Podcast "Stimmenfang" Was ist vom Grünen-Hype übrig?
10,8 Prozent in Brandenburg. 8,5 Prozent in Sachsen. Und zum Abschluss der Landtagswahlen im Osten dann 5,2 Prozent in Thüringen: Zwar ist das Bündnis90/Die Grünen in den neuen Bundesländern schon immer schwächer als im Westen, dennoch waren die Resultate ein Dämpfer. Parteichef Robert Habeck sagte nach der Thüringen-Wahl: "Das Ergebnis hätte besser sein sollen."
Waren die Wahlen im Osten der Realitätscheck für die Grünen? Und haben sie Konsequenzen für den anstehenden Parteitag? Valerie Höhne sagt: "Die Landtagswahlen haben die Grünen zumindest zurück auf den Boden geholt." Mit ihr und unserer Kollegin Amalia Heyer diskutieren wir in der neuen Folge von "Stimmenfang" auch die Kanzlerkandidaten-Frage.
Die beiden Grünenchefs äußern sich dazu nicht - Robert Habeck gilt aber als Favorit. "Ich traue Annalena Baerbock aber noch einiges zu", sagt dazu unsere Kollegin Amalia Heyer. Einig sind sich die Journalistinnen allerdings bei einer Sache: Dass die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl für die Grünen schwierig werden wird.
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[00:00:02] Matthias Kirsch Willkommen zu Stimmenfang, dem Politik-Podcast vom SPIEGEL. Ich bin Matthias Kirsch.
[00:00:06] Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) Also, als ich mich heute Morgen gefragt habe: "Wann bist du heute Abend zufrieden?", hatte ich andere Zahlen im Kopf. Was jetzt passiert ist, um die 22 Prozent, ist wirklich eine Sensation und eine, die uns auch ein Stück weit den Atem nimmt.
[00:00:23] Matthias Kirsch So euphorisch klingen der Jubel und der Grünen-Chef nach der Europawahl Ende Mai. Aus heutiger Sicht könnte man sagen: der Höhepunkt der grünen Erfolgswelle. Vor ein paar Wochen nach der Thüringen-Wahl klang Robert Habeck nämlich dann so:
[00:00:37] Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) Das Ergebnis hätte besser sein sollen und besser sein - ob es besser sein können, weiß ich gar nicht ganz genau - aber es fühlte sich noch mehr an. Das war ein sehr geschlossener, hochmotivierte, im Grunde richtig guter Wahlkampf. Und dann ist das Ergebnis halten, plus, minus - mal sehen, wie der Abend läuft -, etwas, mit dem man nicht zufrieden sein kann.
[00:00:58] Matthias Kirsch Wenn man die Geschichte der Grünen im Jahr 2019 erzählen will, dann hört sie sich in etwa so an: Gerade noch der Union in den Umfragen auf den Fersen, mit Fabelzahlen um die 25 Prozent und wenig später wieder demütig erkennen, dass bei einer Landtagswahl mehr möglich gewesen wäre. Vom großen Wahlgewinner in Europa, also, zum Zittern nahe der Fünf-Prozent-Hürde in Thüringen. Da fragt man sich doch: Holt die Realität die Grünen nach ihrem Höhenflug wieder ein? Und hat das Konsequenzen auf die Wiederwahl von Annalena Baerbock und Robert Habeck? Die wollen sich nämlich beim Parteitag Mitte November als Grünen-Chefs bestätigen lassen. Darum geht es in dieser Folge von Stimmenfang. Dafür spreche ich jetzt mit zwei Kolleginnen, die hierfür die Expertinnen sind: Amalia Heyer und Valerie Höhne. Beide schreiben für den SPIEGEL über das Bündnis 90/Die Grünen. Hallo Valerie, hallo Amalia.
[00:01:50] Amalia Heyer Hallo.
[00:01:51] Valerie Höhne Hallo.
[00:01:52] Matthias Kirsch Amalia, fangen wir doch bei dir an. Du warst ja im Sommer bei meiner Kollegin Yasemin Yüksel hier, hast über die Grünen gesprochen. Damals hast du gesagt: Der Reality Check für die Grünen, der kommt spätestens auf der Regierungsbank, aber vielleicht auch schon früher. Ist dieser Reality Check denn jetzt schon da?
