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Maaßen-Absetzung und die Folgen Agenten in Aufruhr

Die Beförderung von Hans-Georg Maaßen sorgt bei vielen Verfassungsschützern für Unverständnis. Sie treibt aber vor allem eine Frage um: Wie geht es nun weiter?

Die Zentrale des Bundesamts für Verfassungsschutz im Kölner Stadtteil Chorweiler ist eine Trutzburg aus Beton. Äußerlich kommt sie wie eine zu groß geratene Gesamtschule daher, im Inneren ist sie ein Labyrinth, in dessen rotgekachelten Fluren man sich leicht verlieren kann.

Ganz anders sieht die oberste Etage aus, dort, wo der Präsident und sein Stab arbeiten: Es gibt tiefe schwarze Ledersessel, einen separaten Raum, in dem der Chef speist, die Wände leuchten weiß, die Teppiche sind makellos.

Es heißt, Hans-Georg Maaßen habe sich trotzdem nur ungern in der Kölner Zentrale aufgehalten: die Familienkutschen auf dem Mitarbeiterparkplatz, die Kurzarmkarohemden auf den Gängen, schlicht zu durchschnittsdeutsch und piefig - und viel zu weit weg von Berlin.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) war, als Maaßen es vor sechs Jahren nach der Schredder-Affäre im Gefolge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) übernahm, in einer schwierigen Situation: Über Jahre hatte sich ein Durch- und Nebeneinander von Zuständigkeiten gebildet, hatten Abteilungen und Referate Eigenleben entwickelt, sodass auch der Präsident nie wissen konnte, in welchem Panzerschrank die nächste Unterlage entdeckt werden würde, die ihn in die Nähe des Rücktritts brächte.

Maaßen, exzellenter Jurist und Ordnungsliebhaber, reagierte darauf mit einer Haltung, die er als Zeichen der Stärke verstand. Er schnitt das Amt auf sich zu, begrenzte die Beinfreiheit seiner Führungskräfte, worüber einige der erfahrenen Direktoren im Hause sich mokierten. Er begann, die Behörde umzukrempeln. Über den Erfolg des Umbaus, den Maaßen selbst als "Paradigmenwechsel" bezeichnet hatte, gehen die Meinungen auseinander.

"Unfassbar"

Manche sagen, Maaßen habe den Dienst tatsächlich modernisiert, gerade in den Bereichen Terrorismus und Cyberabwehr . Seine Beamten trugen mehrfach dazu bei, Anschlagspläne islamistischer Attentäter zu durchkreuzen. Der Verfassungsschutzverbund deckte auch das rechtsterroristische Netzwerk der "Oldschool Society" auf.

Doch es gibt auch kritische Stimmen, was den Zustand des BfV anbelangt. "An den Strukturen hat sich nichts Entscheidendes geändert. Auf der mittleren Führungsriege sitzen seit Jahren dieselben Personen", sagt ein hochrangiger Beamter. Unter Innenminister Thomas de Maizière (CDU), einem Merkel-Getreuen, erfuhr der Verfassungsschutz wohl nicht die Aufmerksamkeit, die sich sein Chef gewünscht hätte.

Einigkeit jedoch herrscht in diesen Tagen darüber, wie die Geheimdienstler die Beförderung Maaßens zum Staatssekretär beurteilen. "Unfassbar" ist das Wort, das man in jedem Gespräch zu dem Thema hört.

Unter Deutschlands Agenten herrscht Unverständnis, wie die Entscheidung zustande gekommen ist und was sie bedeutet. Sie sind aufgewühlt. "Merkel kann man jedenfalls nicht mehr ernst nehmen", sagt einer. Ein anderer Beamter ätzt: "Nach geltender politischer Logik müsste jetzt Dieter Büddefeld zum Chef des BfV berufen werden." Büddefeld, der Chef des Kieler Landesamts für Verfassungsschutz, war nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung von Mitarbeiterinnen beurlaubt worden. Er bestreitet die Vorwürfe.

Gerüchte um die Nachfolge

In vielen der 16 Landesämter für Verfassungsschutz, unter deren Leitern auch entschiedene Maaßen-Kritiker sind, wachsen die Sorgen: Sie befürchten, das Chaos im Bund könnte den Inlandsnachrichtendienst beschädigen. "Wir haben uns nach dem NSU-Skandal bemüht, vieles neu und besser zu machen", sagt ein hochrangiger Beamter aus dem Westen der Republik. "Wir haben unsere Arbeit so transparent wie möglich gemacht, weil wir das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückgewinnen wollten. Und nun macht Berlin alles zunichte."

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Viel wird davon abhängen, wen Innenminister Horst Seehofer (CSU) zum Nachfolger Maaßens in Köln machen wird. Es kursieren zahlreiche Namen. Einer, der immer wieder fällt, ist der von Arne Schlattmann, dem Bevollmächtigten des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Der Jurist ist CDU-Mitglied, hat viele Jahre im Bundesinnenministerium gearbeitet und gilt als äußerst akribisch. Das politische Ränkespiel soll ihm ebenso fremd sein wie ein übergroßer Geltungsdrang.

Der SPD und der Opposition wäre die Personalie womöglich vermittelbar, schließlich würde ein Kontrolleur des Geheimdienstes nun dessen Chef. Und Maaßen soll als Staatssekretär für den Bereich Sicherheit zuständig werden.

Videoanalyse zum Fall Maaßen/Seehofer: "Widerstandsnest gegen die Kanzlerin"

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Doch auch die Namen von Thomas Haldenwang, derzeit Vizepräsident im BfV, und Dirk Menden, der dort Abteilungsleiter ist, kursieren in Berlin. Zudem sei über Alexander Eisvogel, den ehemaligen Vizepräsidenten des BfV und derzeitigen Leiter der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, diskutiert worden, heißt es.

Aus den Ländern empfiehlt sich allen voran der Präsident des Hamburger Verfassungsschutzes, Torsten Voß, der zudem den Arbeitskreis IV der Innenministerkonferenz leitet, in dem sich die Landesämter koordinieren. Voß, gelernter Polizist, ist CDU-Mitglied, machte jedoch auch unter SPD-Innensenatoren entscheidende Karriereschritte. Auch seine Stuttgarter Amtskollegin Beate Bube könnte Chancen auf den Posten haben.

Womöglich schwebt Berlin aber auch zunächst eine Interimslösung an der Spitze des Verfassungsschutzes vor. Bei der Landtagswahl in Bayern droht CSU-Chef Seehofer eine schwere Schlappe. Dann, so sagt ein Beamter aus Berlin, "könnten die Karten ganz neu gemischt werden."

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An dieser Stelle haben Leser in der App und auf der mobilen/stationären Website die Möglichkeit, an einer repräsentativen Civey-Umfrage teilzunehmen. Civey ist ein Online-Meinungsforschungsinstitut mit Sitz in Berlin. Das Start-up arbeitet mit unterschiedlichen Partnern zusammen, darunter sind neben SPIEGEL ONLINE auch der "Tagesspiegel", "Cicero", der "Freitag" und Change.org. Civey wird durch das Förderprogramm ProFit der Investitionsbank Berlin und durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziert.

Mitarbeit: Roman Lehberger
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