Guttenbergs Kunduz-Verteidigung Der Gentleman schaltet auf Angriff
Berlin/München - Wenn Sigmar Gabriel zu Hochform aufläuft, kennt er kein Halten mehr. Jetzt will er den Polit-Aufsteiger des Jahres stürzen sehen.
Nur weil Verteidigungsminister (CSU) zum "Sunnyboy der deutschen Politik" erklärt worden sei, dürften für ihn keine "anderen Maßstäbe" gelten als für den zurückgetretenen Vorgänger, poltert der SPD-Chef. Er müsse "endlich umfassend Stellung beziehen oder die Konsequenzen ziehen". Heißt: auspacken oder zurücktreten.
Guttenberg ist unter Druck, denn die entscheidenden Fragen sind noch immer nicht beantwortet.
Bombardements vom 4. September nahe Kunduz
Warum hat er nicht von Beginn an deutlich gemacht, dass eigentlich Taliban-Kämpfer statt der beiden Tanklastwagen das Ziel des waren? Und auf welche neuen Fakten stützt er seinen Schwenk bei der Bewertung jenes Luftangriffs, den er anfangs noch "militärisch angemessen" nannte?
Bisher hat der Minister vor allem geschwiegen. Und auf den am Mittwoch startenden Untersuchungsausschuss des Bundestags verwiesen. Seine Hoffnung in der Kunduz-Affäre schien anfangs zu sein, dass sich die öffentliche Meinung letztlich zu seinen Gunsten drehen wird - wie seinerzeit bei seinem einsamen Nein zur Opel-Rettung als Wirtschaftsminister. Wie er damals als letzter aufrechter Verteidiger der sozialen Marktwirtschaft aufgetreten ist, so hat er im neuen Amt schließlich Transparenz und Offenheit versprochen und den beim Namen genannt: "kriegsähnliche Zustände".
Diesmal allerdings verfängt seine Strategie nicht problemlos - weshalb sich der Gentleman nun notgedrungen zum Haudrauf wandeln muss. Guttenberg begibt sich ins Gerangel. Rücktrittsforderungen von SPD, Grünen, Linken und schlechte Stimmung in der Bundeswehr: Er muss etwas dagegen tun.
Warnung an Gabriel und Trittin
Guttenberg geht in die Offensive. Er werde auch stehen bleiben, wenn es mal stürmt, beteuert er. Man sieht ihn in den Talkshows der Republik; vor wenigen Tagen bei "Maybrit Illner", am Sonntag bei Günther Jauch, an diesem Montag bei "Beckmann". Seine hartnäckigsten Kritiker, Gabriel und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, geht er persönlich an. Seit Anfang November seien sie per Isaf-Untersuchungsbericht der Nato darüber informiert, dass auch die Taliban Ziel des Bombardements vom 4. September gewesen seien, sagt Guttenberg. "Was den Vorwurf der Täuschung und der Lüge in meiner Amtszeit betrifft, kann ich nur sagen, dass sich Herr Gabriel und Herr Trittin hüten müssen, sich nicht selbst dem Vorwurf der Täuschung auszusetzen."
Damit weicht Guttenberg erstmals von der bisherigen Kommunikationslinie seines Ministeriums ab, dass allein die Tanklaster Angriffsziel waren. Bei genaueren Nachfragen allerdings verweist sein Sprecher auf den Untersuchungsausschuss. Dort werde sich dann alles "näher begutachten lassen müssen". So zeigt sich Guttenberg nur bedingt abwehrbereit.
Kunduz-Affäre: Die offenen Fragen
"Es ist schwer zu ergründen, warum der Fokus des PRT-Kommandeurs auf die Taliban in dem Zielgebiet gerichtet war und nicht allein auf die gestohlenen Tanklaster, die doch wohl die größte Bedrohung waren für die Sicherheit der PRT-Kräfte", zitiert der SPIEGEL den Bericht. PRT bezeichnet "Provincial Reconstruction Team", ein zivil-militärisches, regionales Wiederaufbau-Team.
Oberst Klein selbst schrieb demnach am 5. September an den Generalinspekteur, er habe die Tanklastwagen sowie die versammelten Aufständischen "vernichten" wollen. Bislang war von der Regierung vor allem die Sicherheit der Soldaten des nahegelegenen Feldlagers als Grund für den Abwurf zweier Bomben genannt worden.
Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert mussten deswegen abtreten. Schneiderhan widersprach dem jetzt: Alle wesentlichen Informationen zum Bombardement seien im Nato-Bericht verarbeitet worden. Dieser habe Guttenberg zu Amtsantritt vorgelegen, ebenso ein Bericht des Internationalen Roten Kreuzes. Er und Wichert hätten Guttenberg dann am 25. November auf Nachfrage noch auf vier weitere Berichte hingewiesen. Guttenberg bleibt dabei, dass ihm relevante Dokumente vorenthalten worden seien.
Um Dampf abzulassen, knöpft er sich auch den von ihm gefeuerten Ex-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan öffentlich vor. Der hatte zuletzt in der ARD gesagt, Guttenberg habe alle wesentlichen Informationen zum Angriff von Kunduz gekannt, als er den Luftangriff am 6. November als militärisch angemessen einstufte. Guttenbergs Replik: Der Entlassene habe sich inzwischen zur Klarstellung genötigt gesehen, dass dem Minister Dokumente über den Angriff vorenthalten worden seien. "Ich habe das schriftlich von ihm." Der Minister tritt damit Vorwürfen entgegen, er habe ein politisches Bauernopfer benötigt, um seine Kehrtwende in der Bewertung des Bombardements zu rechtfertigen.
Auch in CDU und CSU geht Guttenberg in die Offensive. Tagelang war nichts zu hören aus den Unionsparteien, kein gewichtiges Wort, das den Mann im Verteidigungsressort gestützt hätte. An diesem Montag holt sich Guttenberg die Rückendeckung des CSU-Vorstands in München persönlich ab. Der Minister sei "die treibende Kraft bei der Aufklärung - nicht umgekehrt", sagt CSU-Chef Horst Seehofer nach der Sitzung. Es habe "deutlichen Applaus" für Guttenberg gegeben.
In Berlin erklärt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, die Schwesterpartei stehe "uneingeschränkt" zu Guttenberg und seiner Amtsführung. Die massiven Angriffe der Opposition schweißen offenbar zusammen.
SPD spielt auf Risiko
SPD, Grüne und Linke wollen sich die Chance nicht entgehen lassen, gegen Merkels besten Mann zu ätzen. Ihn zu stürzen, wäre ein wahrer Triumph für die Opposition.
Akribisch haben sich die drei Fraktionen auf den Untersuchungsausschuss vorbereitet. Mit 93 Beweisanträgen wollen sie die Hintergründe des Luftangriffs durchleuchten und klären, wer in der Bundesregierung wann über was informiert war. Außerdem wollen sie prüfen, ob Berichte über das Bombardement auf deutschen Druck hin möglicherweise abgeschwächt wurden. Mindestens bis zur Afghanistan-Konferenz Ende Januar soll so der Druck hoch gehalten werden.
Vor allem die SPD scheint sich im Zuge der schneller an ihre neue Rolle in der Opposition zu gewöhnen als erwartet. Dass sie nicht mehr in der Regierungsverantwortung ist, kommt ihr in Sachen Afghanistan entgegen. Sie kann so tun, als sei alles neu, was derzeit so alles enthüllt wird. So lassen Spitzengenossen und allen voran Parteichef Gabriel keine Gelegenheit zur Attacke ungenutzt.
Ohne Risiko ist das nicht. Man müsse aufpassen, dass man noch Kräfte für andere wichtige Themen habe, warnte ein westdeutscher Landeschef in der SPD-Präsidiumssitzung am Montag. Den Klimagipfel zum Beispiel.
Auffallend zurückhaltend gibt sich Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Was einen einfachen Grund haben könnte: Ob die Beteiligung des Kommandos Spezialkräfte an dem Kunduz-Einsatz, der Strategiewechsel oder die geheimen Berichte - selbst Parteifreunde bezweifeln, dass der einstige Außenminister keines der Details kannte, die jetzt enthüllt werden. Als Chefdiplomat und Vizekanzler vertrat er immerhin vier Jahre lang den . Kein Wunder, dass Union und FDP darauf drängen, ihn zum Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss zu machen und ihn so in die Affäre mit hineinziehen zu können.
In der SPD-Fraktion wird erwartet, dass Steinmeier auf Vorschlag der schwarz-gelben Regierungsfraktionen gleich als erster Zeuge vorgeladen wird. Dann aber wolle man den Spieß gleich wieder umdrehen, ist zu hören: Zeuge zwei könne die Kanzlerin sein - gefolgt von Guttenberg.