Start der Grünen-Urwahl "Du kannst auch zehn Kühe scheiße halten"

Bewerber für die Grünen-Spitzenkandidatur
Foto: DPADie Entwicklung der Grünen ist sehr hübsch am Stil ihrer Urwahlen nachvollziehbar. Als die Basis vor vier Jahren ihre beiden Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl kürte, gab es 15 Bewerber, darunter völlig Unbekannte. Im Rückblick wirkte das ziemlich wild.
Dieses Mal läuft alles sehr professionell ab, fast schon erwachsen. Es gibt vier Bewerber, die Gesichter des Wahlkampfs 2017 sein wollen. Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, Fraktionschefs im Bundestag, Parteichef Cem Özdemir, Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident Robert Habeck.
Sie alle gehören zum Spitzenpersonal. In Facebook-Videos preisen sie sich vor dezentem Hintergrund an. In Kandidatenfragebögen erfährt man rebellionsarme Dinge wie: Rasen mähen und Handball machen glücklich (Habeck), und die "Heute Show" ist lustig, auch wenn sie "ein bisschen böse" ist (Göring-Eckardt).
Am Samstagabend stellten sich die Vier zum ersten Mal zusammen auf offener Bühne vor. Knapp drei Monate werden sie durch Deutschland touren, die Parteimitglieder können fragen, applaudieren oder buhen, und bis Mitte Januar über ihre Spitzenduo abstimmen. Göring-Eckardt ist wegen der Frauenquote gesetzt, die drei Männer kämpfen also um einen Platz.
Was blieb hängen?
- Cem Özdemir konzentrierte sich auf die Frage, warum "viele längst grün leben und denken, aber uns nicht wählen". Der Parteichef sagte selbstkritisch: "Das könnte auch am Sender liegen, nicht nur am Empfänger". Auch ging er gegen innerparteiliche Gegner in die Offensive. Im Linksflügel will man verhindern, dass Daimler-Chef Zetsche auf dem nächsten Parteitag auftreten darf. Özdemir stand in Hannover zu seiner Idee, "das ist doch ein Supercoup", dass sich die Autoindustrie mit den Grünen auseinandersetze - einige im Publikum schüttelten dabei heftig den Kopf. Özdemir versprach auch: "Ich werde dafür kämpfen, dass wir im Bundestagswahlkampf die Partei sind, die die Europafahne hoch halten."
- Katrin Göring-Eckardt setzte einen Schwerpunkt auf Flüchtlinge - und attackierte die Integrationspolitik der Großen Koalition: "Die betont immer, dass ihnen Familien wichtig sei. Aber anscheinend nur die, die schon hier sind. Und nicht die, die getrennt sind", sagte sie mit Blick auf den schwierigen Familiennachzug für Flüchtlinge. Die Fraktionschefin beschwor die Grünen als "Last Party Standing gegen die AfD". Auf eine Publikumsfrage zu einem möglichen Veggie-Day-Gesetz sagte sie scherzhaft: "Supergesundes Essen kann leider auch beschissen schmecken".
- Der Parteilinke Anton Hofreiter wurde danach gefragt, welches Ministeramt er in einer schwarz-grünen Regierung übernehmen würde. "Ey, Leute!", platzte es aus ihm raus. "Wir wollen nicht die Macht wegen eines Dienstwagens, sondern um das Leben in diesem Land zu verbessern". Das Publikum schien ihm zu glauben, dafür gab's Applaus. Seine Themen Anti-Massentierhaltung und Ökologie streute er immer wieder ein, Hofreiter bot sich als Kandidat mit Kanten an: "Den Mainstream prägen, nicht dem Mainstream hinterherrennen."
- Robert Habeck sprach zwar überzeugend über die Schwächen der Globalisierung - das, was sich einbrannte, war aber etwas anderes. Er ging mit den Grünen, die sich gerade heftig über Vermögensteuer streiten, hart ins Gericht. "Ich bin beunruhigt über unsere Debattenkultur. Man kann gar nicht mehr normal reden, weil alles in Schubladen geballert wird. Wenn wir so weiter machen, haben wir ein viel größeres Problem als 2013", schimpfte er. "Im Moment läuft es nicht gut." 2013 hatte die Partei nach einem Steuerwahlkampf viele Anhänger verloren.

Grünen-Urwahl: Vier Bewerber - wer sie sind, was sie wollen
Interessanterweise war es Habeck, der mit einer den Grünen heiligen Regel brach: Eigentlich wollten alle vier auf "negative campaigning", also auf gegenseitige Angriffe, verzichten. Der Nordgrüne warf das Prinzip direkt über Bord. Er kritisierte Göring-Eckardt und Özdemir wegen ihrer Positionen zur Syrien-Politik - beide hatten Sanktionen gegen Russland gefordert, Özdemir die Drohung mit einer Flugverbotszone ins Spiel gebracht. "Ich habe mich über eure Einlassungen nicht gefreut", sagte Habeck.
Später attackierte er Hofreiter ungewöhnlich scharf, warf ihm Vereinfachung der Probleme in der Landwirtschaft vor. Beide konkurrieren um die Außenwahrnehmung als Ober-Ökopolitiker. "Wenn du weißt, was genau Massentierhaltung eigentlich sein soll, dann bist du der einzige", rief Habeck unter Johlen der Zuhörer in den Saal. Es gehe um mehr als die Zahl der gehaltenen Tiere. "Du kannst auch zehn Kühe scheiße halten!" Hofreiter war sichtlich überrascht angesichts des Frontalangriffs, konterte aber klar mit einer Kritik am "perversen System" vieler Tierställe.
Unterm Strich wurde an diesem Abend zumindest der Versuch unternommen, die Partei wieder stärker und mutiger zu definieren - anstatt sich nur in der Abgrenzung zu Rechtspopulisten zu üben. Das müssen die Grünen auch, denn es geht um ihre politische Existenzberechtigung. Seit elf Jahren sitzen sie in der Opposition. Da wollen sie unbedingt raus und wieder mitregieren. Offiziell halten sie offen, mit wem.
Endlich wurden auch die Unterschiede der Kandidaten stärker spürbar. Es fühlte sich an wie ein kleiner Wahlkampf - vielleicht wird er sogar wieder ein bisschen wild.
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