Maaßen-Kandidatur für die CDU Sprengsatz in Thüringen

CDU-Bundestagskandidat Hans-Georg Maaßen (r.) mit Ralf Liebaug, CDU-Kreisvorsitzender, am Freitag in Suhl
Foto: Michael Reichel / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Klar, er genießt es. Die Kameras, die Fernsehsender, das Interesse, das ihm plötzlich wieder entgegenschlägt. Ist ja schon eine Weile her, dass er ähnlich im Fokus stand. Hans-Georg Maaßen steht am Pult, Applaus rauscht durch den Saal. »Das war heute ein sehr gutes Zeichen für die Demokratie«, ruft Maaßen. Es ist kurz nach 20 Uhr, Maaßen hat sein erstes Ziel erreicht.
Das Congress Centrum in Suhl, erster Stock, Saal Simson: Maaßen, 58 Jahre alt, ist gekommen, um sich das abzuholen, was Teile seiner Partei frohlocken, größere Teile aber erschrecken lässt: die Bundestagskandidatur für die CDU im Wahlkreis 196 in Südthüringen. Rund vier Dutzend Delegierte haben sich in dem Saal versammelt, für Maaßen ist der Termin fast ein Selbstläufer. Kaum Debatte, nur ein Gegenkandidat, am Ende stimmen 86 Prozent für Maaßen. Er wolle für den Wahlkreis »Botschafter und Interessenvertreter« sein, verspricht er.
Der Begriff ist eine kleine Provokation, Maaßen weiß, dass er als alles durchgeht, nur nicht als Botschafter. Niemand in der CDU polarisiert so wie er. Seine Thesen, seine Sätze sind den meisten noch im Gedächtnis: Wie er nach den ausländerfeindlichen Aufmärschen in Chemnitz 2018 keine »Hetzjagden« erkennen wollte. Wie er von einem »Riesenerfolg« sprach, nachdem die CDU mithilfe der AfD den FDP-Politiker Thomas Kemmerich in Erfurt zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Ein Klartexter, sagen seine Anhänger. Ein Scharfmacher, ein Ideologe, der die Brandmauer zu den Rechtsextremen sprengt, so sehen ihn seine Gegner. Jetzt will Maaßen für die CDU in den Bundestag. Kann das gut gehen?
Klar, sagen sie vor Ort. Dort sind sie froh, dass die Entscheidung endlich durch ist. Eigentlich wollte man wieder mit Mark Hauptmann in den Wahlkampf ziehen. Doch der CDU-Bundestagsabgeordnete musste vor Wochen zurücktreten, weil er sich in der Pandemie schwer bereichert hatte. Vor dem Saal in Suhl steht auf dem Getränketisch eine Holzbox. »Kasse des Vertrauens«, steht darauf. Es liest sich wie ein kleines Versprechen: Es wird jetzt alles besser.
Ein auffallend zurückhaltender Auftritt
Maaßen, das ist auffällig, gibt sich an diesem Freitag sehr zurückhaltend. Es ist ein geschickter Auftritt. Kein Wort zu Merkel, keine Abrechnung, nicht einmal ein aggressiver Grundton, stattdessen präsentiert er sich als normaler Christdemokrat, der vielleicht einen Tick nationaler unterwegs ist, aber eine klare Grenze zur AfD zieht. Er sehe sich nicht als rechts, ja nicht einmal als sehr konservativ, betont er in seiner Bewerbungsrede. Er halte sich für »einen Realisten, der geerdet ist und nicht im Elfenbeinturm« lebe und trete an, um der AfD Stimmen zu stehlen. »Die CDU braucht wieder Profil«, ruft Maaßen. »Ein Weiter-so führt weiter die Treppe hinab in den Keller.« Die Sätze kommen hier in Südthüringen gut an.
