Rechter Terror in Hanau Grüne fordern schärfere Waffengesetze

In Hanau gedenken Bürger der Opfer des Terrorattentats
Foto: Thomas Lohnes/ Getty ImagesNach dem Anschlag in Hanau mit elf Toten dringen die Grünen im Bundestag auf einen schnellen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus in Deutschland. Zu den Sofortmaßnahmen sollen ein Krisenstab, ein Rassismus-Beauftragter und schärfere Waffengesetze gehören.
"Der Rechtsextremismus in Deutschland ist völlig enthemmt", schreiben die Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter sowie die Innen- und Integrationsexperten in einem Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Darin fordern sie die Bundesregierung auf, einen Krisenstab mit allen relevanten Akteuren aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft einzurichten. Notwendig sind aus Sicht der Grünen zudem ein Beauftragter gegen Rassismus, eine "verlässliche und dauerhafte Demokratieförderung" und finanzielle Unterstützung für den Schutz besonders gefährdeter Einrichtungen wie Moscheen und Synagogen.
Die Grünen wollen, dass Munition nur noch gelagert werden darf, wo auch geschossen werden darf - bisher sei es Sportschützen möglich, sowohl Waffen als auch Munition zu Hause zu lagern. Zudem reichten die bisherigen Zuverlässigkeitsprüfungen nicht aus.
Ein 43-Jähriger hatte am Mittwochabend im hessischen Hanau neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Der Sportschütze tötete auch seine 72 Jahre alte Mutter und dann sich selbst. Nach bisherigen Erkenntnissen hatte der Täter eine rassistische Gesinnung und war psychisch krank.
Der türkische Blumenhändler Enver Simsek wird in Nürnberg erschossen. Das ist der Beginn einer beispiellosen Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Polizei und Verfassungsschutz erkennen jahrelang nicht, dass die Täter aus dem rechtsextremen Milieu kommen. Bis zu seinem Auffliegen 2011 ermordet der NSU zehn Menschen, verübt 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle.
Der 16-jährige Marinus Schöberl wird in Potzlow (Brandenburg) von drei jugendlichen Rechtsextremisten zu Tode gequält.
In Heidenheim (Baden-Württemberg) ermordet ein Skinhead drei junge Spätaussiedler mit gezielten Messerstichen ins Herz. Die Attacke hatte er zuvor in seiner Clique geübt.
Die ägyptische Handballnationalspielerin Marwa El-Sherbini wird im Verhandlungssaal des Landgerichts Dresden von einem angeklagten Rechtsradikalen attackiert. Er ersticht die als Zeugin gegen ihn geladene schwangere Frau und verletzt ihren Ehemann schwer.
In München erschießt der 18-jährige Schüler David Sonboly neun Menschen aus rassistischen Gründen, bevor er sich selbst tötet. Der Fall wird erst später als rechtsextremistisch gewertet.
In Sachsen foltern Neonazis den homosexuellen Christopher W. zu Tode. Das Landgericht Chemnitz verurteilt die Täter wegen Totschlags.
Walter Lübcke, hessischer CDU-Landtagsabgeordneter und Regierungspräsident im Bezirk Kassel, wird auf der Terrasse seines Wohnhauses durch einen Kopfschuss getötet. Wegen seines Engagements für Flüchtlinge galt Lübcke in der rechten Szene als Hassfigur. DNA-Spuren auf der Kleidung des Opfers führen zum Rechtsextremisten Stephan Ernst, der die Tat erst gesteht, aber später widerruft. Lübcke ist der erste Politiker, der nach dem Krieg einem rechtsterroristischen Attentat zum Opfer fiel. Zuvor gab es bereits rechte Gewaltattacken auf Politiker, die jedoch nicht tödlich endeten: Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker etwa wurde 2015 von dem Rechtsextremisten Frank S. mit einem Messer schwer verletzt.
Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur scheitert Stephan Balliet beim Versuch, mit Waffen und Sprengsätzen ausgerüstet in die Synagoge in Halle einzudringen. Stattdessen tötet er eine Passantin und den Besucher eines Dönerimbisses. Außerdem verletzt er zwei weitere Menschen auf seiner Flucht.
