Grünen-Kurs zu Libyen Künast wundert sich über Joschka Fischer

Die Grünen finden in der Libyen-Krise keine Linie. Fraktionschefin Renate Künast attackiert im Interview die Enthaltung der Bundesregierung im Uno-Sicherheitsrat - und äußert Unverständnis für die Kritik von Ex-Außenminister Joschka Fischer.
Grünen-Fraktionschefin Künast: "Bin entgeistert über die Vorführung der Bundesregierung"

Grünen-Fraktionschefin Künast: "Bin entgeistert über die Vorführung der Bundesregierung"

Foto: Wolfgang Kumm/ picture alliance / dpa

SPIEGEL ONLINE: Verstehen Sie, dass sich Ihr Parteifreund Joschka Fischer in der Libyen-Frage für die Grünen schämt und Daniel Cohn-Bendit an seiner Partei verzweifelt?

Künast: Nein, ich verstehe die beiden Herren nicht.Allerdings beschäftige ich mich derzeit auch weniger mit ihnen als mit der Frage, warum die Koalition unter Führung von Merkel und Westerwelle beim Thema Libyen so eine außenpolitische Geisterfahrt hinlegt. Ich bin entgeistert über die Vorführung der Bundesregierung. Die Welt muss sich doch fragen, warum Deutschland einen Sitz im Sicherheitsrat gewollt und bekommen hat.

SPIEGEL ONLINE: Sie reden von einer Geisterfahrt der Regierung zu Libyen - aber die Grünen eiern doch bei diesem Thema auch seit Tagen.

Künast: Weil die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, haben wir die verantwortungsvolle Aufgabe im Bundestag, einen möglichen Einsatz sorgfältig zu prüfen. Gleichzeitig wollen wir Grünen sicherstellen, dass die Schutzfunktion der Uno umgesetzt wird. Deshalb haben wir auch vorher gefragt, welche Maßnahmen vor Ort ergriffen werden - und fragen das immer noch. Klar ist, da bin ich ganz bei dem klugen Diplomaten Wolfgang Ischinger: Wenn man sich an der Umsetzung einer Flugverbotszone nicht beteiligen will, gibt es elegantere Wege, dies zum Ausdruck zu bringen, als durch Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat. Deshalb gab es von mir nie ein positives Wort zu dem deutschen Votum.

SPIEGEL ONLINE: Zur Klarstellung: Die Grünen sind sich inzwischen einig, dass die deutsche Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat ein Fehler war?

Künast: Ja. Weil es ein echter diplomatischer Fehler war und die Spaltung Europas in dieser Frage noch verschärft hat. Stattdessen hätte man der Zustimmung eine Protokollnotiz hinzufügen können, dass sich Deutschland an der Errichtung einer Flugverbotszone nicht beteiligt. Es ging hier um die politische Aussage und das Bekenntnis, dem libyschen Volk zu helfen - da hat die Bundesregierung versagt. Ein Ja im Uno-Sicherheitsrat wäre klüger gewesen.

SPIEGEL ONLINE: Schon droht der nächste Konflikt: Deutschland zieht gerade seine Schiffe aus dem Nato-Verband im Mittelmeer zurück - Ihr Verteidigungsexperte Nouripour kritisiert das. Ist das Konsens bei den Grünen?

Künast: Da gibt es natürlich keine einfachen Antworten, weil die Fragestellung aus dem Fehlverhalten der Bundesregierung resultiert. Das symbolische Umgehungsgeschäft der Bundesregierung, dass man sich dafür stärker an den Awacs-Aufklärungsflügen in Afghanistan engagiert, hat in der Fraktion für heftige Debatten gesorgt. Ich behaupte mal: Wenn man im Moment über die Flure des Auswärtigen Amts geht, trifft man auf verschlossene Türen - weil sich die Diplomaten eingebunkert haben, damit sie keiner nach ihrer Meinung zu diesem absurden Deal fragt. Wir werden die Awacs-Frage vor der Abstimmung am Freitag im Bundestag nochmals sehr intensiv diskutieren. Da stellen sich noch einige Fragen.

SPIEGEL ONLINE: Bei Awacs gibt es also noch kein Meinungsbild - aber was ist mit dem Ausscheren der deutschen Marine beim Waffenembargo?

Künast: In unserer Fraktion herrscht Verwunderung darüber, dass die Bundesregierung den Bundestag nicht fragt, die Umsetzung des Waffenembargos vor der libyschen Küste zu unterstützen. Man kann Merkel und Westerwelle nur warnen, dass sie mit ihrem Ausscheren nicht auch noch das letzte Porzellan zerschlagen. Angesichts der Lage in Libyen so etwas mal eben in die Welt zu posaunen und zu entscheiden, halte ich für unverantwortlich.

SPIEGEL ONLINE: Merkel und Westerwelle wird vorgeworfen, sie handelten in der Libyen-Frage nach innenpolitischen Motiven. Mancher hat den Eindruck, das gilt für die Grünen genauso.

Künast: Ein falscher Eindruck. Wir diskutieren außen- und sicherheitspolitische Themen seit Jahren von A bis Z und haben für mögliche Einsätze entsprechende Kriterien entwickelt. Wir waren immer dafür, dass sich die Uno zum Schutz von Menschenleben einsetzt und gegebenenfalls einschreitet. Und wir machen uns für etwas stark, wofür die Bundesregierung in den letzten Wochen nichts unternommen hat: zivile Maßnahmen!

SPIEGEL ONLINE: Dass die Grünen sich dabei schwer auf eine Position einigen können, ist dabei ein ehernes Gesetz?

Künast: Uns geht es doch nicht anders als den meisten Menschen in unserem Land: Bei solchen Entscheidungen, wo es letzten Endes um das Leben von Menschen geht, haben wir eine hohe Verantwortung zu tragen und sehr genau abzuwägen. Da kann man es sich nicht leicht machen. Das gehört zum Schwierigsten, was Bundestagsabgeordnete zu entscheiden haben.

Das Interview führte Florian Gathmann
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