[00:02:09] Amalia Heyer Nein, ich würde sagen, der ist noch nicht da. Der kam auch nicht durch die Ostwahlen, denn da wurde eben weiter quasi erprobt, das war ein weiterer Lackmustest. Ich glaube aber, dass der Reality Check tatsächlich auch schon vor der Regierungsbank kommen kann, nämlich wenn wir jetzt - und davon gehen die Grünen und auch ihre Vorsitzendem im Moment aus - wenn wir es quasi in die Langstrecke gehen, also wenn wir noch diese zwei Jahre mit dieser Regierung leben, dann wird das auch eine Art Reality Check sein. Dann müssen die nämlich ihre ganzen Umfragewerte, ihre Zustimmungswerte jetzt noch ganz schön lang durchhalten.
[00:02:47] Matthias Kirsch Wie siehst du das denn, Valerie? Werden die Grünen das denn durchhalten?
[00:02:51] Valerie Höhne Also, ich glaube, dass die Ostwahlen schon so eine Art Reality Check waren, weil sie ja gezeigt haben, dass die Grünen eben in den Milieus, die ihnen nicht liegen, die ihnen nicht angestammt sind, nicht urban sind, nicht intellektuell sind, dass sie da schwer punkten können. Ich glaube, das hat Ihnen auch nochmal gezeigt, dass Bayern und Hessen nicht übertragbar sind auf die gesamte Bundesrepublik. Von daher denke ich schon, dass es die Partei sozusagen auch so ein Stück weit wieder zurückgeholt hat, auf den Boden der Tatsachen. Dass auch viele nicht mehr davon ausgehen, dass sie irgendwie bei 25 Prozent in der Bundestagswahl landen.
[00:03:30] Matthias Kirsch Nur zur Erinnerung vielleicht, weil du Hessen und Bayern angesprochen hast für unsere Hörer: Bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern vergangenen Herbst haben die Grünen ja sehr gute Ergebnisse gehabt.
[00:03:39] Einspieler Riesenjubel dagegen bei den Grünen. Sie verdoppelten ihren Stimmenanteil und sind jetzt die neue Nummer zwei im Freistaat.
[00:03:46] Matthias Kirsch An die 20 Prozent-Grenze - nicht ganz - aber in die Richtung. Dann schauen wir doch einfach gleich mal auf diese Landtagswahlen im Osten. Ich habe die Zahlen hier vor mir liegen: 8,5 Prozent in Sachsen, nicht ganz 11 Prozent in Brandenburg und nur ganz knapp über der 5 Prozent-Grenze in Thüringen. Valerie, warum haben die Grünen denn diesen Hype, der ja im Sommer und seit vergangenem Herbst so wirklich da ist - warum haben sie den denn nicht in den Osten mitnehmen können?
[00:04:13] Valerie Höhne Ich glaube, das hat unterschiedliche Gründe. Einerseits ist es natürlich schon so, dass sie strukturell viel schlechter aufgestellt sind im Osten. Sie sind nach wie vor eher eine West-Partei. Die haben wenig Mitglieder, das heißt auch, dass man wenig Plakate hängen kann, dass man wenig Veranstaltung machen kann, wenig Wahlkampf-Stände machen kann. Andererseits hat es sicherlich auch damit zu tun, dass es am Ende eigentlich in allen drei Ländern eine Zuspitzung gab, jeweils auf den Ministerpräsidenten. In Sachsen und Brandenburg war es noch ein bisschen anders, weil da die Zuspitzung zwischen der Ministerpräsidenten-Partei und der AfD stattgefunden hat. Und in Thüringen war es eine Zuspitzung zwischen CDU und Linker. Aber dennoch hat das die Grünen zumindest in Sachsen und Brandenburg auf jeden Fall Stimmen gekostet.
