Guttenbergs Plagiatsaffäre Wissenselite revoltiert gegen Copy-paste-Minister

Original oder Kopie? Verteidigungsminister Guttenberg gerät immer stärker unter Beschuss
Foto: Peter Kneffel/ dpaBerlin - Verteidigungsminister gerät wegen seiner immer stärker unter Beschuss. Zunächst hatte sich der deutsche Wissenschaftsbetrieb zurückgehalten - jetzt kommen aus Universitäten im ganzen Land um so massivere Vorwürfe gegen den CSU-Politiker. "Wissenschaftliches Fehlverhalten ist kein Kavaliersdelikt und darf nicht als solches behandelt werden", sagte die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel der "taz". Ein so aufsehenerregender Vorgang wie der Fall Guttenberg sende ein besonders nachhaltiges Signal - nicht nur an Promovenden, sondern auch an Studierende, Schülerinnen und Schüler. Hier müsse "auch die Politik deutlich sein", ergänzte Wintermantel, die im Namen der über 400 deutschen Universitätsrektoren spricht.
Der Bayreuther Jura-Professor Oliver Lepsius hat sich bereits mehrfach in der Affäre geäußert. Nun hält er sogar einen Rücktritt des Verteidigungsminister für unerlässlich. "Er kann eine zweite Chance haben. Die muss er sich aber erarbeiten, die fällt ihm nicht in den Schoß", sagte der Professor am Montagabend im ZDF-"heute journal": "Eine zweite Chance kriegt Herr zu Guttenberg nur durch seinen Rücktritt."
Die Wissenschaft könne sich mit diesem Verhalten nicht abfinden, sagte Lepsius. "Wenn keine Konsequenzen gezogen werden, eben auch von der Kanzlerin, von der Bundesregierung, dann ist das Verhältnis von Wissenschaft und Politik nachhaltig gestört. Es entsteht durch diese Affäre ein Flurschaden, der noch ungeahnte Ausmaße haben kann."
Damit gerät nun auch die Kanzlerin ins Visier der Kritiker. Angela Merkel hat sich in der Affäre bisher hinter ihren Minister gestellt - mit dem Argument, sie habe schließlich keinen wissenschaftlichen Assistenten eingestellt, sondern einen Minister. Auch aus den eigenen Reihen bekommt sie dafür nun Kritik. So schloss sich der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf den Vorwürfen aus der Wissenschaft an. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) unterstellte Merkel gar "Schizophrenie".
Am Montag hatte sich auch Guttenbergs Doktorvater an der Universität Bayreuth, Professor Peter Häberle, wegen schwerer Mängel von der Arbeit seines Doktoranden distanziert. Die Aberkennung des Doktortitels sei die notwendige Folge gewesen. Dass er die Vorwürfe erst zurückgewiesen hatte, sei vorschnell gewesen, hieß es in einer auf der Homepage der Universität veröffentlichten Erklärung des emeritierten Professors. Am Montag war bekannt geworden, dass Guttenberg an der Uni Bayreuth offenbar nur mit einer Ausnahmegenehmigung promovieren durfte - wegen seiner Noten.
"Es besteht Gefahr für die deutsche Wissenschaft"
Der Rektor der Tübinger Universität, Bernd Engler, schreibt im jüngsten Newsletter der : "Das Ächten von Plagiaten versteht sich für uns wissenschaftlich Tätige von selbst." Es treffe die Wissenschaft "ins Mark, wenn Quellen nicht sauber angegeben, wenn aus nicht nachvollziehbaren Quellen abgeschrieben wird und diese mit eigenen Gedanken lediglich zu einer Collage zusammengestellt werden".
Scharfe Worte finden auch die Köpfe des Karlsruher Instituts für Technologie KIT. "Sollten Plagiate in erheblichem Umfang politisch gebilligt werden, besteht aus unserer Sicht die Gefahr, dass die deutsche Wissenschaft Schaden nimmt und im Ausland an Ansehen verliert", heißt es in einer Stellungnahme.
"Wer fälscht, wird bestraft", so lautet die Leitlinie von Ulrich von Alemann, Prorektor für Lehre und Studienqualität an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. In den Augen des Politikwissenschaftlers wäre Guttenberg gut beraten, "wenn er eine Auszeit von zwei bis drei Jahren nehmen würde". Danach könne er immer noch Karriere machen, sagte er.
Vorwürfe gegen die Bundesregierung
Auch der Deutsche Kulturrat kritisiert die Haltung der Bundesregierung. "Hier wird mit zweierlei Maß gemessen", sagte Kulturrats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann im Südwestrundfunk. "Die Bundesregierung hat für Raubkopierer Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren durchgesetzt - andererseits duldet sie, wenn der Verteidigungsminister bei seiner Doktorarbeit abschreibt." müsse nun öffentlich sagen, dass niemand geistiges Eigentum stehlen dürfe - auch nicht ihr Verteidigungsminister.
Ernst Schmachtenberg, Rektor der RWTH Aachen und Sprecher von neun führenden technischen Universitäten, die sich im Kreis "TU9" zusammengeschlossen haben, sagte der "taz", es sei unstrittig, dass Guttenberg die Regeln gebrochen habe. Die laufende Diskussion zeige, "dass Wahrheit ein hohes Gut in der Wissenschaft ist".
Der Vorsitzende der niedersächsischen Hochschulrektorenkonferenz, Jürgen Hesselbach, empfiehlt Guttenberg ebenfalls den Rücktritt. Der Präsident der TU Braunschweig sagte dem Radiosender NDR 1 Niedersachsen: "Zu Guttenberg wird sich sehr schwer tun, im Amt zu bleiben." Der Minister solle sich die nach einer Alkoholfahrt zurückgetretene EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann zum Vorbild nehmen: "Die hat es ordentlich gemacht. Es ist jetzt schon fast ein bisschen spät, aber er kann es noch tun", sagte Hesselbach.
Ähnlich äußerte sich der Präsident der Uni Hannover, Erich Barke. Guttenbergs Vorbildfunktion sei infrage gestellt. "Er ist immer charakterisiert worden als sehr vorbildlich, klar, ehrlich. Das ist, glaube ich, vorbei." Der Präsident der Universität Osnabrück, Claus Rollinger, sagte "es sei skandalös, dass die Spitzenpolitiker unserer Republik die wissentliche Fälschung einer Dissertation als Kavaliersdelikt abtun." Wenn der Protest der Wissenschaft folgenlos bleibe, schade das dem Wissenschaftsstandort Deutschland.
Der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Jürgen Mlynek, kritisiert den Umgang mit den Plagiatsvorwürfen. "Die öffentliche Diskussion um Plagiate und deren Verharmlosung machen mich sehr betroffen", sagte Mlynek der "Frankfurter Rundschau". "Zur Wissenschaft gehören unteilbar Wahrheit, Aufrichtigkeit und Redlichkeit", sagte Mlynek. Die deutsche Wissenschaft habe sich auf Regeln für eine gute wissenschaftliche Praxis verständigt. "Verstöße dagegen wie Plagiate oder Fälschungen führen normalerweise zu Sanktionen."