Grünen-Fraktionschef Hofreiter "Im Zweifel auch mit der Union"

Nach dem Sieg im Südwesten stehen die Grünen vor einem Realo-Ruck. Sind Idealisten in der Partei jetzt abgemeldet? Fraktionschef Anton Hofreiter sagt: Sogar Linksgrüne können von Kretschmann lernen.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter

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Rainer Jensen/ dpa

Anton Hofreiter, geboren 1970 in München, war von 2013 bis 2021 Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Er ist Vorsitzender des Europaauschusses im Parlament. Der promovierte Biologe gehört zum linken Flügel der Partei.


SPIEGEL ONLINE: Herr, Hofreiter, freuen Sie sich als Parteilinker schon auf eine grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg?

Hofreiter: Ich freue mich, dass Winfried Kretschmann den klaren Auftrag hat, wieder eine Regierung unter seiner Führung zu bilden. Ob Grün-Schwarz zustande kommt, ist ja noch offen. Falls es so kommt, bin ich mir sicher, dass die Grünen in Baden-Württemberg einen sehr guten Koalitionsvertrag verhandeln. Auch eine Ampel wäre eine Option. Doch bevor es überhaupt Gespräche gab, will sich die FDP schon aus der staatspolitischen Verantwortung stehlen. Nicht aus Prinzipientreue, wie sie behaupten, sondern mit Blick auf die Wahlen im nächsten Jahr.

SPIEGEL ONLINE: Regieren Grüne und CDU im Südwesten, wird Schwarz-Grün auf Bundesebene wahrscheinlicher. Ein Leser schrieb uns: "Hofreiter und Seehofer, das geht nicht zusammen." Geht es vielleicht doch?

Hofreiter: Das weiß ich doch heute noch nicht. Der Wahnsinnskurs der CSU in der Flüchtlingspolitik ist kein Koalitionsangebot an die Grünen. Seehofer redet von Herrschaft des Unrechts und Notwehrrecht. Das ist AfD-Sprache und geht mit Grün nicht zusammen. Ebenso gilt: Wir leben in unsicheren Zeiten. Da tragen alle demokratischen Parteien Verantwortung, dass es stabile Regierungen gibt.

"Winfried geht auf die Bürger zu"

SPIEGEL ONLINE: Nach dem Wahlsonntag preschten die Realo-Promis Ihrer Partei voran. "Von Kretschmann lernen", ist das Motto. Haben die Linken überhaupt noch etwas zu melden bei den Grünen?

Hofreiter: Schmarrn. Natürlich freuen sich auch die Linken in unserer Partei über den Wahlsieg in Baden-Württemberg. Und natürlich schauen auch wir, was wir daraus lernen können.

SPIEGEL ONLINE: Aber in Wahrheit denken Sie doch: Lieber in der Opposition sitzen, als ausgerechnet mit der CDU regieren.

Hofreiter: Opposition ist wichtig. Demokratie lebt von Streit und Alternativen. Aber wenn man sieht, was die Große Koalition alles falsch macht, will man lieber selbst Verantwortung für das Land übernehmen. Ich will, dass Grüne 2017 realistische Machtoptionen haben. Am liebsten mit der SPD. Wenn das nicht geht und die Inhalte passen: Im Zweifel auch mit der Union.

SPIEGEL ONLINE: Was sollten sich die Bundesgrünen von Kretschmann abgucken?

Hofreiter: Wie Glaubwürdigkeit, Geschlossenheit und Haltung zum Erfolg führen. Und sein Politikstil: Winfried geht auf die Bürger zu. Er strahlt nicht aus, von vornherein alles zu wissen. Das kann Politik generell von ihm lernen.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie mit allem einverstanden, wofür Kretschmann politisch steht?

Hofreiter: Mit sehr vielem. Winfried hat vor Ort den Schwerpunkt auf ganz klassische grüne Politik gelegt. Artenschutz und Windkraft zum Beispiel hat er gegen viele Widerstände vorangetrieben. Natürlich gibt es auch Unterschiede. Bei der Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten war und bin ich anderer Meinung. Bei der aktuell geplanten Ausweitung auf Marokko, Algerien und Tunesien sieht auch Winfried die Schwierigkeiten. In Marokko und Algerien wird in Gefängnissen gefoltert, Homosexualität ist strafbar.

SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass Kretschmann die Ausweitung im Bundesrat blockieren könnte?

Hofreiter: Winfried prüft das Vorhaben der Bundesregierung. Vielleicht kommt auch er zu dem Ergebnis, dass diese Länder keine sicheren Herkunftsstaaten sind.

"Da wäre sicher mehr drin gewesen"

"Da wäre sicher mehr drin gewesen"

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SPIEGEL ONLINE: Außerhalb von Baden-Württemberg kamen die Grünen gerade so über die Fünfprozenthürde. Wer oder was ist schuld?

