Guantanamo-Streit Schäuble gibt Widerstand gegen Steinmeier auf
Berlin - Der Sprecher des Bundesaußenministers gab sich zuversichtlich. Als am Montag in der Bundespressekonferenz das Thema Aufnahme möglicher Guantanamo-Häftlinge erschöpfend behandelt worden war, meldete sich noch einmal Jens Plötner zu Wort. "Sie werden sehen", wandte er sich an einen Journalisten, "alles wird gut".
Der Optimismus im Auswärtigen Amt gründet sich nicht allein auf den Umstand, dass in dieser Woche Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier mit seinem Kabinettskollegen Wolfgang Schäuble zu einem Gespräch zusammen kommt - möglicherweise schon morgen. Vor allem die neuen Töne Schäubles wurden aufmerksam wahrgenommen.
Der Bundesinnenminister und CDU-Politiker hatte zwar vor der letzten Kabinettssitzung vergangene Woche seinen sozialdemokratischen Kollegen Steinmeier persönlich angegangen und ihm vorgehalten, ohne Absprache den USA angeboten zu haben, Häftlinge aus dem US-Gefangenenlager nach Deutschland zu holen.
Schäuble hatte danach auch öffentlich einen harten Kurs verfochten. Wenn die Häftlinge aus Menschenrechtsgründen nicht in ihre Heimat zurückkehren könnten, müssten sie eben in den USA verbleiben, so Schäuble vergangene Woche.
Doch an diesem Montag hörte sich das nicht mehr so forsch an. Sobald die US-Anfrage komme, werde sie geprüft und entschieden, gab das Innenministerium zu verstehen.
Bereits am Sonntagabend waren von Schäuble deutlich weichere Töne zu vernehmen gewesen. "Wenn es jemanden gibt, wo man konkret sagen kann, der kann nicht aus Gründen, die man nachvollziehen kann, in Amerika bleiben, dann wird man darüber reden können", versicherte er in der ARD.
Das war schon der halbe Weg hin zur Haltung Steinmeiers.
Und der Außenminister war am Wochenende bemüht, Brücken zum düpierten Koalitionspartner Schäuble zu bauen. Es gehe "um eines ganz gewiss nicht: Terroristen hierher zu holen", sagte er im ZDF. Die Aufnahme von Unschuldigen sei aber "eine Frage der Glaubwürdigkeit". "Darum habe ich mich öffentlich zu Wort gemeldet, ohne dem Innenminister seine Zuständigkeit zu nehmen", so Steinmeier.
Eine Anfrage aus den USA wird kommen - davon ist man im Auswärtigen Amt überzeugt. Schon vor Weihnachten war durch einen Zeitungsbericht bekannt geworden, dass Steinmeier in seinem Amt entsprechende Vorbereitungen für eine solche Eventualität prüfen ließ. Am heutigen Montag nun erklärte sein Sprecher Plötner in der Bundespressekonferenz: "Wir können davon ausgehen, dies kommt auf uns zu."
Dass eine Totalblockade gegenüber dem Wunsch der neuen US-Regierung auch innerhalb der EU in die Isolation führen könnte, scheint nicht nur Schäuble, sondern auch der potentielle Koalitionspartner der Union begriffen zu haben. Noch Mitte vergangener Woche hatte FDP-Chef Guido Westerwelle ähnlich wie Schäuble argumentiert. Er gehe davon aus, dass die USA solchen Häftlingen die Aufnahme ermöglichten, die aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in ihre Heimatländer zurückkehren könnten. Auf die Frage nach der Aufnahme von Häftlingen in Deutschland hatte Westerwelle erklärt, dies sei weder "angebracht, noch notwendig".
Am Wochenende allerdings ließ sich auch Westerwelle anders ein. Im ZDF erklärte er: "Dass wir natürlich auch im Einzelfall unsere Menschlichkeit nicht vergessen in Deutschland, das versteht sich von selbst." Auch bei der FDP gab es von Anbeginn der Debatte durchaus andere Haltungen. Die bayerische FDP-Landesvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mahnte bereits vor Tagen eine Einzelfallprüfung an, was sie am heutigen Montag im Interview mit SPIEGEL ONLINE wiederholte. "Offenheit statt pauschale Urteile" sei im Fall der Guantanamo-Häftlinge gefragt. Mit Westerwelle, so die Liberale, habe sie darüber telefoniert, man sei sich einig.
Deutsche Debatte geht an Fakten vorbei
Die deutsche Diskussion, geprägt auch von der Streitlust in der Koalition, geht an den Fakten weitgehend vorbei. Zum einen wird Außenminister Steinmeier immer wieder vorgeworfen, er presche mit einem Angebot vor, für das es noch gar keine offizielle Anfrage aus den USA gebe. Diese Haltung vertritt auch die Bundesregierung immer noch: Man werde auf entsprechende Anfragen "reagieren".
Offiziell mag diese Haltung stimmen. Pragmatiker wie Steinmeier wissen aber schon seit Monaten, dass die USA auf Europa in dieser Frage zukommen werden. Kurz nach der US-Wahl ließen enge Mitglieder aus Obamas Team gegenüber einer Delegation aus Steinmeiers Haus wenig Zweifel an dem Wunsch der neuen Administration aufkommen.
"We will need your help", so die schlichte Formel aus dem Munde eines inzwischen hochrangigen Mannes in der US-Regierung.
Man muss indes gar nicht auf solche Andeutungen zurückgreifen. Ende vergangener Woche bekräftigte der Sprecher des Pentagons, zuständig für die Gefangenen, den US-Wunsch. In den letzten Jahren, so Jeffrey D. Gordon, habe man "mit mehr als 100 Ländern" über den Transfer von Ex-Häftlingen gesprochen - nicht immer mit Erfolg. "Wir hoffen, die neuen Gespräche mit unseren internationalen Partnern, speziell in Europa, führen zu einer Lösung des gemeinsamen Problems."
Das Pentagon gibt auch Antworten auf Fragen, die in Deutschland und der EU immer wieder gestellt werden - um welche Gefangenen es den USA eigentlich geht. Abseits der erhitzten Diskussion ist dies in den USA recht klar: Faktisch versucht man Lösungen für 60 Gefangene zu finden. Alle diese Fälle wurden in den letzten Jahren vom Militär geprüft, eine Freilassung wurde genehmigt. Einziger Haken: Entweder wollen die Heimatländer ihre Bürger nicht aufnehmen - oder es droht ihnen Folter.
Berlin ist auf jeden Fall vorbereitet. Sollte eine Anfrage aus den USA kommen, so Vizeregierungssprecher Thomas Steg am Montag, sei die Bundesregierung und die EU "schnell" in der Lage, zu handeln.