[00:04:59] Amalia Heyer Ich glaub erstmal - das klingt jetzt vielleicht ein bisschen fies - aber die Bundestagswahl am Ende wird nicht im Osten entschieden. Und da muss ich sagen: Ich glaube, es war von den Grünen... Die haben sich da von ihrer Euphorie ein bisschen wegtragen lassen und haben das falsch eingepreist. Denn was ich danach aus Fraktion und Partei gehört habe, das klang mir dann sehr viel vernünftiger. Da kamen zum Beispiel so Stimmen mit: Ich bin ehrlich gesagt froh, dass wir überhaupt drin sind. Weil aber davor aber der Hype so groß war, war dann quasi diese Enttäuschung eben auch so groß.
[00:05:32] Valerie Höhne Ich hatte den Eindruck, dass die Partei - also die Spitze war ja lange darauf bedacht, dass irgendwie alles einzufangen und zu sagen: Das ist nur ein Hype, das sind nur Umfragen und ja, Bayern und Hessen, aber...
[00:05:43] Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) ..."es ist natürlich ein ganz großer Unterschied, ob man am Telefon gefragt wird: Guten Tag, welche Partei würden Sie denn wählen, wenn am Sonntag Wahl ist. Oder ob man auch tatsächlich zur Wahl geht?
[00:05:52] Valerie Höhne Und dann kam die Europawahl mit 20,5 Prozent. Und ich glaube, das hat die Grünen einfach so bestärkt, dass sie doch so viel stärker sein können.
[00:06:00] Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) Das ist ein gigantischer Vertrauensvorschuss und den werden wir bundespolitisch und auch auf der europäischen Ebene als Arbeitsauftrag werten.
[00:06:08] Valerie Höhne Es war so ein Bäm-Moment für sie. Und ich glaube, dadurch waren die Ostwahlen nochmal so ein Dämpfe - so ein richtiger Dämpfer.
[00:06:14] Matthias Kirsch Wenn du die Europawahl ansprichst: Auch bei der Europawahl waren in Ostdeutschland die Zahlen weniger hoch als im Westen. Aber die Resultate waren deutlich besser als jetzt bei den Landtagswahlen. Woran liegt das denn? Warum können die Grünen denn bei den Europawahlen im Osten besser punkten, als wenn es dann auf die Landtagswahlen zugeht?
[00:06:31] Valerie Höhne Ich glaube, die Grünen sind immer gut, wenn sie relativ weit weg sind. Es ist irgendwie ein gutes Gefühl, grün zu wählen, da man nichts falsch, moralisch alles richtig. Aber wenn ich überlege, dass die Grünen mir vielleicht meinen Diesel wegnehmen wollen. Das machen die auf europäischer Ebene nicht so konkret. Aber wenn die bei mir im Landtag sitzen, in der Regierung, dann vielleicht schon. Das könnte ich mir vorstellen ist so eine Angst.
[00:06:56] Matthias Kirsch Dann schauen wir doch mal. Amalia, wir sind ja jetzt ziemlich genau in der Mitte der Legislaturperiode. Wenn wir die Vergangenheit anschauen, 2011, Mitte der Legislaturperiode, waren die Grünen auf einem riesigen Umfragehoch. 2015, so um die Hälfte herum, waren die Grünen auch relativ stark. Danach sind die Grünen aber in den Bundestagswahlen, die dann folgten, immer wieder um diese acht, neun Prozent gelandet. Warum schaffen die Grünen es denn nicht, diesen Hype bis zum Ende der Legislaturperiode mitzunehmen?
[00:07:24] Amalia Heyer Ich glaube, 2017 wie auch 2013 haben sie einfach massive, grobe Schnitzer gemacht gegen Ende. Also da war dann dieser moralische Zeigefinger überall. Da waren irgendwelche Steuern, die dann plötzlich auf die eigene Wahl-Klientel gepackt werden sollten. Und dann, glaube ich, war auch noch so eine ganz andere Parteistruktur da in Form eines unfassbar zerstrittenen Führungsduos, nämlich Simone Peters und Cem Özdemir.
[00:07:53] Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) Soll ich gleich weitermachen oder machen wir erst Große Koalition?
