanzlerkandidatin gemacht. In der Folge schossen die Grünen in ungeahnte Umfragehöhen.
Manche Erhebungen sahen die Partei bei 28 Prozent, auf Platz eins vor der Union. Das Ziel eines grün geführten Kanzleramts, nie schien es näher als in jenen Tagen.
Es war eine andere Zeit.
Ein mit Patzern durchzogener Wahlkampf und die herben Angriffe der Konkurrenz haben die Grünen-Euphorie zunichtegemacht. Die Union ist längst wieder vorbeigezogen. Nun aber könnte es für die Ökopartei noch schlimmer kommen.
Umfrageschock für die Grünen
Am Donnerstag veröffentlichte die ARD ihren jüngsten »Deutschlandtrend« – aus Grünen-Sicht ist es ein Schock. Gerade einmal 17 Prozent der Menschen würden die Partei demnach noch wählen.
Und mehr noch, die Meinungsforscher von Infratest dimap bestätigen die Ergebnisse anderer Erhebungen aus den vergangenen Tagen. Was über Monate kaum vorstellbar war, ist eingetreten: Die Grünen sind sogar auf Platz drei zurückgefallen – noch hinter die SPD mit ihrem Kandidaten Olaf Scholz.
Bliebe es dabei, müsste Baerbock ihre Kanzlerinnenpläne streichen – egal, ob am Ende ein Jamaikabündnis, die Ampel oder Rot-Rot-Grün regiert.

Baerbock auf Wahlkampftour in Regensburg
Foto: via www.imago-images.de / imago images/Action PicturesDie Entwicklung weckt bei vielen Grünen geradezu traumatische Erinnerungen. Schon 2013 und 2017 waren sie mit großen Hoffnungen in die Bundestagswahlkämpfe gestartet. Beide Male schien der Aufstieg der Partei in neue Sphären möglich. Beide Male kamen die Grünen am Ende nicht einmal auf neun Prozent.
So schlecht geht es den Grünen trotz Krise aktuell natürlich nicht. Aber es war die Ökopartei selbst, die die Ansprüche nach oben geschraubt hat. Die nächste Regierung wolle man selbst anführen – das war die Ansage. Sie sollte in die Köpfe der Menschen bringen, dass die Grünen wichtig sind, groß, einflussreich. Auch Wählerinnen und Wähler zieht es oft dorthin, wo sie Macht vermuten.
So war man sich lange sicher, zumindest die SPD diesmal auf Abstand halten zu können. Vielmehr noch: Man wollte dauerhaft die Rolle der Sozialdemokraten als Volkspartei einnehmen.
Die gesamte Grünen-Kommunikation war deshalb auf ein Duell mit der Union ausgerichtet. Laschet gegen Baerbock, das war ihre Geschichte. Die SPD wollte man im Wahlkampf am liebsten gar nicht vorkommen lassen.
Davon kann nun keine Rede mehr sein.
»Wir sehen ein Triell«
Noch im Mai schrieb etwa Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, auf Twitter: »Dass wir eine Duellsituation haben mit der #Union führt dazu, dass diese uns verleumderisch und zum Teil faktenfrei attackiert.«
Am Montag klang das dann so, wieder Kellner: »Wir sehen ein Triell, alles ist drin, alles ist möglich in den nächsten sechs Wochen.« Auch die Kanzlerkandidatin selbst räumte im Wahlkampf in Bayern ganz offen ein, dass es jetzt um einen Dreikampf geht. »Der Wahlkampf ist jetzt ja sehr, sehr spannend. Drei Parteien stehen alle ungefähr gleichauf und machen Ihnen und machen euch ein Angebot, wie wir in Zukunft gemeinsam leben wollen«, sagte sie in Passau.
Es ist ein offener Kursschwenk, den die Grünen da vollziehen, ein Strategiewechsel. Etwas anderes bleibt ihnen auch kaum übrig. Offensichtlich ist es nun die SPD, die von der Schwäche der Union profitiert – nicht mehr die Grünen.
Der wohl entscheidende Grund: Deren Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist den Umfragen zufolge deutlich beliebter als Baerbock.
Nur: Was folgt daraus für den weiteren Wahlkampf?