Hofreiter: Ich habe vor unseren Grünen in Sachsen-Anhalt mächtig Respekt. In einem schweren, aufgeheizten Wahlkampf, haben sie den Rechtspopulisten und Rassisten erfolgreich die Stirn geboten. Sich da mit fünf Prozent zu behaupten, ist ein Grund zum Feiern. In Rheinland-Pfalz ist es den Grünen im Zweikampf Klöckner gegen Dreyer nicht gelungen, mit ihren grünen Themen durchzudringen. Da wäre sicher mehr drin gewesen. (Hier finden Sie alle Wahlergebnisse im Überblick.)

SPIEGEL ONLINE: Ihre Partei verharrt bundesweit bei Werten um die zehn Prozent. Wie wollen Sie das 2017 ändern?

Hofreiter: Ich bin überzeugt, dass viele Leute uns in den Bereichen Umwelt, Energie und Klimaschutz tief vertrauen. Diese Themen laufen nur scheinbar unter dem Radar, sie sind immer relevant. Außerdem sind viele Menschen von der Kluft zwischen Arm und Reich verunsichert. Die Rolle der Grünen wird es sein, diese Verunsicherung aufzufangen und gegen die soziale Spaltung unserer Gesellschaft anzukämpfen.

SPIEGEL ONLINE: Wie wollen sie soziale Gerechtigkeit diskutieren, ohne das Steuererhöhungs-Trauma von 2013 zu wiederholen?

Hofreiter: Steuern stehen da nicht im Zentrum. Es geht um Bildung, Integration, lebenswerte Kommunen, soziale Sicherheit. Und auch um faire Verteilung. Das Problem sind nicht diejenigen, die im Jahr 60.000, 80.000, 100.000 oder 150.000 Euro zu versteuern haben. Das Problem sind die 0,1 Prozent der Gesellschaft, die Millionen- und Milliardenvermögen haben und sich aus der gesellschaftlichen Verantwortung ziehen. Die Luxuswohnungen aufkaufen, in denen dann keiner wohnt. Oder auch Unternehmen wie Starbucks oder Amazon, die kaum Steuern zahlen. Wir haben eine massive Konzentration sehr hoher Vermögen in Deutschland.

"Höhere Steuern auf sehr hohe Vermögen sind richtig"

SPIEGEL ONLINE: Jetzt klingen Sie wieder sehr links. Halten wir fest: Im Bundestagswahlkampf wird es ohne eine Grünen-Forderung nach einer Reichensteuer nicht gehen?

Hofreiter: Ich halte höhere Steuern auf sehr hohe Vermögen für richtig. Wie das genau aussieht, darüber wird meine Partei in den nächsten Monaten diskutieren.

"Merkel muss weiterkämpfen"

"Merkel muss weiterkämpfen"

Foto: HC Plambeck

SPIEGEL ONLINE: Einem dieser reichen Menschen hat ihre Partei eine Finanzspritze zu verdanken. Ein Berliner Investor spendete den Grünen 300.000 Euro. Wie passt das mit den Idealen der Grünen zusammen?

Hofreiter: Solange solche Spenden legal und transparent sind, sollte man sie annehmen. Unabhängig davon kämpfen wir Grüne weiter für eine Deckelung von Parteispenden.

SPIEGEL ONLINE: Was genau muss die Kanzlerin jetzt in der Flüchtlingskrise tun?

Hofreiter: Sie muss weiterkämpfen für eine europäische Lösung, ohne sich auf schmutzige Deals einzulassen. Und Deutschland sollte in Vorleistung gehen: mit mehr Geld für die Flüchtlingscamps, und mit dem Start eines Kontingentprogramms, um so das elendige Geschäft der Schlepper endlich zu stoppen. Dafür brauche ich die anderen europäischen Partner akut nicht. Natürlich ist es wichtig, dass Europa mitzieht. Aber Merkel sollte mit gutem Beispiel vorangehen statt sich vom Rest ausbremsen zu lassen.

SPIEGEL ONLINE: Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck geriet wegen eines Crystal-Meth-Funds in die Schlagzeilen. Wird er in Ihrer Fraktion noch mal ein wichtiges Amt bekleiden?

Hofreiter: Die Grünen sind der Meinung, dass Konsumenten nicht kriminalisiert, sondern als Menschen behandelt werden sollten, die Hilfe brauchen. Über alles andere möchte ich nicht spekulieren. Volker ist krankgeschrieben. Wie es weitergeht, entscheidet die Fraktion mit ihm gemeinsam, wenn er wieder da ist.

Hofreiter im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE

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Foto: HC Plambeck
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