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Bedrängter Linken-Fraktionschef Israel-Kritiker verfolgen Gysi bis aufs Klo

Zwei Israel-Kritiker geraten mithilfe von Linken-Abgeordneten in den Bundestag - und bedrängen Fraktionschef Gysi. Der Vorfall zeigt ein Dauerproblem der Partei.

Berlin - Es ist ein verwackelter, kurzer Film: Der Chef der Linken-Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, wird von zwei Männern bis in den Vorraum einer Toilette verfolgt und dabei gefilmt. Einer ruft ihm auf Englisch zu, Gysi habe ihn als Antisemiten bezeichnet, nun sei seine Rückkehr nach Israel bedroht. "Wollen Sie dafür die Verantwortung übernehmen", schreit er den Linken-Fraktionschef an. Gysi, sichtlich erschrocken, drückt gegen die Tür und brüllt: "Raus! Raus mit dir!"

Die Bilder aus dem Bundestag sind der bizarre Höhepunkt eines Streits, der sich im Kern um die Frage dreht, wie die Linke mit radikalen Israel-Kritikern umgehen soll. Der Vorfall, der sich bereits am Montag auf den Fluren des Parlaments ereignete, wurde am Dienstagnachmittag in der Fraktionssitzung und auch im Fraktionsvorstand der Linken besprochen.

Der Hintergrund: David Sheen und Max Blumenthal, die Gysi auf dem Flur verfolgten, sind als besonders scharfe Kritiker Israels bekannt. Sheen, der die Kamera auf Gysi richtete und ihn auch anschrie, stammt aus Kanada und lebt in Israel. Er betreibt von dort eine Homepage, auf der er unter anderem der israelischen Gesellschaft Rassismus gegen eingewanderte Afrikanern vorwirft. Max Blumenthal wiederum, ein US-Publizist, hat in der Vergangenheit Israel mit Nazi-Deutschland und in jüngster Zeit mit dem "Islamischen Staat" verglichen. In seinem Buch "Goliath" werden Israelis als "Judaeo-Nazis" bezeichnet - was ihm 2013 eine Erwähnung unter den zehn schlimmsten antisemitischen Äußerungen auf der Liste des Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles einbrachte.

Linken-Abgeordnete verschaffen Zutritt

Beide Aktivisten waren in diesen Tagen auf Einladung eines Bündnisses, dem unter anderem die israelkritische Vereinigung BDS Berlin sowie der Palästinensische Studentenverein angehören, in der deutschen Hauptstadt. Für eine Veranstaltung, bei der es um die Politik Israels ging, hatte die Linken-Bundestagsabgeordnete Inge Höger im Namen der Bundestagsfraktion für den 9. November den Roten Salon der Berliner Volksbühne angemietet. Schon die Auswahl des Datums war eine Provokation: An diesem Tag wird nicht nur an den Mauerfall, sondern auch an die Pogromnacht von 1938 gegen die Juden in Nazi-Deutschland erinnert.

Als Gysi davon Wind bekam, wurde die Veranstaltung gestoppt. Sie musste daraufhin in einem Café stattfinden. Höger und die Linken-Abgeordnete Annette Groth - beide waren 2010 an Bord einer türkischen Hilfsflotte für die im Gazastreifen regierende radikalislamische Hamas - luden daraufhin Blumenthal und Sheen für eine Veranstaltung am 10. November in den Sitzungsaal der Linken-Fraktion im Bundestag ein. Doch auch diese untersagten Gysi und die Fraktionsführung. Daraufhin luden die beiden Abgeordneten Höger und Groth, unterstützt durch die Linken-Parlamentarierin Heike Hänsel, Blumenthal und Sheen nunmehr gesondert in das Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Das kann ihnen von der Fraktionsführung nicht verboten werden - jeder Abgeordnete ist frei, seine Gäste in den Bundestag einzuladen und in seinem Büro zu empfangen.

Einmal im Bundestag, machten sich Blumenthal und Sheen am Montag auch auf den Weg zu Gysis Büro, um mit ihm über die Absage der Veranstaltungen zu sprechen. Doch dazu kam es nicht. "Herr Gysi hatte weder Zeit noch Lust, sich mit den beiden zu unterhalten", sagt Linken-Fraktionssprecher Hendrik Thalheim SPIEGEL ONLINE. Daraufhin hätten die beiden Männer den Moment abgewartet, in dem Gysi auf die Toilette gegangen sei, Sheen habe sofort gefilmt. "Was geschah, war ein Übergriff auf die Privatsphäre", so der Sprecher. Und: "Der Vorwurf des Herrn Sheen, Gysi habe ihn als Antisemiten bezeichnet, ist an den Haaren herbeigezogen."

Linken-Fraktionschef Gysi hatte am Dienstag vor der Fraktionssitzung auf Nachfrage eines Journalisten kurz Stellung genommen: Man werde die Vorgänge zunächst intern besprechen. Ohne Sheen und Blumenthal oder eine der drei Linken-Abgeordneten namentlich zu nennen, verwahrte er sich gegen "jeden Vergleich" von Israel mit dem NS-System. Mit sarkastischem Unterton erklärte Gysi: "Gerade wir in Deutschland müssen uns daran gewöhnen: Es gab nur einen Hitler. Die Suche nach einem zweiten geht schief."

Hinweis: Das Büro der Linke-Abgeordneten Heike Hänsel weist darauf hin, dass Frau Hänsel nicht die Einladung der beiden Aktivisten Sheen und Blumenthal in den Bundestag unterstützt hat. Frau Hänsel habe in der Veranstaltung im Paul-Löbe-Haus gesessen und habe anschließend versucht, einen Kontakt zwischen Sheen und Blumenthal mit Gysi herzustellen.  
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