Neu-Liberaler Harald Christ "Vielen Menschen ist nicht klar, wofür die FDP steht"

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SPIEGEL: Herr Christ, als sie die SPD im Dezember nach mehr als 30 Jahren verlassen haben, haben Sie sich noch als "Sozialdemokrat aus Überzeugung" bezeichnet - nun treten Sie in die FDP ein. Wie passt das zusammen?
Christ: Ich bin im Alter von 15 Jahren politisch aktiv geworden und habe damals schon gehadert, ob ich in die SPD oder die FDP eintreten soll. Damals habe ich mich für die SPD entschieden, aber aus meiner sozialliberalen Überzeugung habe ich nie ein Geheimnis gemacht. Im Dezember bin ich dann aus der SPD ausgetreten, als ich gemerkt habe, dass ich den zunehmenden Linkskurs der Parteispitze nicht mitgehen will und auch für meine Position immer weniger Unterstützung habe. Für mich ist es deshalb jetzt völlig naheliegend und konsequent, die Entscheidung aus meiner Jugend zu revidieren und mich jetzt als Sozialliberaler mit meiner Expertise in die FDP einzubringen. Meine politischen Überzeugungen gebe ich deswegen nicht auf.
SPIEGEL: Die FDP erlebt turbulente Zeiten: In Thüringen hat sich vor wenigen Wochen Ihr neuer Parteifreund Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen - und damit ein politisches Beben ausgelöst. Hat Sie das noch einmal an Ihrer Entscheidung zweifeln lassen?
Christ: Ich kenne Herrn Kemmerich nicht persönlich und kann zu seinen Beweggründen nichts sagen. Aber ich habe mir die Entwicklungen in Thüringen seitdem genau angeschaut und halte das, was da passiert ist, für einen großen Fehler. Für mich ist allein der Gedanke, mit der AfD in irgendeiner Form zu kooperieren, völlig abwegig. Und ich werde mich auch innerhalb der FDP dafür einsetzen, jede Annäherung an Rechtsaußen zu bekämpfen.
SPIEGEL: Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesspitze der FDP um Christian Lindner richtig mit der Situation umgegangen ist?
Christ: Es ist in der Nachbetrachtung immer leicht zu sagen, was man hätte besser machen können. Und ich habe ja schon festgestellt, dass da ein großer Fehler gemacht wurde. Was ich Christian Lindner allerdings hoch anrechne, ist, dass er diesen Fehler durch seinen persönlichen Einsatz korrigiert und sogar seine eigene politische Zukunft zur Disposition gestellt hat. Jetzt muss die ganze Partei aus der Sache lernen und dafür sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholt.
SPIEGEL: Welche Rolle hat Herr Lindner bei Ihrem Wechsel zur FDP gespielt? Hat er Sie angesprochen?
Christ: Ich kenne Christian Lindner seit vielen Jahren und habe gute Politiker wie ihn immer unterstützt - egal, welcher seriösen Partei sie angehörten. Wir haben uns im Vorfeld meiner Entscheidung immer mal wieder getroffen und ausgetauscht. Und dabei haben wir politisch viele Übereinstimmungen gefunden.
SPIEGEL: Ihr Rückzug aus der SPD hatte auch viel mit dem neuen Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu tun. Sind die beiden wirklich so viel linker als es zum Beispiel Andrea Nahles als Parteichefin war, mit der Sie seit Jahren gut befreundet sind?
Christ: Andrea Nahles mit den beiden zu vergleichen ist grotesk. Andrea Nahles ist ein Profi, was das politische Handwerk angeht. Und auch wenn sie immer mal wieder Positionen vertreten hat, die nicht meinen entsprachen, war das nie ein Problem, weil wir uns immer auf einer pragmatischen Ebene verständigt haben. Sie hat auf meine Expertise vertraut und mich deswegen auch zum Mittelstandsbeauftragten der Partei gemacht. Dieser Posten wurde nach meinem Rücktritt übrigens nicht mehr nachbesetzt, weil Herr Walter-Borjans glaubt, dass er das selbst kann.
SPIEGEL: Sie sind in einer klassischen Arbeiterfamilie aufgewachsen. Ihr Vater stand bei Opel am Band. Nun treten Sie einer Partei bei, die als Vertreterin der Unternehmer und Besserverdiener gilt. Ist das nicht ein Verrat am eigenen Milieu?
Christ: Ich habe immer zu meiner Herkunft gestanden, und ich sehe im Eintritt in die FDP nun auch keinen Verrat daran – im Gegenteil. Ich bin überzeugt, dass soziale Gerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit zwei Seiten derselben Medaille sind. Mit meiner Vita stehe ich sowohl für sozialen Aufstieg als auch für die soziale Marktwirtschaft. Und eine liberale Partei, die diese beiden Perspektiven vereint, hat sehr gute Chancen, zu einem stabilisierenden Faktor in einem Parteiensystem zu werden, das durch die Unsicherheit der beiden Volksparteien ins Wanken geraten ist. Weder die SPD noch die CDU befinden sich ja inhaltlich und personell in bestem Zustand.
SPIEGEL: Wollen Sie die FDP mit einem sozialliberalen Kurs als Koalitionspartner für die SPD in Stellung bringen?
Christ: Die FDP muss wieder das werden, was sie lange war: ein attraktiver Bündnispartner sowohl für die Union als auch für die vernünftigen Kräfte innerhalb der SPD. Das ist eine Rolle, die die FDP zurzeit leider nicht ausreichend erfüllt.
SPIEGEL: Weil sie nicht sozialliberal genug ist?
Christ: Weil es nach dem Scheitern einer Jamaikakoalition nach der Bundestagswahl 2017 und auch nach dem Fehler in Thüringen vielen Menschen nicht klar ist, wofür die FDP in Zukunft steht. Sie gilt in der breiten Bevölkerung viel zu stark noch als Partei der Reichen und der Freiberufler, die nur Steuersenkungen fordert. Das ist zu kurz gesprungen. Die FDP braucht eine viel umfassendere Programmatik, die soziale und liberale Aspekte beinhaltet und die Mitte der Gesellschaft auch anspricht. Und dazu will ich meinen Beitrag leisten.
SPIEGEL: In welcher Funktion wollen Sie das tun? In der SPD waren Sie zuletzt Mittelstandsbeauftragter und 2009 sogar mal Schattenminister. Was streben Sie in der FDP an?
Christ: Ich steige neu in eine Partei ein und habe deshalb erst mal keine Ansprüche zu stellen. Ich will mich durch meinen Sachverstand und durch mein Netzwerk einbringen und am politischen Diskurs teilnehmen. Und die FDP hat mir signalisiert, dass sie sich darüber freut.