Grünen-Abgeordnete Deligöz Politik unter Polizeischutz
Wörlitz/Berlin - In der Hotellobby lesen sie "Bild" und beobachten über den Zeitungsrand hinweg den Haupteingang. Wenn Ekin Deligöz Interviews gibt, postieren sie sich in der Nähe, scannen die Umgebung. Wenn es nachher weitergeht, haben sie den gepanzerten Wagen schon bereitgestellt.
Sie sind überall. Sie versuchen unauffällig zu sein. Oft gelingt ihnen das. Am besten erkennt man die Personenschützer des Bundeskriminalamts an den kleinen, runden Ansteckern auf dem Jackenaufschlag.

Grünen-Politikerin Deligöz (bei einer Fraktionssitzung mit Muslimen zum Kopftuch-Streit): Die ganze Familie lebt im ständigen Ausnahmezustand
Foto: APMindestens zwei Beamte sind stets in der Nähe der grünen Bundestagsabgeordneten Deligöz, wo immer sie sich bewegt. Bei der Fraktionsklausur in Wörlitz zu Anfang der Woche, aber auch vor einigen Wochen in Österreich, als sie mit ihrer Familie in Österreich Urlaub macht.
Es ist, als wäre ständig Alarm im Leben von Ekin Deligöz.
"Man kommt sich schon recht seltsam vor", sagt die türkischstämmige Politikerin über ihre Personenschützer. "Aber natürlich ist es viel besser, als wenn es sie nicht gäbe."
Der Grund, aus dem Deligöz beschützt werden muss, liegt drei Monate zurück: Am 15. Oktober füllt die "Bild am Sonntag" die Seiten 2 und 3 ihrer Ausgabe mit Zitaten türkischstämmiger Politiker und Intellektueller zum Thema Kopftuch. Einer war ein FDP-Mann, Mehmet Daimagüler. "Habt den Mut, Gesicht zu zeigen in Deutschland, unserer Heimat", forderte er die Musliminnen in Deutschland auf. Die zweite Stimme war Lale Akgün, Bundestagsabgeordnete der SPD: "Das Kopftuch ist keine Vorschrift, sagen moderne islamische Theologen. Es ist keine Sünde, ohne Kopftuch auf die Straße zu gehen!" Die Frauenrechtlerin Seyran Ates wurde zitiert mit dem Satz: "Legt dieses kleine Stück Stoff doch einfach ab, wenn es sich tatsächlich nur um ein kleines Stück Stoff handelt, wie viele behaupten."
Ekin Deligöz sagt dem Boulevardblatt: "Ich appelliere an die muslimischen Frauen: Kommt im Heute an, kommt in Deutschland an. Ihr lebt hier, also legt das Kopftuch ab! Zeigt, dass ihr die gleichen Bürger- und Menschenrechte habt wie die Männer!"
Hassobjekt Nummer eins
Es ist nicht eindeutig zu rekonstruieren, warum der Widerspruch aus dem islamistischen Lager anschließend vor allem auf Deligöz einprasselt. Vielleicht weil Daimagüler ein Mann ist, Ates schon seit Jahren bedroht wird und Akgün ihre Äußerungen später leicht relativiert; so empfinden es zumindest einige. Vielleicht weil die Männer, die Deligöz danach Hunderte Hass-Mails schreiben, sich durch ihre Formulierungen besonders angegriffen fühlen.
Jedenfalls ist sie nicht auf das vorbereitet, was passiert. Sie wird in rasender Geschwindigkeit zum Hassobjekt Nummer eins deutscher und türkischer Islamisten: "Verräterin", heißt es in den Zuschriften. "Wie kannst du so etwas tun?" Sie sei eine Ungläubige, wird ihr vorgehalten. Sie sei eine Frau, zu jung und zu dumm, um sich in solche Debatten einzumischen.
Auch die türkische Presse greift das Thema auf. Deligöz sei auf dem Weg, eine deutsche Ayan Hirsli Ali zu werden - das ist jene ehemalige niederländische Parlamentarierin, die wegen ihrer Generalkritik am Islam bedroht wurde und das Land verließ, um in den USA eine neue Heimat zu finden.
Einige Briefschreiber drohen auch Ekin Deligöz, sie umzubringen. Eine gute Woche nach Beginn des Kopftuch-Streits beginnt das Bundeskriminalamt, die Abgeordnete zu bewachen. Offiziell gilt Sicherheitsstufe drei, praktisch Sicherheitsstufe eins - wie bei einem Minister oder einer Ministerin.