[00:07:59] Amalia Heyer Da war also von Geschlossenheit überhaupt nicht die Rede und dementsprechend auch nicht von gemeinsamer Strategie. Und ich glaube, diese Zerstrittenheit, gepaart mit diesen wirklich groben Schnitzern, hat die Grünen viele Stimmen und viel Vertrauen gekostet.
[00:08:18] Matthias Kirsch Wenn du die Schnitzer ansprichst, zum Beispiel gab es den Vorschlag für den Veggie Day, der nicht gut ankam. Passiert den Grünen das denn dieses Mal wieder?
[00:08:31] Valerie Höhne (lacht) Das weiß ich nicht, keine Ahnung. Es kann natürlich alles... alles kann passieren. Ich sage mal so:
[00:08:32] Matthias Kirsch Ist denn zum Beispiel die Parteistruktur besser jetzt?
[00:08:36] Valerie Höhne Also, die Kommunikation auf Bundesebene ist in der Bundesspitze natürlich viel besser, weil Annalena Baerbock und Robert Habeck sich einfach verstehen oder sich zumindest absprechen. Keine Ahnung, was hinter verschlossenen Türen passiert - aber das bleibt dann halt auch hinter verschlossenen Türen. Das wird halt nicht in die Öffentlichkeit getragen. Und andererseits ist die Schwäche der anderen Parteien, vor allem der SPD, so eklatant. Und wir sehen, glaube ich, alle momentan nicht, wie sich das erholen soll in den nächsten anderthalb Jahren. Dass die Grünen davon auch massiv profitieren werden? Man soll ja immer vorsichtig sein mit Prognosen, aber ich würde schon denken, dass sie viel, viel besser abschneiden als letztes Mal. Einerseits ja, die Kommunikation in der Parteispitze ist viel besser, Robert Habeck ist auch einfach ein sehr charismatischer Parteivorsitzender und Annalena Baerbock ist auch charismatisch wirkt vor allem in die Partei hinein.
[00:09:26] Amalia Heyer Man muss ja sagen, die beiden haben es ja geschafft, das Schwergewicht, das Hauptgewicht der Macht von der Fraktion auf die Partei zu übertragen. Und das haben sie eben geschafft durch ihre Einigkeit, durch das Sich-Verstehen. Aber was ich an den beiden eigentlich so erstaunlich finde, ist auch dieses Komplementäre, das sie haben. Es ist wirklich so: Man mag sich den einen nicht ohne den anderen vorstellen.
[00:09:52] Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) Mit Annalena macht es Spaß. Hoffentlich sagt sie das gleiche auch zu mir.
[00:09:53] Amalia Heyer Man möchte weder nur diesen menschenfängerischen, gern auch wolkigen Robert Habeck alleine haben, noch die immer alles wissende, bereitstehende Annalena Baernbock. Aber zusammen sind die wirklich die perfekten Sparringpartner für eine Parteispitze. Das ist schon relativ genial gelöst - for the time being. Man weiß natürlich nicht, wie lange es hält.
[00:10:17] Matthias Kirsch Eine Sache, die ja in diese idyllische Zusammenarbeit hineinspielen könnte, ist die Frage nach dem Kanzlerkandidaten, der Kanzlerkandidatin. Dazu kommen wir später noch. Lasst uns zuerst noch über das Hier und Jetzt sprechen. Die Klimafrage bestimmt ja die öffentliche Debatte dann doch maßgeblich gerade. Damit treffen die Grünen doch eigentlich den Zeitgeist.
[00:10:36] Valerie Höhne Ja, der Zeitgeist ist super für die Grünen.
[00:10:43] Einspieler Klima-Demo Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.
[00:10:43] Valerie Höhne Klimaschutz war selten Mainstream-Thema und ist es gerade erst geworden. Und ich weiß nicht, ob das so bleibt. Zwei verregnete Sommer und niemand wird mehr so emotional über Klimaschutz in Deutschland reden. Deswegen, glaube ich, ist das einfach sehr volatil. Ich glaube schon, dass sie da momentan viel abfangen, von dem, was sie abfangen können. Aber es ist trotzdem für die meisten Menschen in ihrem Alltag nicht die alles entscheidende Frage.