Schon vor einigen Tagen hieß es aus Grünen-Kreisen, man schaue sich die Lage genau an. Verfestigt sich der Trend, werde man wohl reagieren müssen – und Scholz verschärft attackieren.
Einen möglichen Vorgeschmack lieferte jüngst Grünen-Urgestein Jürgen Trittin. Als die »taz« am Donnerstag Fotos von Kanzlerin Angela Merkel und den am Afghanistan-Debakel beteiligten Ministern mit dem Titel »Zeit für den Abzug« flankierte, twitterte der Partei-Linke: »Da fehlt doch der @OlafScholz.«
Da fehlt doch der @OlafScholz, liebes @tazgezwitscher. Habt Ihr ihn vergessen? #CumEx #Wirecard #Afghanistan #Abschiebung #Kohleausstieg pic.twitter.com/dsuIEq5UHf
— Jürgen Trittin (@JTrittin) August 19, 2021
Manche Grünen gehen davon aus, dass nun Scholz’ Rolle in Sachen Wirecard und Cum-Ex oder dessen Sparkurs in der Bundesregierung wieder stärker in den öffentlichen Fokus rücken.
»Der Modernisierungsstau in Deutschland hängt mit der Schwarzen Null zusammen«, sagt der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour dem SPIEGEL. »Daran hat Scholz bis zu Beginn der Pandemie hart festgehalten. Darauf haben wir immer hingewiesen.«
Allerdings ist die Frage, wie sehr man sich auf die SPD einschießen sollte, bei den Grünen umstritten.
Manche in der Ökopartei halten es generell für unklug, wenige Wochen vor der Wahl noch einmal die eigene Strategie zu überarbeiten. Doch selbst wenn sich die Grünen Scholz nun offensiver vorknöpfen wollten, einfach wird das nicht.
Der Vizekanzler, das sehen wichtige Grüne so, steht ihnen inhaltlich einfach näher als Laschet. Damit wird es schwerer, sich abzugrenzen. Auch persönlich wirkt Scholz sicherer als der CDU-Chef. Es wird, so heißt es, weniger leicht, ihn als Person anzugreifen, weil er schlicht weniger Fehler macht.
Neue Wahlkampferzählung
Deshalb will man es, so ist jedenfalls aktuell der Stand, wohl auch nicht mit persönlichen Attacken probieren. Auch wenn manche Grüne etwa streuen, wie sehr Scholz in Verhandlungen um den CO2-Preis blockiert haben soll.
Vielmehr haben die Grünen sich eine neue Erzählung bereitgelegt, mit der sie sich fortan abgrenzen wollen.
»Es geht in diesem Wahlkampf um Status quo – Armin Laschet, Olaf Scholz in ihrer Behäbigkeit, die Klimapolitik zu ignorieren –, und Veränderung – Veränderung für mehr Klimaschutz, Veränderung für eine Verringerung von sozialer Ungleichheit in diesem Land«, so formulierte es Wahlkampfchef Michael Kellner am Montag.
Mit Freude hat man Scholz’ Aussage im ARD-Sommerinterview zur Kenntnis genommen, er wolle den Kohleausstieg nicht von 2038 vorziehen. Die Grünen wollen das zwar auch nicht vorschreiben. Aber sie planen, die CO2-Preise am besten europäisch so anzuheben, dass die Betreiber von allein die Kraftwerke abschalten, weil sie sich nicht mehr lohnen. Und die Erneuerbaren parallel möglichst schnell auszubauen.
Es sind konkrete Fragen wie diese, noch dazu aus ihrem eigenen Kernthema Klimaschutz, mit denen die Grünen Scholz knacken wollen. Allerdings können sie sich nicht allzu sicher sein, dass der Plan aufgeht. Diejenigen, die sich von der Union lösen wollen, scheint es seit einer Weile nicht mehr zu Baerbocks Grünen zu ziehen. Und diejenigen, denen es ums Klima geht, sind womöglich schon längst dort.
Erst kürzlich hatte die Flutkatastrophe das Klima wieder ganz vorn auf die politische Agenda gebracht. Nur konnten die Grünen als die Partei, die in solchen Momenten eigentlich dominieren müsste, daraus kein Kapital schlagen. Am Umfragetrend änderte sich: nichts.