Verfassungsschutzchef Maaßen Sheriff gegen Merkel

Verfassungsschutzchef Maaßen positioniert sich bei der Bewertung von Chemnitz öffentlich gegen die Kanzlerin. Und stellt sogar Videoaufnahmen infrage, auf die sich Merkel stützt. Was steckt dahinter?

Es gab wohl nie einen Geheimdienstchef in Deutschland, der sich intensiver mit den Rechten von Flüchtlingen befasst hat als Hans-Georg Maaßen. Der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) promovierte vor mehr als 20 Jahren an der Universität Köln zur "Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht". Später, im Bundesinnenministerium, arbeitete er als Referatsleiter für Ausländerrecht. Doch die Paragrafen scheinen dem Juristen Maaßen dabei immer näher als die Menschen gewesen zu sein.

Deshalb hat der 55-Jährige mit der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel immer gehadert - genau wie andere hochrangige Repräsentanten des Sicherheitsapparats. Ihm leuchtete nie ein, ebenso wenig wie dem Chef der Bundespolizei, Dieter Romann, oder dem früheren Präsidenten des Bundesnachrichtendiensts, Gerhard Schindler, warum ein Land, für deren Sicherheit er sich sein Berufsleben lang eingesetzt hat, den Zuzug Hunderttausender Menschen zulässt, ohne deren Identitäten überprüfen zu können.

Der Kanzlerinnen-Satz "Wir schaffen das" klang in den Ohren der Sheriffs ebenso abgehoben wie zynisch. "Die Frage ist eben", sagte ein hochrangiger Beamter aus dem Bundesinnenministerium im Sommer 2016, "um welchen Preis wir das schaffen werden."

Mit CSU-Chef Horst Seehofer als neuem Dienstherren, der die Migrationsfrage für die "Mutter aller politischen Probleme" hält, wittern die Hardliner aus dem Innenressort nun ihre Chance auf eine Kurskorrektur.

Und da ist man dann auch schon bei der Frage, warum Maaßen zum Ende dieser Arbeitswoche auf die Idee kommen konnte, der "Bild"-Zeitung Zitate zur Verfügung zu stellen, mit denen er sich erstens in der Bewertung der Vorfälle in Chemnitz gegen die Kanzlerin stellt - und zweitens auch noch die Authentizität von Videoaufnahmen infrage stellt, auf die sich Merkels stützt.

Die Antwort ist: Weil er es kann, ohne unmittelbare Konsequenzen fürchten zu müssen.

Es dauerte nur bis zum Vormittag, dass eine Sprecherin des Innenministeriums in der Regierungspressekonferenz erklärte, "selbstverständlich" genieße Maaßen weiterhin das Vertrauen Seehofers.

Wenig später sagte dieser selbst: "Ja, Herr Maaßen hat mein volles Vertrauen."

Dass Merkel die Sache anders sieht, wurde am Vormittag ebenfalls deutlich. Auf die konkrete Frage an Regierungssprecher Steffen Seibert, ob der BfV-Chef noch das Vertrauen der Kanzlerin genieße, antwortete dieser nicht.

Stattdessen verwendete er den vielsagenden Satz: "Herr Maaßen hat eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe." Laut Seibert hatte der oberste Verfassungsschützer vor der Veröffentlichung seiner Aussagen nicht einmal das Gespräch mit Merkel gesucht, das Bundesinnenministerium wusste seiner Sprecherin zufolge immerhin im Vorfeld von der "Bild"-Geschichte, aber nichts über deren Inhalt.

Die Kanzlerin kann ihm gar nichts

Dass Maaßen aus Sicht Merkels nach diesem Vorfall nicht mehr der richtige für seinen Job ist, liegt nahe. Aber das dürfte der Verfassungsschutzchef einkalkuliert haben, weil er gleichzeitig weiß: Solange Seehofer ihn schützt, kann ihm die Kanzlerin gar nichts. Um ihn loszuwerden, müsste sie zuerst den Innenminister rauswerfen.

Zu dem Hintergrund für Maaßens geäußerte Zweifel an dem Video, das Attacken auf ausländisch aussehende Menschen aus einer Demonstration in Chemnitz heraus zeigt, ist aus Sicherheitskreisen bislang nur so viel zu erfahren: Dort fragt man sich, wer hinter der Gruppe "Antifa Zeckenbiss" steht, die die Aufnahme ins Internet gestellt hat. Offenbar gibt es Hinweise, dass die Macher des Videos nicht der Antifa angehören könnten, sondern die Bilder aus anderen Gründen erstellt und verbreitet haben. Allerdings existieren mehrere Augenzeugenberichte, die die gezeigten Angriffe in Chemnitz miterlebt haben. Zudem gibt es einen Mann, der sich als Opfer der Attacken bezeichnet und deshalb Anzeige erstattet hat.