[00:11:08] Amalia Heyer Ich möchte mal die Wette wagen, dass die Bundestagswahl 2021, sollte sie da stattfinden, wahrscheinlich eher nicht unbedingt eine Klima-Wahl wird. Ich glaube, dazu sind die Wirtschaftsdaten jetzt zu dräuend und deswegen halte ich das eigentlich für die Priorität der Partei, jetzt sich eben auch in diesen anderen Themenbereichen gut aufzustellen - also tatsächlich Wirtschaft, Soziales. Daran werden Sie dann echt gemessen. Stichwort Reality Check. Was sie jenseits dieses Zeitgeists und jenseits dieses Klimathemas, das man ihnen sowieso wahrscheinlich, für jetzt und immer da, zuschreiben wird, dann auf die Beine stellen können.
[00:11:50] Matthias Kirsch Nichtsdestotrotz sind ja sehr viele der neuen Mitglieder aufgrund des Klimathemas in die Partei eingetreten. Inwiefern ist das denn ein Problem? Robert Habeck vertritt ja diesen Punkt, er würde gerne so eine Big 10 - Partei nach dem Vorbild der US-Demokraten, also eine Partei, in der ganz, ganz viele unterschiedliche Menschen reinpassen.
[00:12:08] Valerie Höhne Eine Volkspartei.
[00:12:08] Matthias Kirsch Und auf der anderen Seite...eine Volkspartei...
[00:12:14] Amalia Heyer Das würde er so niemals sagen.
[00:12:14] Valerie Höhne Ja, absolut.
[00:12:14] Matthias Kirsch Und auf der anderen Seite diese Neumitglieder, von denen vielleicht viele fordern: Wir müssen in Sachen Klima noch viel mehr machen. Wie passt das denn zusammen?
[00:12:25] Amalia Heyer Ich glaube, das müssen Sie einfach zusammenpassend machen. Ich glaube, die, die wegen des Klimas eintreten - Stichwort Fridays for Future - sind aber durchaus so schlaue Leute, die verstehen werden, dass sich die Partei dann auch auf anderen Feldern aufstellen muss, um mehr Leute mitzunehmen. Und das ist ja auch der Ansatz von Baerbock-Habeck, dass sie sagen: Wir wollen hier nicht die Klima-App der anderen sein, sondern wir freuen uns, wenn die anderen irgendwie inkorporieren und übernehmen. Und, dass diese Maximalforderungen wie jetzt Fridays for Future, die eben jetzt erst mal nicht ihren Weg finden.
[00:13:02] Valerie Höhne Würde die GroKo jetzt ein richtig krasses Klimapaket machen, hätten sie natürlich schon ein Problem. Das wäre total spannend geworden. Aber da das nicht der Fall ist, bleibt das Thema den Grünen vorerst erhalten.
[00:13:17] Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) Wenn man sich jetzt das Pillepalle-Päckchen der Bundesregierung anschaut, stellt man fest: Sie wollen es nicht nur nicht, sie können es auch nicht.
[00:13:27] Matthias Kirsch So oder so, glaube ich, kann man sagen: Das Klimapaket der Bundesregierung, das hat den Grünen jetzt doch durchaus in die Karten gespielt.
[00:13:34] Valerie Höhne Absolut. Man kann es ja auch sehen: Die waren davor - kurz nach Sachsen und Brandenburg - bei so 22 Prozent. Dann kam dieses Klimapaket, dann waren sie auf 26 Prozent. Jetzt kam Thüringen, jetzt sind sie wieder auf 22 Prozent. Also es ist auch ganz interessant. Je nachdem, was eben gerade Konjunktur hat, gehen natürlich auch die Umfragen, die schwingen damit. Und deswegen, Amalia, wenn du recht hast und es wird keinen Klima-Wahl, dann werden sie darunter auch leiden. Ich halte das nicht für ausgemacht, dass Sie über 20 Prozent landen.
