Grüner Trittin zu Merkels Griechen-Krise "Weniger Stammtisch, mehr Helmut Kohl"

Regierungschefs Papandreou, Merkel: "Zögern und Zaudern" gegenüber den Griechen?
Foto: Alina Novopashina/ dpaSeit Wochen weiß man, dass eine Rettung im Interesse Europas und im Interesse Deutschlands ist. Doch statt ihre Aufgabe als Chefin der Bundesregierung wahrzunehmen und das den Menschen zu erklären, lässt sich die Kanzlerin von der Boulevardpresse als Mischung aus Bismarck und Eiserner Lady feiern.
Mit Blick auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen zögert und zaudert sie und lässt die Populisten und Nationalisten in den Koalitionsparteien ungehindert pöbeln. Vermutlich hat sie gehofft, ihre übliche Taktik würde aufgehen: Sie wartet ab, und was sich dann sowieso vollzieht, erklärt sie zu ihrer Entscheidung.
So gleicht sie dem König im Kleinen Prinzen, der den täglichen Sonnenaufgang zu seiner Tat erklärt.
In Sachen geht dieses Politikverständnis nun gründlich in die Hose. Denn Zögern und Zaudern, öffentliches Austesten, ob ihr die Rolle der Madame Non oder der Mademoiselle Vielleicht besser steht, hat sich in der Griechenland-Krise als ein Turbo zur Krisenverschärfung erwiesen. Und noch nie war ihr Zögern so teuer, haben doch die Spekulanten als Reaktion darauf die Schulden der Griechen noch einmal kräftig nach oben getrieben.
Deutsche Arbeitsplätze durch griechischen Pump
Überschuldungspolitik Griechenlands
Dabei hat Deutschland ein erstes Interesse an einer Rettung Griechenlands. Wer hat denn jahrelang von einer verantwortungslosen bestens gelebt? Nicht nur deutsche Rüstungsfirmen haben ihre Güter auf Pump nach Griechenland verkauft. Die auf Pump auch bei deutschen Banken finanzierte Nachfrage in Griechenland hat in Deutschland bei vielen Unternehmen Arbeitsplätze geschaffen und gesichert.
Doch nicht doppelte Moral und Heuchelei des Stammtisches stehen hier zur Debatte. Eine andere Frage muss im Mittelpunkt stehen: Was wäre das Ergebnis, wenn Griechenland die Währungsunion verlassen würde?
Die Menschen dort würden ihre -Ersparnisse so schnell wie möglich von ihren Bankkonten abheben, um sie vor der erwarteten Abwertung zu schützen. Die Folge: ein Run auf die Banken, den - mindestens - das griechische Finanzsystem kaum überleben dürfte.

Der Staatsbankrott wäre unausweichlich. Die griechische Wirtschaft, die in Euro verschuldet ist, würde in den Ruin getrieben. Die Gläubiger müssten einen Großteil ihrer Forderungen abschreiben.
In vergleichbaren Fällen wie Argentinien 2001 und Russland 1998 mussten sie im Durchschnitt auf 73 Prozent beziehungsweise 82 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Allein deutsche Banken halten 43 Milliarden Euro Forderungen an den 240 Milliarden Euro Auslandsschulden Griechenlands.
Die Folgen dieses erneuten Schocks für das fragile Bankensystem und den Bankenrettungsfonds sind leicht vorstellbar. Und weil damit sofort die nächste Spekulationswelle gegen Portugal oder Spanien befördert würde, wäre die Stabilität der Währungsunion in der gegenwärtigen Form ernsthaft gefährdet.
Von Madame Non zu Erbtante Oui
Anders gesagt: Was uns der rechte Rand als Lösung vorschlägt - ein Verlassen der Währungsunion -, ist die gefährlichste Alternative. Es hieße aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen. Die Kosten wären gerade für Deutschland, das besonders von der Einführung des Euro profitiert hat, immens. Erst die gemeinsame Währung legte den Grundstein für einen Exportboom in die Länder der Euro-Zone. Die Vorschläge aus dem nationalistischen Lager sind nicht im Interesse der Exportnation Deutschland.
Mehr Helmut Kohl und weniger Stammtisch wären das Gebot der Stunde gewesen. Aus innenpolitischen Motiven zu warten, zu verzögern und zu blockieren, hat die Krise verschärft und die Spekulation gegen Griechenland angeheizt. Das Problem wurde größer, nicht kleiner.
Der wirtschaftliche und europapolitische Flurschaden ist umso ärgerlicher, als Merkels Position nicht nur falsch, sondern - absehbar - unhaltbar war. Vom Ende her gedacht war klar, dass aus Madame Non innerhalb weniger Tage Mademoiselle Vielleicht und am Ende die Erbtante Oui werden würde, die dann aber mehr zahlen muss und dies zu schlechteren Konditionen.
"Der rechte Rand schlägt uns die gefährlichste Alternative vor"
Diese Kredite - am Ende mehr als hundert Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren - verschaffen den Griechen die dringend erforderliche Zeit, die sie für die Bewältigung ihrer Krise brauchen. Damit daraus eine nachhaltige Lösung wird, müssen aber zwei weitere Bedingungen erfüllt sein: Die Griechen müssen den Reformkurs, den die griechische Regierung beschrieben hat, unverzüglich einleiten, Absichtserklärungen alleine reichen nicht. Und - ebenso wichtig - die privaten Banken und Gläubiger müssen ihren Teil zur Krisenüberwindung beitragen.
Die gravierenden Missstände in der Vergangenheit bergen ein großes Potential für notwendige Veränderungen. Einnahmeverbesserungen durch Steuererhöhungen und konsequenten Steuervollzug auch bei der griechischen Oberschicht und Konsolidierungsmaßnahmen sind alternativlos: von der Reduzierung der Militärausgaben bis hin zu einer Reform von Steuer- und Pensionssystemen.
Die Altgläubiger müssen sich an der Sanierung beteiligen
Nun bedarf es eines strikten europäischen Monitorings, damit Ernst gemacht wird mit Reformen. Jenseits dessen wird es aber wichtig sein, dass Griechenland zugleich den Weg findet, seine internationale Wettbewerbsposition zu verbessern, um auch langfristig erfolgreich zu wirtschaften.
Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz hat daher vorgeschlagen, die Auszahlung von EU-Strukturfondsmittel antizyklisch vorzuziehen und diese Mittel in einen ökologischen Umbau der Ökonomie ganz im Sinne eines grünen New Deals zu investieren.