In der kommenden Woche soll Maaßen am Mittwoch zunächst dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags seine Informationen offenlegen, für Freitag hat ihn der Innenausschuss zu einer Sondersitzung geladen. Auch im Innenministerium soll er Bericht erstatten.

Guter Zeitpunkt

Grundsätzlich ist für Maaßen wohl jetzt ein guter Zeitpunkt, eine innenpolitische Kursänderung anzustoßen. Nach Jahrzehnten, in denen er und seine Mitstreiter an der Spitze der Sicherheitsbehörden aus ihrer Sicht ein politisches Schattendasein fristen mussten und sich das Land nur für sie interessierte, wenn Geheimdienste, Polizei, Justiz wieder eklatante Fehler gemacht hatten, wurden sie zuletzt mit mehr Geld, mehr Personal und mehr Kompetenzen ausgestattet. Das hat sie selbstbewusster gemacht.

Und während Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière (CDU), genannt "die Büroklammer", seine Topbeamten wiederholt daran erinnerte, wer in Berlin Innenpolitik verantwortete und bestimmte, scheint das Durcheinander in Seehofers Haus auch zu waghalsigsten Vorstößen geradezu einzuladen.

So flog Bundespolizeichef Romann nach Erbil, um einen mutmaßlichen Sexualmörder, der sich nach der Tat in Wiesbaden in seine irakische Heimat abgesetzt hatte, persönlich nach Deutschland zu eskortieren - unter Umgehung des Rechtswegs und Missachtung der Zuständigkeit des Auswärtigen Amts. Über die anschließend gegen ihn erstattete Strafanzeige spottete Romann hinterher öffentlich. Auf einer Veranstaltung scherzte der promovierte Jurist unlängst, wie sich Zuhörer erinnern, er müsse ja sicherlich demnächst ins Gefängnis.

Maaßen, weniger hemdsärmelig als Romann, würde solche Scherze nie machen, zumindest nicht auf einem Podium. Dabei ist er mindestens genauso kompromisslos, wenn er sich im Recht sieht. Mit der Strafanzeige in der "Netzpolitik"-Causa löste er im Sommer 2015 eine Staatsaffäre aus, die am Ende den Generalbundesanwalt Harald Range das Amt kostete.

Kurz zuvor war er bei einer Tagung in Berlin auf Politiker und Journalisten losgegangen. "Die Nachrichtendienste werden seit mehreren Jahren von Teilen der Medien und Politik kritisiert wie vermutlich noch nie zuvor und wie vermutlich in keinem anderen Land", so empörte sich Maaßen. "Ich persönlich habe den Eindruck, dass von bestimmten Kreisen versucht wird, die deutschen Nachrichtendienste sturmreif zu schießen."

Im Herbst 2015 traf sich Maaßen mit der damaligen Parteichefin Frauke Petry, als die AfD noch gar nicht im Bundestag saß - was eher unüblich war. Auch der Umstand, dass das Gespräch unter vier Augen stattgefunden haben soll, bezeichnen andere Verfassungsschützer als "waghalsig". Doch auch wenn BfV die Darstellung zurückweist, dass Maaßen Petry beraten habe: In der Frage, ob die Partei beobachtet werden müsse, fuhr das BfV bislang immer einen zurückhaltenden Kurs. Einige Bundesländer wären gern forscher vorgegangen.

Ziel einer Kampagne?

Der BfV-Chef jedenfalls sieht sich heute, da er wegen seines AfD-Kontakts und eines Informanten in einer Moschee, in der auch der Berlin-Attentäter Anis Amri verkehrte, massiv in der Kritik steht, als Ziel einer politischen Kampagne. Aus seinem Umfeld heißt es, von interessierter Seite werde versucht, ihm zu schaden.

Dass man ihn im Kanzleramt für zunehmend untragbar hält, dürfte ihn auch deshalb wenig Sorgen bereiten, weil er neben der Rückendeckung von seinem unmittelbaren Vorgesetzten Seehofer am Freitag auch Unterstützung aus der Spitze der Unionsfraktion erhielt. Dass CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ihn verteidigte, kommt dabei weniger überraschend als die Tatsache, dass auch Fraktionschef Volker Kauder von der CDU die "Vorverurteilung von Maaßen" kritisierte. Kauder ist ein enger Vertrauter von Merkel. Darauf angesprochen sagte er: "Wir Abgeordneten haben unsere Position und die Regierung hat ihre."

Maaßen darf sich ermuntert fühlen. Und gegen Kritik gibt es für ihn ohnehin nur eine Antwort: Angriff. So wie damals, als er im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags gegrillt wurde, weil er Edward Snowden einen russischen Agenten genannt hatte, und er hinterher den Reportern lächelnd sagte: "Mir hat es richtig Spaß gemacht. Zwei Jahre habe ich mich darauf gefreut. Heute war es so weit. Es hat sich gelohnt."

Im Video: Wer sind die Hintermänner der Chemnitz-Krawalle

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