[00:14:02] Matthias Kirsch Die Punkte, die ihr jetzt angesprochen habt - Schwäche der Gegner und die hohen Umfragewerte -, die bringen ja was anderes noch mit sich, nämlich die Frage nach einem Kanzlerkandidaten oder einer Kanzlerkandidatin. Das ist eine Frage, vor der sich Annalena Baerbock und Robert Habeck bisher zieren.
[00:14:23] Amalia Heyer Also, ich glaube, das ist genau, wie du richtig sagst, dass Ehrgeiz und Macht bei den Grünen, habe ich manchmal das Gefühl, immer noch so ein bisschen verpönt sind. Wenn man es hat, dann darf man es nicht zu ostentativ zeigen. Das ist natürlich eine Gratwanderung für jeden Spitzenpolitiker, denn irgendwie, wie Valerie auch richtig sagte, wollen die jetzt regieren. Diesen Anspruch haben sie, den geben sie auch genauso zu. Habeck sagt ja quasi: Regierungspartei im Wartestand. Und es fällt auch wirklich dieser Satz: Wir wollen jetzt regieren. Andererseits -wenn es dann eben an die Interna geht in der Partei, sagt man dann gerne, wird eben alles wieder so eingehegt. Wir haben die ewig währende Doppelspitze. Wir haben den Flügel- Proporz, der jetzt ermattet ist durch die beiden, aber trotzdem immer noch da und so weiter. Man tut alles, dass nicht irgendwie jemand plötzlich vorprescht.
[00:15:12] Matthias Kirsch Aber was ist denn, wenn es weiterhin so gut läuft? In den Umfragen, aber zum Beispiel auch in den Kommunalwahlen, die jetzt noch anstehen, zum Beispiel in Hamburg - was dann?
[00:15:21] Amalia Heyer Dann werden sie natürlich irgendwann jemanden aufstellen müssen und das kann bestimmt keine Doppelspitze sein. Und jetzt sieht es wohl so aus - also würde jetzt die GroKo scheitern und es gäbe Neuwahlen und so weiter - so höre ich, gäbe es ein Konsens natürlich für Robert Habeck als Kandidaten, weil er einfach der Bekanntere ist, der mehr Menschen bindet. Ich glaube aber auch, das wird auf diese Langstrecke hin gesehen sehr interessant werden. Denn, wenn das noch zwei Jahre dauert, dann traue ich Annalena Baerbock, die jetzt in der Partei sehr, sehr beliebt ist, traue ich ihr zu, da auch noch einiges aufzuholen.
[00:15:57] Matthias Kirsch Vor ein paar Wochen hat Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ja bei einer Veranstaltung auf die Frage, wer denn grüner Kanzlerkandidat werden sollte, so sehr aus der Flinte geschossen gesagt: Habeck. Dass dieser Name Habeck so viel öfter fällt. Ist das denn für die Führungsspitze irgendwie ein Problem? Führt das zu Spannungen bei denen?
[00:16:18] Amalia Heyer Ich kenne Annalena Baerbock als wahnsinnig ehrgeizige, ambitionierte Politikerin. Das können wir ja selber nachvollziehen. An Ihrer Stelle ärgert einen das schon manchmal, wenn man da die Fäden zusammenhält, und die Credits hat sie ja, und die hat sie ja auch zunehmend in der Öffentlichkeit - ich glaube schon, dass das sie ärgert.
[00:16:39] Valerie Höhne Das glaube ich auch, natürlich. Ich glaube auch, dass es bestimmt durchaus Verstimmungen gibt auch innerhalb der Parteispitze, wenn Robert Habeck mal wieder irgendwas auf Video sagt, was halt einfach großartiger Quatsch ist.
[00:16:54] Matthias Kirsch Das ist ihm ja ein paarmal passiert...
[00:16:55] Valerie Höhne Ist ihm ein paarmal passiert...
[00:16:55] Matthias Kirsch ...zum Beispiel nachdem die Bundesregierung ihr Klimapaket beschlossen hat, wurde deutlich, dass er nicht ganz genau wusste, wie die Pendlerpauschale funktioniert.