Der 43-jährige Tobias Rathjen erschießt aus rassistischen Motiven in Hanau insgesamt 10 Menschen. Anschließend tötet er sich selbst. Neun der Opfer haben einen Migrationshintergrund.
Seehofer: Möglicherweise zusätzliche Psychotests
Vor den Grünen hatte bereits Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine Überprüfung des Waffenrechts angekündigt. "Wenn die Ermittlungen hier einen Anhaltspunkt ergeben, dass wir früher hätten eingreifen müssen, was den Waffenschein betrifft, dann müssen wir das ändern", sagte der CSU-Politiker der "Bild"-Zeitung. Möglicherweise könne es sinnvoll sein, ein medizinisches Gutachten oder eine ärztliche Bestätigung einzufordern, "dass da alles in Ordnung ist und die Verwirrung oder die Krankheit einer Person nicht zur Gefahr für die Allgemeinheit werden", wenn jemand auffällig geworden sei.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will prüfen, ob die gerade erst verschärften Regelungen im Waffenrecht auch konsequent umgesetzt werden. Demnach müssen die Behörden immer beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor sie eine Waffenerlaubnis erteilen. Es müsse geprüft werden, ob die Behörden, die über die Zuverlässigkeit entscheiden, die nötigen Informationen bekommen.
Die Liberalen setzen auf eine Reform der Verfassungsschutzbehörden. FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg forderte, die Sicherheitsstrukturen in Deutschland den neuen Bedrohungen anzupassen. "Dazu gehört eine Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. So müssten zum Beispiel kleinere Landesämter für Verfassungsschutz zusammengelegt werden.
Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) regte an, in den Sicherheitsbehörden Spezialabteilungen und Arbeitsgruppen zur Überwachung von Rechtsextremisten einzurichten. Die Meldestellen für antiislamische und antisemitische Vorfälle müssten ausgebaut werden, verlangte die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte.
Beobachtung der AfD durch Verfassungsschutz?
Grünen-Chef Robert Habeck forderte in der "Passauer Neuen Presse" zusätzlich, die AfD solle als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz beobachtet werden. Zuvor hatte das schon SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gefordert.
Habeck sagte zur Begründung einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz, die Partei schüre Rassismus und leiste Rechtsextremismus Vorschub. Die Relativierungen und Verharmlosungen der Morde von Hanau durch AfD-Politiker seien unerträglich.
Soforthilfe für Opfer und Angehörige
Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke, sagte zu, dass die engsten Angehörigen der Opfer der Gewalttat in einigen Tagen eine Soforthilfe von 30.000 Euro erhalten werden. In mehreren deutschen Städten wandten sich auch am Freitagabend wieder Demonstranten gegen rechte Gewalt und Intoleranz. Weitere Kundgebungen sind am Wochenende geplant.
Angehörige der Opfer können aus dem Fonds für Härteleistungen innerhalb von zwei Wochen Soforthilfen erhalten, wie Franke dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte. "Für Ehepartner, Kinder und Eltern von Getöteten sind das 30.000 Euro, für Geschwister 15.000 Euro." Das könne das schreckliche Leid des Verlusts der eigenen Eltern oder Kinder nicht lindern. "Aber zumindest ist es eine Hilfe für die nötigsten Dinge, die in diesem Moment wichtig sind."
In Hannover versammelten sich am Freitagabend rund 3000 Menschen zu einer Kundgebung, darunter waren Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Die Veranstaltung stand unter dem Titel "Hannover gegen Rassismus - Hannover für Vielfalt". In Köln kamen mehr als 2000 Teilnehmer zu einer Demonstration gegen rechten Terror auf dem Roncalliplatz zusammen.
In Hanau gedachten Menschen erneut der Opfer des Anschlags. Etwa 200 Teilnehmer versammelten sich nach Veranstalterangaben auf dem Marktplatz vor dem Rathaus, fassten sich an den Händen und bildeten eine kreisrunde Menschenkette. Am Samstag will ein Bündnis gegen Hetze und Menschenverachtung in Hanau demonstrieren. Am Nachmittag ist auf dem Marktplatz eine weitere Kundgebung geplant.