Ausgerechnet er, der Rheinländer, der jahrelang zur Elite unter den Berliner Beamten zählte, zu den Gewinnern, soll nun Städtchen wie Schmalkalden und Meiningen, Suhl oder Hildburghausen im Bundestag vertreten, Orte an der Peripherie also, in denen sich viele seit Jahren eher als Verlierer sehen, als Ausgestoßene. Politisch kann das klappen für Maaßen. Viele sehen die Welt hier wie er. Sie halten nichts von der Kanzlerin, nichts von der Hauptstadtblase und überhaupt gar nichts von den Grünen. Dass nun jemand von der CDU daherkommt und die Parteispitze das Fürchten lehrt, wird hier ankommen, davon ist auszugehen. »In weiten Teilen unseres Landstriches löst er ein positives Echo aus«, sagt Ralf Liebaug, einer der Kreischefs, die Maaßens Kandidatur vorantrieben.
Die Botschaft aus Suhl: Um zu verhindern, dass die AfD im Herbst abräumt, braucht es nun jemanden wie Maaßen. Es ist ein Argument, das man erst nehmen muss, aber natürlich ist seine Kandidatur ein gewaltiger Sprengsatz für die CDU. Er ist bekannt und umstritten genug, um das Bild der Union im Wahlkampf mitprägen zu können, wo immer er auch auftreten wird, dürfte es um die Frage gehen, wie es die CDU mit den Rechten hält. Maaßen hat häufig genug betont, dass er die CDU gern umkrempeln, sie härter und nationalkonservativer machen würde. »Ich bin keiner, der kuschelt«, sagt er in Suhl. Er ist jetzt auf Mission.
»Ihr habt echt den Knall nicht gehört«
Für den angeschlagenen Kanzlerkandidaten Armin Laschet ist die Causa Maaßen ein weiteres Problem. Dass beide nicht zusammenpassen, ist jetzt schon klar. Ausgerechnet gegen die von Laschet maßgeblich mitgeprägte Migrations- und Europapolitik zog Maaßen in den vergangenen Jahren zu Felde. Die Frage ist, ob Maaßens Wahlkampf nur ein bisschen Reibung erzeugt oder sich so sehr mit dem der Bundes-CDU beißt, dass der ehemalige Behördenchef zur permanenten Belastung wird. »Ihr habt echt den Knall nicht gehört«, twitterte Serap Güler, Staatssekretärin für Integration in Düsseldorf und eine von Laschets Vertrauten, in Richtung der Thüringer CDU: »Wie kann man so irre sein.«
An die 37 Parteikollegen in Südthüringen: Ihr habt echt den Knall nicht gehört! Wie kann man so irre sein und die christdemokratischen Werte mal eben über Bord schmeißen? Wer so große Angst vor der AfD hat, hat so vieles längst aufgegeben. Ein bitterer Tag. https://t.co/QtA7YbVrJ9
— Serap Güler (@SerapGueler) April 30, 2021
Auch Laschet selbst steht jetzt vor der Frage, wie er mit Maaßen umgehen soll. Setzt der CDU-Chef sich von ihm ab, könnte das Maaßen in seiner Anhängerschaft erst recht populär machen. Sagt Laschet nichts, könnte das wirken, als fehle ihm der Mut, seine eigenen Überzeugungen zu verteidigen, und als setze er heimlich darauf, dass Maaßen abgewanderte Konservative zur CDU zurückholt. Wie es Laschet auch dreht und wendet: Eine gute Option gibt es eigentlich nicht. Entweder bringt er Teile der eigenen Partei gegen sich auf – oder den politischen Gegner.
Maaßen selbst will es Laschet offenbar möglichst schwer machen, sich von ihm loszusagen. In Suhl vereinnahmte er den Parteichef regelrecht. Er stehe hinter Laschet, beteuert er im Congress Centrum mehrfach: »Wir werden für ihn als unseren Kanzlerkandidaten kämpfen.«
Wie groß die Freude in Düsseldorf über diese Rückendeckung ist, ist bislang nicht bekannt. Laschet schickte am Abend seinen Generalsekretär vor, um mit Blick auf Maaßen vor jeglicher Zusammenarbeit mit der AfD zu warnen.