[00:17:04] Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) Wenn man den Benzinpreis um drei Cent erhöht, die Pendlerpauschale aber um fünf Cent erhöht, dann lohnt es sich eher, mit dem Auto zu fahren als mit der Bahn. Es muss ja genau umgekehrt sein. Man braucht einen Anreiz, in die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen und sie zu nutzen.
[00:17:17] Oliver Köhr Die Pendlerpauschale wird aber auch bezahlt, wenn man Bahn fährt.
[00:17:20] Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) Ja, aber nicht... Dann ist es ja nur die Erstattung des Bahntickets oder wird sie dann... Das weiß ich gar nicht. Aber die entscheidende Frage ist, ob man dann mit dem Auto einen Anreiz hat zu fahren.
[00:17:30] Valerie Höhne Genau, und das ist eigentlich für ein Spitzenpolitiker in Deutschland, na ja, zumindest nicht gut. Ich denke schon, dass so etwas auch zu Unmut führt. Das ist halt auch sein Problem. Sein Problem ist, dass er nicht gut genug auf solche Fragen vorbereitet ist; dass er aus der Hüfte schießt; dass er so ein bisschen eine 'loose canon' [tickende Zeitbombe] ist. Die Partei kann nicht 100 Prozent damit rechnen, dass er immer vorbereitet ist. Das ist ein Problem für einen Kanzlerkandidaten. Bei Annalena Baerbock könnten sie damit rechnen. Und die Grünen sehen sich natürlich auch als feministische Partei und dann die Frau in den Hintergrund zu rücken und den Robert vorzuschicken, kommt nicht bei allen gut an. Wenn man Annalena Baerbock oder Robert Habeck jetzt fragt nach dieser Kanzlerfrage, dann sagen beide, dass es noch viel zu früh und wir reden darüber nicht.
[00:18:19] Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) Ich habe mehrfach beantwortet, dass für uns die Frage Kanzlerkandidatur nicht die ist, mit der wir uns jetzt zentral beschäftigen. Weil das für uns derzeit nicht das zentrale Thema ist.
[00:18:30] Matthias Kirsch Andere in der Partei auch, Jürgen Trittin zum Beispiel hat vor kurzem beim SPIEGEL im Interview das Gleiche gesagt. Haben sie denn damit recht? Wäre nicht ein bisschen Klarheit auch für die Wähler irgendwie ganz gut? Zu wissen, wer für die Grünen da antritt?
[00:18:43] Amalia Heyer Es gibt jetzt schon Stimmen in der Partei, die das so ein bisschen in diese Richtung sehen. Die haben schon alle immer furchtbar Angst, das Momentum zu verlieren. Und da gibt es jetzt tatsächlich Stimmen, die sagen: Würde es uns nicht helfen, wenn wir uns jetzt hier klar bekennen und jemanden ins Rennen schicken und dem dann quasi die ganze Power geben. Ich glaube, das mehrt sich jetzt so ein bisschen.
[00:19:04] Valerie Höhne Also ich glaube auch eher, dass viele Grüne, die 2013 miterlebt haben - 2011 muss man dazu sagen, waren die Grünen zeitweise in Umfragen bei 28 Prozent nach Fukushima, sind dann abgestürzt auf 8,x Prozent - und viele Grüne, die das miterlebt haben, haben total Angst davor, dass es rapide bergab geht. Wissen aber auch, dass es eine echte Gefahr ist. Man muss sich ja nur mal vorstellen, was die Schlagzeilen dann werden. Die Grünen würden sich jetzt auf einen Kanzlerkandidaten festlegen. Und dann, in zwei Jahren, sind die Grünen irgendwie bei 13 Prozent in den Umfragen. Und die SPD ist auf einmal bei 17 Prozent. Und es heißt so: Die Grünen, diese arroganten Grünen haben gedacht, die könnten Kanzlerkandidaten aufstellen - um Gottes willen! So, und das würde ja immer wieder herausgeholt werden. Ich glaube diese Gefahr ist sehr präsent.
