Grüne und SPD Alte Liebe

Jahrelang spotteten die Grünen über die darbenden Genossen - doch plötzlich spricht Parteichef Özdemir wieder von einer Koalition mit der aufgepumpten Schulz-SPD. Die schaut aber erst mal nur auf sich selbst.
SPD-Spitzenkandidat Schulz, Grünen-Politiker Özdemir (Archivbild von 2004)

SPD-Spitzenkandidat Schulz, Grünen-Politiker Özdemir (Archivbild von 2004)

Foto: imago

Es geht nicht voran. Auch die jüngsten Umfragen zeigen den Grünen, dass sie bei den Wählern inzwischen ziemlich abgemeldet sind: acht Prozent beim Allensbach-Institut, sogar nur sieben Prozent bei Forsa. Statt in Richtung deutlich zweistelliger Werte scheint man sich eher der Fünfprozenthürde anzunähern. Panik macht sich breit bei den Grünen - und die Einsicht, dass früher vielleicht doch nicht alles so schlecht war.

"Auch Rot-Grün ist wieder möglich", sagt Parteichef Cem Özdemir. Wie bitte? Jawoll. Plötzlich beschwört selbst ein eingefleischter Schwarz-Grün-Fan wie Özdemir wieder alte Zeiten. Die Grünen hätten "schon einmal zwischen 1998 und 2005 gezeigt, dass mit der SPD ein politischer Aufbruch" machbar sei, sagte der Grünen-Spitzenkandidat der "Berliner Zeitung". Özdemir meint die damalige Koalition im Bund, angeführt von SPD-Kanzler Gerhard Schröder und Joschka Fischer von den Grünen.

SPD-Kanzler Schröder (r.), Grünen-Außenminister Fischer 2001 im Bundestag

SPD-Kanzler Schröder (r.), Grünen-Außenminister Fischer 2001 im Bundestag

Foto: JAN BAUER/ AP

Dass Özdemir wieder von Rot-Grün schwärmt, liegt an Martin Schulz und der überraschenden SPD-Renaissance. Die sorgt einerseits dafür, dass auch ein Sozialdemokrat im Kanzleramt nach der Bundestagswahl im Herbst möglich erscheint - und nicht mehr nur die Verlängerung der Amtszeit von CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Zum anderen entzieht ihnen Schulz den Umfragen zufolge potenzielle Wähler. Der SPD-Höhenflug geht auch zu Kosten der Grünen.

Und bei Grünen-Sympathisanten steht Schulz offenbar ebenfalls hoch im Kurs: Einem internen Strategiepapier zufolge wünschen sich 69 Prozent von ihnen den Sozialdemokraten als Kanzler - Merkel dagegen nur 16 Prozent.

Das ist eine so eindeutige Präferenz, dass auch Özdemir und seine Freunde vom Realo-Flügel daran nicht mehr vorbeikommen - obwohl sie lange Zeit auf eine Koalition mit Merkel schielten. Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt äußerte noch vergangene Woche in einem "Welt"-Interview große Zweifel an Schulz - nun spricht sie von "einer größeren Übereinstimmung" mit der SPD und davon, "dass das unsere erste Wahl sein wird, wenn es wie in Nordrhein-Westfalen für Rot-Grün reichen sollte".

In der SPD wundert man sich

Die Sozialdemokraten kommen angesichts solcher Töne aus dem Staunen nicht mehr heraus: In der SPD hat man nicht vergessen, wie sich viele Grüne in den vergangenen Jahren an den schwächelnden Genossen abgearbeitet haben. Die Grünen wollten zeitweise selbst Volkspartei sein, die SPD galt ihnen als abgehalfterter Kleinbürger-Verein, der auf die falschen Themen setzt. Der Kurs der sogenannten grünen Eigenständigkeit bedeutete in Wahrheit: Dann lieber mit der Merkel-CDU regieren.

Rot-grüne Signale wird es deshalb von sozialdemokratischer Seite erstmal keine geben. Das liegt aber vor allem daran, dass die SPD und Martin Schulz genügend mit sich selbst zu tun haben. Schulz wird in den kommenden Wochen weiter an seinem Profil arbeiten, seine Impulse zu Reformen auf dem Arbeitsmarkt müssen konkretisiert werden, auch zu Renten und Steuern werden Vorschläge erwartet.

Damit hofft man, das hohe Umfragen-Niveau zu stabilisieren und in Reichweite der Union zu bleiben. Die Botschaft an die Bürger soll sein: Schulz kann Kanzler werden. Diskussionen um mögliche Koalitionen stören da aus SPD-Sicht nur.

Gespräche zwischen SPD und Grünen werden natürlich trotzdem stattfinden. Zunächst mal zwischen den Spitzenkandidaten, also Schulz und Göring-Eckardt und Özdemir. Der designierte Kanzlerkandidat und Parteichef hat die Kontakte zu den Grünen-Anführern anders als sein Vorgänger Sigmar Gabriel in den vergangenen Jahren nicht gepflegt, da gibt es auf der persönlichen Ebene einiges nachzuholen.

Dafür gibt es andere rot-grüne Gesprächsrunden, die auch die schwierigen letzten Jahre überlebt haben. In ihnen treffen sich beispielsweise Bundestagsabgeordnete beider Parteien, um sich regelmäßig auszutauschen - ähnlich der "Pizza Connection", dem schwarz-grünen Gesprächskreis. Auch die zwei anstehenden Landtagswahlen am 7. Mai in Schleswig-Holstein und eine Woche später in Nordrhein-Westfalen könnten rot-grüne Träume beflügeln: In beiden Ländern regieren die Parteien bisher zusammen (in Kiel kommt noch der Südschleswigsche Wählerverband dazu), die Koalitionäre würden ihre Bündnisse gerne fortsetzen.

Ob den Grünen im Bund ihre neue Strategie etwas bringen wird, das Heranwanzen an die SPD, ist dennoch offen. Zumal der Blick auf die Umfragen ja auch zeigt: Wenn die Grünen nicht wieder deutlich zulegen, ist eine rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl ohnehin unrealistisch. Die gemeinsamen rund 40 Prozent reichen noch lange nicht zum Regieren. Und falls die SPD sich nicht bei ihren aktuellen Werten stabilisiert, läge eine gemeinsame Mehrheit in noch weiterer Ferne.

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