Höhenflug der Grünen Bald wird es ernst

Grünen-Vorsitzende Baerbock und der Abgeordnete Giegold: Grün ist der Jubel
Foto: Kay Nietfeld / DPAEs ist ein historischer Wahlabend für die Grünen. So gut haben sie bei einer bundesweiten Wahl noch nie abgeschnitten - mehr als 20 Prozent, deutlich vor der SPD, zweitstärkste Kraft.
Entsprechend euphorisch ist die Stimmung in der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung, wo die Partei ihre Wahlparty feiert. Grenzenloser Jubel, Parteichefin Annalena Baerbock und die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt umarmen sich lange und fest, dann stimmen alle gemeinsam die Europahymne an: "Freude schöner Götterfunken", schallt es durch das Gebäude. Bei "wo dein sanfter Flügel weilt" verhaspeln sie sich. Was soll's.
"Wahnsinn!", sagt die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner, die ganz vorne steht.
Klimaschutz hat Konjunktur
Die Grünen haben an diesem Abend ihre ohnehin schon guten Umfragewerte noch übertroffen. Das macht die Partei besonders stolz und glücklich. Denn in Umfragen waren sie schon öfter stark, um dann bei den Wahlen oft schlechter abzuschneiden. Dieses Mal ist es anders herum. In Berlin und Hamburg sehen Zwischenergebnisse die Grünen als stärkste Kraft.
"Diese Wahl war eine Klimaschutzwahl", ruft Baerbock, als sie neben dem Spitzenkandidaten für Europa, Sven Giegold, und Bundesgeschäftsführer Michael Kellner auf der Bühne steht. Giegold nennt den Tag einen "Sunday for Future", in Anlehnung an die Schülerbewegung für mehr Klimaschutz, "Fridays for Future".
Ob die Bewegung es gutheißen würde, dass die Grünen ihren Slogan kapern, sei dahingestellt. Fakt ist: Die Themen der Partei haben Konjunktur. Klimaschutz war für viele Wähler der Europawahl entscheidend, und die "Fridays for Future"-Bewegung gibt den Grünen dabei Auftrieb. Das Video des YouTubers Rezo könnte ihnen zusätzlich geholfen haben. Die Analysedaten der Meinungsforscher zeigen, dass junge Wähler vor allem grün gewählt haben: 33 Prozent der Unter-30-Jährigen (mehr als Union und SPD zusammen), 36 Prozent der Erstwähler.
Die Schwäche der anderen ist für die Grünen eine Chance
Die Koalitionsparteien sehen dagegen buchstäblich alt aus. In deren Parteizentralen wird am Sonntag viel darüber geredet, dass man beim Thema Klimaschutz nicht gut genug aufgestellt sei. Den Grünen soll es recht sein. Es sei auch die Schwäche der anderen, die seine Partei so stark mache, räumt der Fraktionschef Anton Hofreiter ein. "Es wäre albern, das zu bestreiten."
Die Große Koalition kann in der Klimapolitik bislang wenig Erfolge nachweisen. Die Kohlekommission hat zwar einen Kompromiss gefunden, die Regierung hat aber bislang keinen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Bis Ende 2019 will die Koalition ein Klimaschutzgesetz erarbeiten, bisher aber machten sie vor allem mit Streit um die CO2-Steuer Schlagzeilen.

Robert Habeck jubelt in Bremen: "Dominante Rolle der Klimafrage"
Foto: Carmen Jaspersen/ DPAFür die Grünen ist diese Leerstelle die große Chance. Zwar versucht die Doppelspitze aus Baerbock und Robert Habeck die Partei seit einiger Zeit offensiv breiter aufzustellen, die Grünen wollen sich als Partei des sozialen Zusammenhalts und als Rechtsstaatspartei profilieren. Aktuell aber punkten sie vor allem mit ihrer Kernkompetenz. "Sicherlich hat die Klimafrage zum ersten Mal in einem bundesweiten Fall so eine dominante Rolle gespielt, dass die Zögerlichkeit der großen Koalition da negativ gewirkt hat", sagte Grünen-Chef Habeck in der ARD.
Trotz des starken Ergebnisses - Volkspartei will man sich (noch) nicht nennen. Stattdessen sagen sie jetzt "Bündnispartei". Diese Europawahl stehe für einen Einschnitt, sagt Geschäftsführer Kellner auf der Bühne. "Sie steht dafür, dass unser Kurs als Bündnispartei verdammt erfolgreich ist." Die Partei habe die Europawahl so ernst genommen wie eine Bundestagswahl. "Ich würde mich wahnsinnig freuen, noch einmal in diesem Spirit eine Bundestagswahl zu führen", sagt er.
Fraktionschefin Göring-Eckardt spricht von einem tollen Gefühl, mit dem aber auch große Verantwortung verbunden sei. Dieses Mal hätten viele Menschen ihnen den Auftrag gegeben, sie zu repräsentieren, die das vorher noch nie getan hätten. Die Sprecherin der Grünen Jugend, Ricarda Lang, sieht das Ergebnis als Vertrauensvorschuss. "Das Ergebnis birgt eine Erwartungshaltung", sagt sie. Die Erwartungen an die Grünen seien besonders hoch.
Auch in Bremen sind die Grünen Gewinner
Auch in Bremen kommt keiner an den Grünen vorbei - die Prognosen sehen sie bei 18 Prozent. Sie können entscheiden, ob Bremen künftig als erstes westdeutsches Bundesland von einem rot-rot-grünen Bündnis regiert wird oder ob es im als links geltenden Bremen eine Jamaika-Koalition geben wird. Spitzenkandidatin Maike Schaefer möchte auch am Wahlabend keine Koalitionsaussage treffen, sondern verweist auf die anstehenden Sondierungsgespräche.
Was machen die Grünen nun mit dem Schwung dieses Wahltages? Sie machen einfach weiter. Gründe, den Kurs zu ändern, gibt es vorläufig nicht. Man war schon relativ sorglos in die Wahl hineingegangen, sicher, dass man das Ergebnis würde verbessern können, wenn auch vielleicht nicht ganz so deutlich. Noch sorgloser kommt man nun heraus.
Und doch stehen die Grünen nun vor einer ganz neuen Herausforderung. Denn im Herbst wird in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gewählt. Dort fielen die Ergebnisse der Grünen in der Vergangenheit weniger grandios aus, mussten sie bisweilen um den Wiedereinzug in die Landtage bangen. Hier also wird sich zeigen, ob der Kurs der Bündnispartei tatsächlich so erfolgreich ist, wie die Grünen glauben.