[00:19:49] Amalia Heyer Ich glaube, jetzt ist es noch viel zu früh. Aber jetzt wird eben in Bausch und Bogen diese Frage immer ganz abgelehnt. Dass man aber dann irgendwann mal drüber nachdenken müsste und sich da auch so ein bisschen öffnet, das werden sie dann hoffentlich schon tun. Und das geht halt nicht so, wie das jetzt immer insinuiert wird, so ungefähr: Ja, die GroKo platzt und dann fangen wir mal an, irgendwie zu sondieren, wer da jetzt mehr Chancen hat.
[00:20:12] Matthias Kirsch Apropos GroKo. Die Regierung scheint sich ja jetzt in Sachen Grundrente einig geworden zu sein. Und es wird ja davon ausgegangen, dass diese Einigung darüber entscheidet, ob die Große Koalition weitermacht oder nicht. Wenn das denn der Fall ist, also wenn die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode weitermacht - was heißt das für die Grünen?
[00:20:30] Valerie Höhne Ich glaube, für die Grünen ist es eher schlecht. Ich glaube, die werden diese Langstrecke, die du eben auch beschrieben hast, das wird für die total schwierig durchzuhalten. Und wenn das Klimathema nicht mehr so präsent ist, dann werden sie nicht mehr so viel Aufmerksamkeit kriegen, auch nicht für die anderen Themen. Das ist für sie einfach auch ein Problem.
[00:20:49] Amalia Heyer Ich tendiere dazu, Valerie Recht zu geben. Aber das Lustige ist, dass die Grünen genau das Gegenteil sagen: Es ist ganz, ganz toll.
[00:20:56] Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) In diesem Zusammenhang ist es aus meiner Sicht gut, dass die Große Koalition endlich einen Kompromiss bei der Grundrente gefunden hat.
[00:21:04] Amalia Heyer Sie wollen, dass diese Legislaturperiode "gedeihlich" zu Ende geht, hat Habeck gesagt. Und davon weichen sie auch nicht ab und gehen sogar soweit, dass sie sagen: Es ist wunderbar. Jetzt kommt grosso modo, eine relativ wahlfreie Zeit. Da können wir an Gravität gewinnen, da können wir uns nochmal sachlich mit vielen Dingen beschäftigen. Da können wir auch die Neumitglieder integrieren, was natürlich nicht ganz falsch ist. Aber es stimmt natürlich, dass, wenn man jetzt aufs reine machtpolitische Wahlkalkül geht, dann - wenn es hält, das weiß ja auch keiner - dann sehe ich auch mehr Probleme bei der Langstrecke als jetzt bei Neuwahlen.
[00:21:45] Valerie Höhne Und ich glaube, in diesem Spannungsfeld befindet sich diese Partei auch. Auf der einen Seite wollen sie unbedingt regieren, wollen sich unbedingt verbreitern, wollen diese Big 10 - Partei werden. Auf der anderen Seite wissen sie auch um ihre Limitation und wissen natürlich, dass das sehr auf Kante genäht ist alles.
[00:22:00] Matthias Kirsch In Ordnung, Valerie, Amalia, vielen Dank.
[00:22:01] Valerie Höhne Dankeschön, tschüss.
[00:22:01] Amalia Heyer Dankeschön, tschüss.
[00:22:07] Matthias Kirsch Das war Stimmenfang, der Politik-Podcast vom SPIEGEL. Die nächste Episode von Stimmenfang hören Sie wie immer ab nächstem Donnerstag auf spiegel.de, bei Spotify und in allen möglichen Podcast-Apps. Wenn Sie uns Feedback schicken möchten, schreiben Sie uns einfach eine Mail an stimmenfang@stimmenfang.de oder nutzen Sie unsere Stimmenfang-Mailbox unter 040 380 80 400. An die gleiche Nummer, also 040 380 80 400, können Sie uns auch eine WhatsApp-Nachricht schicken. Diese Folge wurde produziert von Yasemin Yüksel und mir, Matthias Kirsch. Danke für die Unterstützung an Philipp Fackler, Sebastian Fischer, Johannes Kückens, Wiebke Rasmussen und Matthias Streitz. Die Stimmenfang-Musik kommt wie immer von Davide Russo.