Konsolidierung ist alternativlos. Aber angesichts der hohen Altschulden und der daraus resultierenden Zinsverpflichtungen droht Griechenland auch mit einem noch so ambitionierten Konsolidierungsprogramm in der "Vergeblichkeitsfalle" zu verharren. So rechnet Simon Johnson, Ex-Chefökonom des , vor, dass Griechenland bald zwölf Prozent seines Bruttosozialproduktes für den externen Schuldendienst ausgeben muss. Zum Vergleich: Deutschlands Wiedergutmachungszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg hätten sich auf jährlich rund 2,4 Prozent des Bruttosozialproduktes belaufen. Deshalb muss die Bundesregierung jetzt darauf drängen, dass die Altgläubiger sich an der Sanierung des Landes beteiligen.
Steuerzahler im Risiko
Die europäischen Steuerzahler gehen mit den Finanzhilfen für Griechenland ins Risiko, um einen ungeordneten Staatsbankrott zu vermeiden. Das bewahrt die Gläubigerbanken vor einem drohenden Totalausfall ihrer Forderungen. Es ist aber nicht akzeptabel, dass wieder die Gemeinschaft die Verluste übernimmt und die Banken die Gewinne einstreichen. Die Banken haben trotz der absehbaren Risiken die griechischen Staatspapiere gekauft und damit hohe Renditen erzielt.
Eine Gläubigerbeteiligung in Schuldenkrisen ist nichts Neues. Im Gegenteil, immer wieder gab es in der Geschichte erfolgreiche Beispiele dafür, dass Länder ihre Märkte "ordentlich" restrukturieren können, also ohne Panikreaktionen. Uruguay, Jamaika und Belize sind Beispiele aus jüngerer Zeit.
Der Verhaltenskodex des Institutes of International Finance, der internationale Branchenverband der Banken, legitimiert ein solches Vorgehen sogar - ja, er nimmt die Gläubiger explizit in die Pflicht, ihren Teil zur Restrukturierung beizutragen. Wenn nicht über eine Umschuldung, dann über Steuern und Abgaben aufgebracht von den Banken, die an der Überschuldung Griechenlands ebenso verdient haben wie an der Spekulation gegen sie.
Die jüngsten Ankündigungen einer "freiwilligen" Beteiligung durch die deutsche Wirtschaft sind bisher vage und komplett unverbindlich. Man redet öffentlich davon, um eine reale und substantielle Beteiligung abzuwenden. Die Bundesregierung muss die Gläubiger nicht "herzlich einladen" (Brüderle), sich zu beteiligen. Sie muss eine solche Beteiligung in fairem Ausmaß sicherstellen, bevor sie die Steuerzahler in die Pflicht nimmt, ohne vorher freundliche Einladungen zu freiwilligen Beiträgen auszusprechen.
Die Bundesregierung muss endlich aufhören, die Krise aus innenpolitischen Motiven auszusitzen - und sich dieser Herausforderung stellen.