Grüne Regierungsoptionen Immer dabei

Volkspartei im Osten? Davon sind die Grünen trotz Zugewinnen weit entfernt. Mitregieren könnten sie in Brandenburg und Sachsen trotzdem - dank ihrer Strategie, mit fast jeder Partei zu koalieren. Geht das gut?
Spitzenkandidatinnen der Länder, Katja Meier und Ursula Nonnemacher. Im Vordergrund Parteichefin Annalena Baerbock: "Natürlich kann man nicht nur glücklich sein"

Spitzenkandidatinnen der Länder, Katja Meier und Ursula Nonnemacher. Im Vordergrund Parteichefin Annalena Baerbock: "Natürlich kann man nicht nur glücklich sein"

Foto: OMER MESSINGER/EPA-EFE/REX

Nun hat es doch nicht gereicht für die große Ankunft der Grünen im Osten. Ein solides Ergebnis haben sie in Brandenburg und in Sachsen erreicht - mehr aber auch nicht.

Dieses Ergebnis birgt zwei Lesarten:

  • Die erste ist, dass sie den Bundestrend im Osten nicht halten konnten, dass sie faktisch, zum Beispiel im Gegensatz zur Europawahl, verloren haben.
  • Die zweite ist, dass sie es trotz der Zuspitzung auf den Kampf von CDU beziehungsweise SPD gegen die AfD geschafft haben, insgesamt deutlich über fünf Prozent zu landen - in Ländern, wo sie jahrelang in der außerparlamentarischen Opposition waren.

"Nicht nur glücklich"

Die Grünen halten an der optimistischeren Lesart fest. "Wir gehen aus den Wahlen gestärkt hervor", sagt Parteichefin Annalena Baerbock. Dennoch, ganz wegdiskutieren lassen sich die Wahlergebnisse, die weit unter den Erwartungen geblieben sind, nicht. In den Wahlkreisen des Braunkohlereviers Lausitz sind sie sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen vielfach unter fünf Prozent geblieben. Auf Nachfrage räumt Baerbock ein: "Natürlich kann man nicht nur glücklich sein, über dieses Wahlergebnis, auch nicht als Grüne."

Klar ist, dass die Grünen trotzdem regieren wollen. In beiden Ländern gilt eine Machtbeteiligung als wahrscheinlich. In Sachsen braucht die CDU die Grünen für ein Kenia Bündnis (Schwarz-Grün-Rot), und in Brandenburg wären sie sowohl bei einer möglichen Rot-Rot-Grünen Koalition als auch bei einem möglichen Kenia-Bündnis dabei. Nur bei einem Bündnis von SPD, CDU und Freien Wählern in Brandenburg, das rechnerisch auch möglich wäre, würden die Grünen fehlen.

Die Frage ist: Wie werden sich diese möglichen Regierungsbeteiligungen auf die Grünen auswirken?

Auf den ersten Blick könnten sie zur Belastung werden. Denn während die Grünen in Brandenburg wohl Rot-Rot-Grün verhandeln werden, müssen sie in Sachsen mit dem als sehr konservativ geltenden Landesverband der CDU zusammenkommen. In beiden Ländern werden die Gespräche außerordentlich schwierig.

  • Das Braunkohlerevier Lausitz erstreckt sich von Südbrandenburg nach Nordsachsen. Im August hatten die Grünen ihr "Klimaschutz-Sofortprogramm" vorgestellt und darin gefordert, dass "bis Ende 2022 mindestens rund ein Viertel der Braunkohlekapazitäten" abgeschaltet würden. Der Streit um den Ausstieg wird die Koalitionsverhandlungen wohl mitbestimmen. Die Brandenburger Grünen stellten vorab eine Bedingung: Mit ihnen werde es keine neuen Tagebaue geben.
  • In Sachsen gibt es zusätzlich Konfliktpotential bei den Themen Innere Sicherheit und Migration. Die Grünen wollen zum Beispiel keine Bodycam für Polizisten einführen. Oder der Dauerstreit über die sicheren Herkunftsländer: Bislang wehren sich die Grünen dagegen, die Maghreb-Staaten als solche einzustufen. Sachsen aber war bislang dafür.

Trotz der Widrigkeiten: Die Grünen scheinen sich auf die möglichen Regierungsbeteiligungen zu freuen. Sie haben in Brandenburg und Sachsen seit Jahrzehnten Politik nur aus der Opposition heraus gemacht, wenn sie überhaupt in den Landtagen vertreten waren.

Grüne wollen an Kurs festhalten - trotz mäßiger Wahlergebnisse

Das Motto "Hauptsache regieren" ist seit der Wahl des Vorsitzenden-Duos Habeck und Baerbock ohnehin quasi gesetzt. Damit haben sie in den vergangenen Monaten ihre größten Erfolge eingefahren, in Bayern, Hessen, bei den Europawahlen. Im SPIEGEL-Interview sagte Parteichef Robert Habeck vor wenigen Wochen: "Wir füllen die Leerstellen, die CDU und SPD lassen." Das sagt eigentlich alles: Die Grünen wollen in alle Richtungen weiterwachsen und vertreten diese Strategie offensiv.

Auch Baerbock betont am Montag, man wolle am derzeitigen Kurs festhalten. "Unseren eigenen Kurs zu fahren, zu sagen, wofür steht grüne Politik, das sehen wir in den letzten Jahren als relativ erfolgreich", sagt sie - genauso wolle man auch in den Thüringer Wahlkampf ziehen. Dort wird am 27. Oktober gewählt.

Dass die aktuellen Ergebnisse vergleichsweise mau ausfielen, erklären sich die Grünen mit dem Ziel der Wähler, die AfD als stärkste Partei zu verhindern. Deshalb hätten viele SPD (in Brandenburg) und CDU (in Sachsen) gewählt. Eigene Fehler können die Grünen nicht erkennen.

Warum auch?

Die inhaltlichen Aufweichungen, die diese Strategie zwangsläufig mit sich bringt, haben die Wähler der Partei bislang nicht übelgenommen. Im Gegenteil. Bislang war die inhaltliche Flexibilität eher ein Vorteil der Grünen. Das sieht man vor allem in Baden-Württemberg und Hessen. Dort sind die Grünen seit Jahren an der Regierung, haben auch Entscheidungen getroffen, die in ihren Kernmilieus eher unbeliebt sind.

Sie haben in Hessen den Ausbau des Frankfurter Flughafens mitgetragen, und in Stuttgart akzeptieren sie den Bau von Stuttgart 21. In beiden Bundesländern konnten sie nach der ersten Legislaturperiode als Regierungspartei deutliche Zuwächse bei den Landtagswahlen verzeichnen.

Ein Problem haben die Landtagswahlen in Ostdeutschland aber aufgezeigt: Wenn die Grünen nicht um Platz 1 spielen, könnten sie mit dieser Strategie mehr verlieren, als ihnen lieb ist. Dann wirken ihre Forderungen, die sie gleichzeitig links und rechts der Mitte platzieren, zunehmend beliebig. Sie drohen, als Steigbügelhalter der bereits Regierenden zu gelten, als Mehrheitsbeschaffer. Als Mitregierer eben.

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