Seitdem ist ihr Leben auf den Kopf gestellt. Jeder Termin, jede Reise, jeder Ausflug muss abgesprochen werden. Deligöz hat einen kleinen Sohn, sie ist verheiratet, hat Familie in Schwaben - das macht die Sache nicht leichter. "Die türkische Kultur kennt die Sippenhaft, das muss man darum mit allen Familienmitgliedern besprechen." Deligöz zahlt den Preis dafür, in ein Wespennest gestochen zu haben.
"Ich will keine kopftuchpolitische Sprecherin der Grünen sein"
Sie gibt unumwunden zu, dass sie mit der Äußerung in der "Bild am Sonntag" auch "strategische Erwägungen" verfolgt hat: Sie wollte Aufmerksamkeit auf das Thema ziehen. "Aber ich wollte keinen Krawall. Ich will auch nicht die kopftuchpolitische Sprecherin der Grünen sein." Eigentlich ist sie Familienpolitikerin.
Deligöz kam als Siebenjährige aus der Türkei nach Deutschland. 1997 ließ sie sich einbürgern, sagt jedoch: "Ich bin auch ethnisch eine Türkin, religiös eine Muslimin, und werde es immer sein." Die 35-Jährige gehört zur Glaubensgruppe der Aleviten - worin ein Teil der Empörung begründet liegt, denn die Aleviten sind traditionell liberal. Kaum eine Alevitin trägt ein Kopftuch. Für sunnitische oder schiitische Islamisten ist es eine Anmaßung, dass Deligöz sich überhaupt als Muslimin bezeichnet.
In Wahrheit geht es im Fall Deligöz weniger um das Kopftuch als um die Frage, was man sagen kann, ohne sich in Gefahr für Leib und Leben zu bringen.
Ende Oktober lud die Fraktion der Grünen Vertreter der islamischen Verbände ein. Diese sollten sich zur Meinungs- und Redefreiheit bekennen - und sie taten es. "Es ist wichtig, dass hier demokratische Spielregeln diktiert wurden", sagt Deligöz rückblickend. Auch wenn sie überzeugt ist, dass einige Teilnehmer lieber die Freiheit einer anderen Meinung verteidigt hätten und man sich inhaltlich keinen Deut näherkam.
Die Anwürfe gegen Deligöz aus Teilen des organisierten Islam nahmen trotzdem kein Ende. "Wenn man heute berühmt werden will, greift man entweder den Islam oder die Muslime an. Das ist sehr sexy. Den Islam vernichtend zu kritisieren, verkauft sich sehr gut", sagte zum Beispiel Anfang Dezember Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte der halbstaatlichen "Türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion" (Ditib).
"Das war zufällig ich"
Deligöz ist all jenen Grünen dankbar, die sich in den vergangenen Monaten mit ihr solidarisch erklärt haben, öffentlich oder privat. Darunter waren auch Fachpolitiker, die völlig konträre Ansichten vertreten. Deligöz redet nicht schlecht über ihre Partei.
Aber es fiel mehr als nur einem Beobachter auf, dass weder Claudia Roth noch Reinhard Bütikofer die Causa Deligöz in ihren Parteitagsreden im Dezember aufgriffen. Da sitzt eine Abgeordnete im Veranstaltungssaal, der auf Schritt und Tritt BKA-Beamte folgen - und den Parteivorsitzenden auf dem Podium 20 Meter entfernt fällt nichts dazu ein.
"Das wurde totgeschwiegen", sagt ein Mitglied der Bundestagsfraktion. "Das Thema Kopftuch sollte nicht diskutiert werden, weil es hierzu keine einheitliche Meinung gibt."
Das vergangene Vierteljahr hat an Ekin Deligöz gezehrt. Alle sechs Wochen aktualisiert das Bundeskriminalamt seine Gefährdungsanalyse, und natürlich würde sie sich freuen, wenn es eines Tages aus der Zentrale in Wiesbaden heißt: Kein Grund mehr zur Sorge.
In zwei Wochen steht die nächste Überprüfung an. Mindestens bis dahin muss sie sich weiter jede kleine Freiheit erkämpfen. Manchmal schickt sie zum Beispiel die Personenschützer nach Hause, um dann ohne sie doch noch Freunde zu treffen.
Trotz des Preises, den sie für ihre Kopftuch-Kritik zahlen muss, Deligöz zeigt sich kämpferisch: "Ich würde es wieder tun", sagt sie, "aber besser vorbereitet." Mit verlässlichen Absprachen, soll das heißen. Damit man am Ende nicht wieder alleine im Kreuzfeuer steht.
Deligöz glaubt, das alles habe ja durchaus etwas gebracht: "Es ist gut für Deutschland, dass das jemand einmal durchgestanden hat. Das war zufällig ich. Aber wenn ich es nicht gewesen wäre, dann wäre es vielleicht eine Erzieherin gewesen - ohne jede Prominenz und ohne jeden Schutz durch Öffentlichkeit."